BRAK-Mitteilungen 1/2022

Idee, dass Steuerpflichtige und deren Berater entdeckte „Schlupflöcher“ dem Finanzamt mitteilen müssen bei ansonsten drohender Geldbuße von bis zu 25.000 Euro. Man kann dies als Skandal und Verfassungsbruch auf europäischer Ebene auffassen und befindet sich dabei u.a. in Gesellschaft des belgischen Verfassungsgerichtshofs, der die Vereinbarkeit von DAC 6 wegen der dort angeordneten Einschränkung des Mandatsgeheimnisses mit der EU-Grundrechts-Charta (Art. 47: Recht auf ein faires Verfahren und Art. 7: Recht auf Achtung des Privatlebens) bezweifelt. Er hat die Frage (aus einem Ausgangsverfahren u.a. zwischen dem belgischen Steuerberaterverband und der flämischen Regierung) dem Europäischen Gerichtshof zur Entscheidung vorgelegt.15 15 Rs. C-694/20, anhängig. Die EU-Richtlinie erlaubt dem nationalen Gesetzgeber, den schweigepflichtigen Beratern (nach Sprachgebrauch von DAC 6: „Intermediären“) anstelle eigener Mitteilungspflichten „nur“ aufzuerlegen, ihre Mandanten (und ggf. weitere beteiligte Intermediäre) auf dortige Mitteilungspflichten hinzuweisen. Es liegt auf der Hand, dass in vielen – wenn nicht den meisten – Fällen der Mandant schon aus fachlichen Gründen die Erfüllung der Meldepflichten dann wieder seinem Berater übertragen wird.16 16 So auch Uwer, AnwBl 2019, 327, 330 ff. Der deutsche Gesetzgeber verlangt (seit dem 1.7.2020) in § 138d-138h AO (u.a.) von Rechtsanwälten, „dem Bundeszentralamt für Steuern nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz ... über die amtlich bestimmte Schnittstelle“ (§ 138f I AO) binnen 30 Tagen nach der Beratung (§ 138f II AO) Namen, Geburtstag und -ort, Adresse und Steuernummer des Mandanten (neben den eigenen), eine Beschreibung der steuerlichen Gestaltung und den Betrag der Steuerersparnis (!) mitzuteilen (§ 138f III AO). Von der (halbherzigen) Einschränkung in DAC 6 (Möglichkeit des Berufsverschwiegenen, seine Meldepflichten auf den Mandanten „abzuwälzen“) hat der deutsche Gesetzgeber in einer völlig praxisfernen und störanfälligen Variante Gebrauch gemacht: Für Teile der Anzeigepflichten kann der Mandant – wenn er den Anwalt nicht von der Verschwiegenheitspflicht befreit – die Meldung selbst erstatten. Der Anwalt muss dann aber sicherstellen, dass die Meldung durch den Mandanten tatsächlich erfolgt. 2. BEWERTUNG UND AUSBLICK Der europäische Gesetzgeber hat mit DAC 6 und ihm folgend der deutsche Gesetzgeber in §§ 138d ff. AO eine „rote Linie“ überschritten. Verschwiegenheitspflichtige Berater werden staatlich in Dienst genommen, um über ihre Mandanten und das Beratungsgeheimnis an die „zuständigen staatlichen Stellen“ zu berichten. Das Mandatsgeheimnis ist damit für diesen Beratungsbereich schlicht abgeschafft. Es betrifft naturgemäß bei steuerlichen Gestaltungen zuvörderst die Vertraulichkeit der Kommunikation zwischen Mandant und Anwalt gegenüber der Finanzbehörde. Diese Vertraulichkeit ist nun gesetzlich verboten. Mehr noch: Der berufsverschwiegene Anwalt ist nicht „nur“ auf Nachfrage der Finanzbehörde auskunftspflichtig, sondern hat die aus Behördensicht interessanten Daten unaufgefordert und routinemäßig nach amtlichem Muster zu melden. Es steht zu hoffen, dass im Vorabentscheidungsverfahren beim EuGH die Unvereinbarkeit der Richtlinienvorgaben mit der Europäischen Grundrechtecharta festgestellt wird. Davon unabhängig bleibt es Aufgabe des Berufsstandes, sich nicht mit derartigen Regeln abzufinden, sondern sie (wenn nötig über lange Zeit) anzugreifen und auf eine Wiederherstellung der Balance zwischen den Interessen des Staates und des Einzelnen (= Mandanten) zu drängen. Daneben beinhaltet die Neuregelung erheblichen bürokratischen Aufwand und wirft zahlreiche Detailfragen auf, zu deren (teilweiser) Beantwortung inzwischen ein BMF-Schreiben vorliegt.17 17 BMF-Schreiben v. 29.3.2021, Dok.-Nr. 2021/0289747. Diese Detailfragen zur Anwendung bilden aber nicht den Kernpunkt anwaltlicher Kritik – er liegt vielmehr in der vollständigen „Verstaatlichung“ grenzüberschreitender Steuerberatung. III. FAZIT Bei den althergebrachten Auseinandersetzungen zwischen Finanzverwaltung und Anwaltschaft, in welchem Ausmaß Mandatsgeheimnisse dem Finanzamt offengelegt werden müssen und dürfen, gibt die neuere Rechtsprechung18 18 BFH, Urt. v. 7.6.2021 – VIII R 24/18. Anlass zur vorsichtigen Hoffnung auf eine etwas höhere Gewichtung des Mandatsgeheimnisses. Gleichzeitig hat der Gesetzgeber für den Bereich grenzüberschreitender Steuerberatung (in DAC 6 und §§ 138d ff. AO) das Mandatsgeheimnis abgeschafft. Sowohl die vertrauliche (auch gegen staatlichen Zugriff geschützte) Rechtsberatung, als auch die effektive und gerechte Steuererhebung sind wichtige Merkmale und Ziele eines Rechtsstaates. Sie stehen miteinander teils im Konflikt und müssen auch künftig permanent austariert werden. Bei nachlassenden Bemühungen der Anwaltschaft können Mandatsgeheimnis und dahinterstehende Verfassungspositionen durchaus „ins Hintertreffen geraten“. WAGNER, STEUERLICHE OFFENLEGUNGSPFLICHTEN DES ANWALTS AUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 1/2022 19

RkJQdWJsaXNoZXIy ODUyNDI0