BRAK-Mitteilungen 1/2022

EuGH, Urt. v. 16.7.2009 – C-5/08 [ECLI:EU:C:2009: 465], Infopaq – Rn. 33 ff. und zuletzt v. 13.11.2018 – C-310/17 [ECLI:EU:C:2018:899], Levola Hengelo – Rn. 33 ff., v. 29.7.2019 – C-469/17 [ECLI:EU:C:2019: 623], Funke Medien – Rn. 18 ff. und v. 12.9.2019 – C-683/17 [ECLI:EU:C:2019:721], Cofemel/G-Star – Rn. 29 ff.). Originalität ist dann gegeben, wenn der Gegenstand die Persönlichkeit seines Urhebers widerspiegelt, indem er dessen freie kreative Entscheidungen zum Ausdruck bringt. Daran fehlt es, wenn die Schaffung eines Gegenstands durch technische Erwägungen, durch Regeln oder durch andere Zwänge bestimmt wurde; Arbeitsaufwand oder bedeutende Sachkenntnis, die in die Gestaltung eingeflossen sind, genügen demnach nicht. Weist ein Gegenstand die erforderlichen Merkmale auf, muss er als Werk urheberrechtlich geschützt werden. Dabei hängt der Umfang dieses Schutzes nicht vom Grad der schöpferischen Freiheit seines Urhebers ab und ist nicht geringer als derjenige, der allen unter die Richtlinie fallenden Werken zukommt. Hiernach decken sich die grundsätzlichen Anforderungen an die Originalität als Voraussetzung eines urheberrechtlich geschützten Werks mit den nach § 2 II UrhG entwickelten Maßstäben. Damit ist aber zugleich auch eine einheitliche Schutzuntergrenze bezeichnet (so ausdrücklich Stieper, jurisPR-WettbewerbsR 12/2018 Anm. 1 ‹ zu EuGH, Urt. v. 13.11.2018 – C-310/17 8 , Erl. E; Ahlberg, in BeckOK Urheberrecht, Stand 20.4.2018, § 2 Rn. 162; bereits im Anschluss an das Urteil des BGH v. 13.11. 2013 – I ZR 143/12 – etwa Hoeren, Urteilsanmerkung MMR 2014, 333 ‹ 338 8 ; Dreyer, in Dreyer u.a., Urheberrecht, 4. Aufl. 2018, § 2 Rn. 66 f., sowie Leistner, EuZW 2016, 166 ‹ 167 8 ; A. Nordemann, in Fromm/ Nordemann, Urheberrecht, 12. Aufl. 2018, § 2 UrhG Rn. 38, 62a f.; Loewenheim, in Schricker/Loewenheim, Urheberrecht, 5. Aufl. 2017, § 2 UrhG Rn. 60; s.a. J.B. Nordemann/Czychowski, NJW 2019, 725 ‹ 726 8 ; v. Ungern-Sternberg, GRUR 2019, 1 ‹ 2 8 ; Bullinger, in Wandtke/Bullinger, Urheberrecht, 5. Aufl. 2019, § 2 Rn. 14 a.E.).“ bb) Diesen Ausführungen schließt sich das Berufungsgericht an. Auch der Urheberrechtsschutz eines anwaltlichen Schriftsatzes setzt daher entgegen der von der Bekl. noch unter Berufung auf das Urteil des BGH v. 17.4.1986 (I ZR 213/83, GRUR 1986, 739, juris Rn. 12) vertretenen Auffassung nicht (mehr) voraus, dass er nach dem Gesamteindruck der konkreten Gestaltung bei einer Gegenüberstellung mit der durchschnittlichen Gestaltertätigkeit das Alltägliche, Handwerksmäßige, bloße mechanisch-technische Aneinanderreihen von Material deutlich überragt. Unter Berücksichtigung der nach dem Vorstehenden nur noch zu stellenden Anforderungen genießt der streitgegenständliche Schriftsatz Urheberrechtsschutz i.S.d. § 2 UrhG. Eine Originalität im oben genannten Sinne kann dem Schriftsatz nicht abgesprochen werden. Für eine ausreichende Schöpfungshöhe spricht zunächst, dass der Schriftsatz – ohne die Unterschrift – nach Darstellung der Bekl. in ihren Widerspruchsbeausreichende Schöpfungshöhe scheiden immerhin acht Seiten umfasst (vgl. LG Hamburg, Urt. v. 8.12. 