URHEBERRECHTLICHER SCHUTZ ANWALTLICHER SCHRIFTSÄTZE UrhG §§ 2 I Nr. 1, 12; HmbTG §§ 1 II, 9 I 1. Zur Frage des Informationszugangs zu einem anwaltlichen Schriftsatz. 2. Nach den vom BVerwG in seinem Urteil v. 26.9. 2019 (7 C 1/18, GRUR 2020, 189) aufgezeigten Maßstäben setzt auch der Urheberrechtsschutz eines anwaltlichen Schriftsatzes nicht (mehr) voraus, dass er nach dem Gesamteindruck der konkreten Gestaltung bei einer Gegenüberstellung mit der durchschnittlichen Gestaltertätigkeit das Alltägliche, Handwerksmäßige, bloße mechanisch-technische Aneinanderreihen von Material deutlich überragt (a.A. noch BGH, Urt. v. 17.4.1986 – I ZR 213/ 83, GRUR 1986, 739). OVG Hamburg, Urt. v. 20.9.2021 – 3 Bf 87/18 AUS DEM TATBESTAND: Die Kl. wenden sich gegen die Herausgabe eines anwaltlichen Schriftsatzes durch die Bekl. an den Beigel. auf der Grundlage des Hamburgischen Transparenzgesetzes. Die Kl. zu 1) ist ein Unternehmen der Tabakindustrie, das im Wege der Verschmelzung die ursprüngliche Kl. zu 1) übernommen hat. Der Kl. zu 2) hat als Rechtsanwalt für die ursprüngliche Kl. zu 1) im Zuge eines die Untersagung bestimmter werblicher Angaben auf Zigarettenpackungen betreffenden Verfahrens gegenüber der Bekl. einen neunseitigen v. 15.10.2015 datierenden Schriftsatz eingereicht. Der Kl. zu 3) ist ebenfalls Rechtsanwalt in der Kanzlei, für die der Kl. zu 2) tätig ist. Unter Berufung auf das Hamburgische Transparenzgesetz beantragte der Beigel. mit E-Mails v. 16. und 17.2. 2016 bei der Bekl., ihm diesen Schriftsatz durch Überlassung einer Kopie zugänglich zu machen. Auf die ihnen von der Bekl. eingeräumte Gelegenheit zur Stellungnahme hin widersprachen dem die Kl., weil hierin eine Verletzung ihres Urheberrechts liege. Mit Bescheid v. 23.5.2016 teilte die Bekl. dem Beigel. mit, dass sie seinem Antrag nach Bestandskraft des Bescheides entsprechen werde. Geschwärzt würden die Angaben zur Produktionsumstellung sowie Namen und Unterschrift des handelnden Rechtsanwalts. Hierüber wurden die Kl. in Kenntnis gesetzt. Gegen den Bescheid v. 23.5.2016 legten die Kl. mit gemeinsamen Schreiben v. 23.6.2016 Widerspruch ein. Die Kl. zu 2) und 3) könnten eine Verletzung ihrer Urheberrechte geltend machen, insb. eine Verletzung ihres Erstveröffentlichungsrechts aus § 12 Urheberrechtsgesetz (im Folgenden: UrhG) sowie der Verwertungsrechte aus §§ 15 ff. UrhG. Die Kl. zu 1) könne eine Verletzung ihrer urheberrechtlichen Nutzungsrechte geltend machen, die ihr von den Kl. zu 2) und 3) bzw. der Kanzlei (...) D. im Rahmen des anwaltlichen Mandatsverhältnisses zur ausschließlichen Nutzung übertragen worden seien. Der betreffende Schriftsatz sei ein geschütztes Werk, das noch nicht veröffentlicht worden sei. Der Schriftsatz stelle eine persönliche geistige schöpferische Leistung dar. Für die Stellungnahme hätten die Verfasser den für den Rechtsstreit relevanten rechtlichen Hintergrund durchdrungen, der Rechtsprechung des BGH sowie deutsches und europäisches Tabakrecht umfasse. Dabei hätten sie eine rechtswissenschaftlich systematische Unterscheidung zwischen der Bewertung von Aussagen in der Werbung und auf der Packung vorgenommen. Insbesondere hätten sie den Vorrang des europäischen Tabakproduktrechts vor der deutschen tabakwerberechtlichen Regelung herausgearbeitet, was als solches bereits eine eigene und schöpferische Leistung darstelle, da dieses Verhältnis bisher weder in der Rechtsprechung noch in der Literatur erörtert worden sei. Desweiteren hätten sie eine eigene, mehrere Gliederungsebenen umfassende Strukturierung des Stoffes vorgenommen. Auch innerhalb der einzelnen Gliederungsebenen folge der Schriftsatz einer individuell gewählten Anordnung der verschiedenen Argumente, Überlegungen und Einschätzungen. Das schöpferische Element finde also seinen Niederschlag auch in der Form und Art der Sammlung, der Einteilung und Anordnung des dargebotenen Stoffes. Mit weitgehend inhaltsgleichen Bescheiden v. 26.10. 2016, der Kl. zu 1) ausweislich des Eingangsstempels auf dem als Anlage eingereichten Bescheid zugegangen am 31.10.2016 und den Kl. zu 2) und 3) laut Mitteilung der Bekl. zugegangen am 29.10.2016 (Schriftsatz v. 13.6.2017), wies die Bekl. die Widersprüche zurück. Der streitgegenständliche Schriftsatz stelle kein Werk i.S.d. § 2 UrhG dar. Ob ein anwaltlicher Schriftsatz als ein Schriftwerk i.S.d. Urheberrechts anzusehen sei, hänge davon ab, ob er als wissenschaftliches Werk qualifiziert werden könne. Nach der Rechtsprechung sei dies nur unter engen Voraussetzungen der Fall. Bei wissenschaftlichen Werken finde der für das Urheberrecht erforderliche geistig-schöpferische Gehalt seinen Niederschlag und Ausdruck in erster Linie in der Form und Art der Sammlung, Einteilung und Anordnung des dargebotenen Stoffes und nicht ohne weiteres auch in der Gedankenformung und -führung des dargebotenen Inhalts. Geschützt sei demnach nicht der Inhalt (also zum Beispiel die Neuheit oder Originalität der in dem Text geäußerten Gedanken), sondern nur die Darstellungsform. Es komme darauf an, ob die Auswahl, Zusammenstellung und Darstellung der inhaltlichen Elemente (Fakten und Erkenntnisse) sich von der üblicherweise oder gar notwendigen Gestaltung abhöben, sich also als besonders originelle Eigenleistung des Verfassers oder der Verfasserin darstelle und dadurch die Schöpfungshöhe eines urheberrechtlich schutzfähigen Werkes erlange. Gemessen an diesen Voraussetzungen könne der Schriftsatz nicht als Schriftwerk i.S.d. § 2 I Nr. 1 UrhG qualifiziert werden. Eine besondere Leistung könne dem Aufbau nicht entnommen werden. Es handele sich hier um einen üblichen und logischen Aufbau eines anwaltSONSTIGES BERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG BRAK-MITTEILUNGEN 1/2022 55
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