BRAK-Mitteilungen 1/2022

BEWEISWIRKUNG DES EMPFANGSBEKENNTNISSES Für die Widerlegung der Richtigkeit des in einem anwaltlichen Empfangsbekenntnis angegebenen Zustellungsdatums genügt das Verstreichen eines ungewöhnlich langen Zeitraums zwischen der gerichtlichen Verfügung und diesem Datum nicht. BGH, Beschl. v. 7.10.2021 – IX ZR 41/20 Nachdem die per Fax ans Gericht übermittelte Berufungsbegründung erst nach Ablauf der bereits verlängerten Frist beim Landgericht eingegangen war, verwarf dieses die Berufung mit Beschluss vom 9.3.2020 als unzulässig. Vor Erlass dieses Beschlusses hatte das Gericht dem Kläger mit Verfügung vom 18.2.2020 Gelegenheit zur Stellungnahme mit Fristsetzung zum 6.3.2020 gegeben. Laut Empfangsbekenntnis (EB) ist dem Kläger diese Verfügung aber erst am 10.3.2020 zugegangen, so dass er nicht mehr vortragen konnte, dass zum Zeitpunkt des Berufungseingangs das Faxgerät des Gerichts noch auf Sommerzeit gestellt war. Bei korrekter Zeitangabe wäre der Schriftsatz rechtzeitig eingegangen. Das LG hatte also die Berufung verworfen, obwohl die rechtzeitige Zustellung der Verfügung noch nicht sicher nachvollzogen werden konnte. Darin sieht der BGH eine Verletzung des rechtlichen Gehörs. Nach ständiger Rechtsprechung müsse der Berufungskläger vor Verwerfung angehört werden. Das Empfangsbekenntnis beweise das darin angegebene Zustellungsdatum, womit der Gegenbeweis zwar nicht ausgeschlossen sei. Die Beweiswirkung des EB müsse allerdings vollständig entkräftet werden; jede Möglichkeit der Richtigkeit des EB müsse also ausgeschlossen werden. Allein ein ungewöhnlich langer Zeitraum zwischen der Verfügung und der Zustellung laut EB reiche dafür nicht aus, zumal der Kläger hier auch noch mit Belegen erklären konnte, dass immer wieder Verwechselungen bei seinem Anwaltspostfach vorkommen würden. Die Sache wurde zurückverwiesen, um dem Gericht Gelegenheit zu geben, dem Vorbringen zur fehlerhaften Fax-Einstellung nachzugehen. (bc) Das elektronisch zurückgesandte Empfangsbekenntnis erbringt nach Maßgabe der § 371a I und § 416 ZPO als privates elektronisches Dokument ebenso wie ein auf dem Postweg zurückgesandtes Empfangsbekenntnis Beweis sowohl für die Entgegennahme der in ihm bezeichneten Schriftstücke als auch für den Zeitpunkt von deren Empfang. Der Gegenbeweis, dass der in einem elektronisch zurückgesandten Empfangsbekenntnis ausgewiesene Zustellungsinhalt unrichtig ist, ist möglich, setzt aber voraus, dass die Beweiswirkung des Empfangsbekenntnisses zur Überzeugung des Gerichts vollständig entkräftet wird (hier unter Berücksichtigung des Prüfvermerks, der Eingangsbestätigung und der xJustiz-Nachrichten verneint). Sächsisches OVG, Beschl. v. 27.10.2021 – 5 A 237/21 Hier hatte der Prozessbevollmächtigte geltend gemacht, er habe die Berufungsbegründungsfrist deshalb nicht versäumt, weil er den Beschluss des Senats über die Zulassung nicht erhalten, sondern lediglich den Empfang des Beschlusses über den Streitwert bestätigt habe. Das ließ das OVG nicht gelten. Tatsächlich war elektronisch nachvollziehbar, dass der Zulassungsbeschluss per beA übersandt worden war und der Prozessbevollmächtigte das EB auch elektronisch zurückgesandt hatte. Das hatte den Beweis in gleicher Weise erbracht, wie es im zuvor geschilderten Fall des BGH auch erläutert wurde. Diese Beweiswirkung konnte hier der Kläger nicht entkräften, zumal dem Prüfvermerk zum elektronischen Empfangsbekenntnis (eEB) zu entnehmen war, dass sich das eEB, das der Prozessbevollmächtigte des Klägers signiert hatte, nicht auf den Streitwertbeschluss beziehen konnte. Dass der Prozessbevollmächtigte das beim Gericht vorhandene Empfangsbekenntnis zum ersten Mal gesehen haben will, sei systembedingt, da ihm lediglich gem. § 174 III, IV 4 und 5 ZPO ein strukturierter Datensatz zur Verfügung gestellt wurde, den er dann mittels beA benutzt habe. Vor der Empfangsbestätigung sollte man also genau prüfen, was man tatsächlich per beA erhalten hat. (bc) FRISTENEINTRAGUNG VOR RÜCKGABE EB GILT AUCH BEI VERWENDUNG DES beA 1. Rechtsanwälte müssen gewährleisten, dass das für den Lauf einer Rechtsmittelfrist maßgebliche Datum der Urteilszustellung in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise ermittelt wird; hierzu bedarf es eines besonderen Vermerks, wann die Zustellung des Urteils erfolgt ist. Um sicherzustellen, dass ein solcher Vermerk angefertigt wird und das maßgebende Datum zutreffend wiedergibt, darf der Rechtsanwalt das Empfangsbekenntnis über eine Urteilszustellung regelmäßig erst unterzeichnen und zurückgeben, wenn in den Handakten die Rechtsmittelfrist festgehalten und vermerkt ist, dass die Frist im Fristenkalender notiert worden ist (wie BVerwG, Beschl. v. 23.6.2011 – 1 B 7.11). 2. Das gilt auch bei Abgabe eines elektronischen Empfangsbekenntnisses über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA). OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 27.9.2021 – 8 A 1144/21 Die Fristversäumung hätte letztlich dadurch vermieden werden können, dass die Eintragung in den Fristenkalender konsequent vor der Rücksendung des EB’s per beA eingetragen worden wäre. Die Kalendereintragung erfolgte hier allerdings anhand des Eingangsstempels des Anwaltsbüros. Die Daten fielen auseinander. Das OVG hält also nachvollziehbar die gleichen Sicherungsmechanismen für die Fristeintragung in den Fristenkalender für notwendig wie dies „von Alters her“ schon immer für die Bearbeitung mit Papierakten der Fall war. (bc) JUNGK/CHAB/GRAMS, PFLICHTEN UND HAFTUNG DES ANWALTS – EINE RECHTSPRECHUNGSÜBERSICHT AUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 1/2022 31

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