2016 – 310 O 124/16, ZUM-RD 2017, 496, juris Rn. 30 – Text mit einer Länge von elf teilweise längeren Sätzen). Auch ist der Text individuell und damit in origineller Weise gegliedert. Nach den übereinstimmenden Angaben der Bekl. und der Kl. stellt sich die Gliederung wie folgt dar: „1. Umfang und Grundlage der beabsichtigten Ordnungsverfügung a. Gegenstand b. Grundlage 2. Kein Verstoß gegen § 22 II Nr. 2 VTabakG a. Packung b. Werbung/und weiter hilfsweise auch für die Packung i) „Organic“ ii) „aus ökologischem Anbau“ 3. Kein übergeordnetes qualitatives Interesse zur sofortigen Vollziehung.“ Hierin kommt die freie kreative Entscheidung der Urheber zum Ausdruck. Der Einwand der Bekl., der Aufbau des Textes orientiere sich an einem für rechtswissenschaftliche Stellungnahmen und Schriftsätze üblichen funktionalen Schema, lässt unberücksichtigt, dass der gewählte Aufbau keinesfalls einem aus Sachgründen zwingend gebotenen Schema folgt, wie dies etwa bei gewöhnlichen Mahnschreiben oder presserechtlichen Warnschreiben der Fall sein mag, sondern trotz der bei juristischen Stellungnahmen durchweg bestehenden Gepflogenheiten im Aufbau allein schon im Hinblick auf die konkret in Rede stehende, komplexe Materie gleichwohl ein Spielraum für eine individuelle Gestaltung bleibt, den die Kl. genutzt haben (vgl. zu diesem Erfordernis zur Bejahung der Originalität: BGH, Urt. v. 17.4.1986 – I ZR 213/83, GRUR 1986, 739, juris Rn. 16). Diese Feststellung lässt sich auch ohne umfassende Kenntnis vom Inhalt des streitgegenständlichen Schriftsatzes treffen. Den Aufbau des Kernbereichs des Schriftsatzes – den Gliederungspunkt 2. – haben die Kl. – von der Bekl. unwidersprochen – in ihrer Berufungserwiderung v. 2.12.2019 wie folgt näher spezifiziert: Mit Blick auf die normativen Vorgaben für die Packungsgestaltung von Tabakprodukten wurde zunächst die Richtlinie 2002/37/EG (EU-Tabakprodukt-RL) mit der deutschen Tabakproduktverordnung in Verbindung gesetzt. Hiervon wurde das Rechtsregime der Richtlinie 2003/33/EG (EU-TabakwerbungRL) abgegrenzt und der Schluss gezogen, dass für die Packungsgestaltung die Vorgaben der TabakproduktVO abschließend seien. Sodann erfolgte eine Einzelbetrachtung von § 22 VTabakG und es wurde aufgezeigt, dass dem Urteil des BGH v. 4.11.2010 (Az. I ZR 139/09) – von den Kl. „Bio-Tabak-Urteil“ genannt – ein entsprechendes Verständnis zugrunde liegen müsse. Im Folgenden wurde die Rechtslage nach der Richtlinie 2014/40/ EU (Zweite Tabakprodukt-RL) – auch im Verhältnis zu § 22 VTabakG – dargestellt und festgehalten, dass das deutsche Verbot von Naturbezeichnungen nur für die Werbung, nicht jedoch für Packungsangaben gelte. Sodann wurden die Anforderungen an die Werbung für Tabakprodukte dargelegt, dies zugleich als Hilfsargumentation hinsichtlich der Zulässigkeit der vorliegenden Packungsgestaltung. In einem weiteren Schritt wurSONSTIGES BERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG BRAK-MITTEILUNGEN 1/2022 59

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