BRAK-Mitteilungen 1/2022

lichen Schriftsatzes bzw. Gutachtens. Im Grunde werde auf einen naheliegenden, für eine juristische Arbeit typischen Aufbau zurückgegriffen. Aus der Gliederung lasse sich keine originelle Eigenleistung des Verfassers herleiten. Wie in der juristischen Arbeit üblich würden innerhalb der Gliederungspunkte die jeweilige Rechtslage dargestellt, das Verhältnis von europäischem Recht zu nationalen Vorschriften herausgearbeitet, die entsprechenden Tatbestände ausgelegt, der vorliegende Sachverhalt in einzelne Handlungen und Gegenstände aufgeteilt, diese jeweils unter die dargestellte Rechtslage subsumiert und das Ergebnis zusammenfassend dargestellt. Die Art und Form der Vorgehensweise entspreche der üblichen juristisch-handwerklichen Handlungsweise. „Originell“ im Sinne des Urheberrechts sei diese Herangehensweise keineswegs. Vielmehr sei es die für eine Stellungnahme geradezu typische, funktionelle Vorgehensweise. (...) Am 29.11.2016 haben die Kl. Klage erhoben. Der angegriffene Verwaltungsakt werde bereits auf die falsche Rechtsgrundlage gestellt. Einschlägig seien die vorrangigen Spezialvorschriften der Strafprozessordnung, § 475 StPO. Die streitgegenständliche Stellungnahme sei in einem Verfahren erfolgt, in dem die Bekl. ihr, der Kl. zu 1), einen Verstoß gegen § 22 II 1 Nr. 2 Vorläufiges Tabakgesetz (im Folgenden: VTabakG) vorgeworfen habe. Dies stelle gem. § 53 II Nr. 1 VTabakG einen Ordnungswidrigkeitentatbestand dar. Der angegriffene Verwaltungsakt verletze sie, die Kl., überdies in ihren Urheberrechten. Die Bekl. verkenne den Schutzumfang des Urheberrechts im Fall von Anwaltsschriftsätzen. Die Annahme, entscheidend sei nicht die inhaltliche Ausgestaltung, sondern die Form und Art der Sammlung, die Einteilung und Anordnung des Stoffes, möge die inhaltliche Gestaltung auch noch so innovativ und einmalig sein, sei falsch. Der BGH halte daran fest, dass ein schöpferischer Gehalt im wissenschaftlichen Werk (bereits) in der Darstellung liegen könne und ein schöpferischer Inhalt (darüber hinaus) nicht zwingend erforderlich sei. Es sei logisch unzutreffend, daraus den Gegenschluss zu ziehen, dass es auf den Inhalt nicht ankomme, mithin ein inhaltlich schöpferisches (wissenschaftliches) Werk keinen Urheberrechtsschutz genießen könne. (...) Die Kl. haben beantragt, den Bescheid v. 23.5.2016 und die Widerspruchsbescheide v. 26.10.2016 aufzuheben. Die Bekl. hat beantragt, die Klage abzuweisen. (...) Der Beigeladene hat sich nicht geäußert und keinen Antrag gestellt. Das Verwaltungsgericht hat durch Urteil aufgrund mündlicher Verhandlung v. 29.11.2017, der Bekl. zugestellt am 21.2.2018, der Klage stattgegeben. Die angegriffenen Bescheide seien rechtswidrig und verletzten die Kl. in ihren Rechten. Grundsätzlich sei die Bekl. gem. § 1 II HmbTG verpflichtet und insofern gegenüber den Kl. berechtigt, dem Beigeladenen Zugang zu dem streitgegenständlichen Schriftsatz zu verschaffen. Die Bekl. sei unzweifelhaft gem. § 2 V HmbTG auskunftspflichtig. Ebenso wenig unterliege es Zweifeln, dass der fragliche Schriftsatz als Information i.S.d. Hamburgischen Transparenzgesetzes anzusehen sei. (...) Jedoch stünden der Verpflichtung der Bekl. zur Weitergabe der Information als spezialgesetzliche Regelungen i.S.v. § 9 I HmbTG die urheberrechtlichen Veröffentlichungs- und Verwertungsrechte entgegen. Der streitgegenständliche Schriftsatz sei ein schutzwürdiges Werk i.S.d. § 2 II UrhG. Zwar seien die einem Verwaltungsverfahren zugrundeliegenden Schreiben und Unterlagen regelmäßig nicht urheberrechtlich geschützt. Hierzu seien typischerweise auch Anwaltsschriftsätze zu rechnen. Dies bedeute jedoch keineswegs, dass Anwaltsschriftsätze als solche generell nicht urheberrechtsfähig sein könnten. Wenn ihnen für den Regelfall der Urheberrechtsschutz abgesprochen werde, so deshalb, weil sie sich typischerweise auf die nach herkömmlichen methodischen Regeln erfolgende subsumtionsfähige Strukturierung von Tatsachenstoff und die methodisch-dogmatisch geordnete Subsumtion dieses Materials unter einschlägige Rechtsnormen beschränkten. Ob sie mehr oder weniger brilliant formuliert seien, ob sie methodische, dogmatische oder rechtspositive Kenntnisse mehr oder weniger deutlich erkennen ließen, sei dabei grundsätzlich unbeachtlich, weil und insofern es sich bei der methodischen juristischen Argumentation – der Zuordnung von Abstraktem und Konkretem – im Kern typischerweise um die (konkretisierende) Reproduktion von (abstrakt) Vorgegebenem handele. Dies werde die Zuerkennung einer hinlänglichen Individualisierung und Schöpfungshöhe für den Regelfall ausschließen. Anders verhalte es sich jedoch dann, wenn in einem solchen Schriftsatz gleichsam juristisches Neuland betreten und mit einer kreativen Gedankenführung, bislang unbekannten Argumenten oder Argumentationsmustern oder auf sonst wie originelle Weise rechtlich erschlossen, strukturiert und zur juristischen Begründung des gewünschten Ergebnisses fruchtbar gemacht werde. Das auch insoweit die Entfaltung rechtlicher Argumente einer spezifisch juristischen Methodik und Dogmatik verhaftet bleibe, stehe dem nicht entgegen. Dies liege in der Natur der Sache, nämlich in der Verpflichtung der Rechtswissenschaft auf ein solches wissenschaftliches Grundgerüst. So sei der streitgegenständliche Schriftsatz zu bewerten. (...) Im Übrigen habe sich die Kammer durch Einsichtnahme in den fraglichen Schriftsatz in der mündlichen Verhandlung hinlänglich davon Eindruck verschafft, dass er insoweit die Voraussetzungen für eine urheberrechtsfähige persönliche geistige Schöpfung erfülle. Die Kl. zu 2) und 3), die gem. § 7 UrhG als „Schöpfer“ des Werks Urheber seien, hätten hinsichtlich dieses Werkes das in § 12 I UrhG geregelte Recht zur (Erst)Veröffentlichung, das durch Herausgabe einer Kopie an den Beigeladenen verletzt würde. Auch eine Verletzung SONSTIGES BRAK-MITTEILUNGEN 1/2022 BERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG 56

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