BRAK-Mitteilungen 1/2022

de die Bezeichnung „organic“ unter linguistischen Gesichtspunkten und mit Blick auf die angesprochenen Verkehrskreise analysiert mit dem Ergebnis, dass die Aussage „organic“ synonym mit der Aussage „aus ökologischem Anbau“ zu behandeln sei. Dieser Aufbau folgt individuellen Ordnungs- und Gestaltungsprinzipien und lässt erkennen, dass die Verfasser das Material, dem seinerseits eine nicht zwangsläufig vorgegebene Stoffauswahl zugrunde liegt, individuell in das Einzel- und Gesamtgeschehen eingeordnet haben (vgl. BGH, Urt. v. 17.4.1986, a.a.O. Rn. 16). So hätte der Aufbau auch etwa in umgekehrter Reihenfolge erfolgen können. Die Verfasser hätten auch zunächst die Rechtsprechung des BGH darstellen können, bevor sie sich den normativen Vorgaben widmeten. Dieser Beurteilung steht nicht entgegen, dass ggf. die einzelnen Passagen durch klassische Obersätze im Urteilsstil eingeleitet werden. Soweit die Bekl. moniert, dass in dem Schriftsatz ein BeHeranziehung von Normen und Rechtsprechung zug auf Normen, Verordnungen und EU-Recht erfolge, die Rechtsprechung des BGH herangezogen werde, sich die Verfasser der Auslegung und Subsumtion bedienten und letztendlich das Ganze mit einem Ergebnis abschlössen, lässt sie unberücksichtigt, dass die Anwendung der Denkgesetze und Fachkenntnisse und die Berücksichtigung von Erfahrungen einen Urheberrechtsschutz nicht ohne weiteres ausschließen, sondern vielmehr zum Wesen rechtswissenschaftlicher Tätigkeit gehören (vgl. BGH, Urt. v. 17.4.1986 – I ZR 213/83, GRUR 1986, 739, juris Rn. 15). Dies gilt namentlich für die Heranziehung von Normen und Rechtsprechung sowie für die Schritte der Auslegung und Subsumtion. Auch bei der Auswahl der einzelnen Wörter bestand ein Gestaltungsspielraum. Dass der Sprachstil und Ausdruck womöglich in dem Schriftsatz in dem üblichen nüchternen, funktionalen, juristischen Duktus gehalten ist, steht einer Schutzfähigkeit nicht entgegen. Dass die Wortwahl fest vorgegeben war, ist weder ersichtlich, noch wird dies von der Bekl. geltend gemacht. b) Das Erstveröffentlichungsrecht als einmaliges Recht ist in Bezug auf den streitgegenständlichen Anwaltsschriftsatz noch nicht verbraucht. Mit der Einreichung bei der Behörde ist der Schriftsatz noch nicht im Rechtssinne veröffentlicht worden; damit ist auch keine (konkludente) Zustimmung zu einer späteren Veröffentlichung verbunden (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.9.2019 – 7 C 1/18, GRUR 2020, 189, juris Rn. 25). § 6 I UrhG legt fest, dass ein Werk veröffentlicht ist, wenn es mit Zustimmung des Berechtigten der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist. Erschienen ist ein Werk, wenn mit Zustimmung des Berechtigten Vervielfältigungsstücke des Werks nach ihrer Herstellung in genügender Anzahl der Öffentlichkeit angeboten oder in Verkehr gebracht worden sind (§ 6 II 1 UrhG). Unter Öffentlichkeit i.S.v. § 6 I UrhG ist ein nicht von vornherein bestimmt abgegrenzter Personenkreis möglicher Rezipienten des Werks zu verstehen, mit dem keine persönliche Verbundenheit des Urhebers oder Nutzungsberechtigten besteht und dem das Werk sinnlich wahrnehmbar gemacht wird (OVG Münster, Urt. v. 24.11.2017 – 15 A 690/16, juris Rn. 94 ff. m.w.N.). Die Zugänglichmachung eines Werks im Verständnis des § 6 I UrhG ist ein einmaliger, irreversibler Akt. Dieser ist dann vollzogen, wenn die Öffentlichkeit die tatsächliche Möglichkeit erhalten hat, den Inhalt des Werks gleich auf welche Weise durch die Sinne wahrzunehmen. Die Zugänglichmachung muss mit Zustimmung des Berechtigten erfolgen. Die Zustimmung kann auch formlos erteilt werden oder sich aus den Umständen ergeben (OVG Münster, Urt. v. 24.11.2017 – 15 A 690/16, a.a.O. Rn. 97 ff. m.w.N.). Dies zugrunde gelegt ist mit der Einreichung bei der Behörde der Schriftsatz noch nicht im Rechtssinne veröffentlicht worden. Eine anwaltliche Stellungnahme in einem ordnungsbehördlichen Verfahren richtet sich nicht an die Öffentlichkeit als unbestimmten, nicht von vornherein abgrenzbaren Personenkreis. Er ist nur an die Behörde und deren Bedienstete adressiert, die für das ordnungsbehördliche Verfahren zuständig sind. Mit der Einreichung wird nur darin eingewilligt, dass die zuständige Behörde und ihre Mitarbeiter von dem Schriftsatz Kenntnis erlangen. Die Zustimmung, dass hiermit zugleich der Öffentlichkeit – also potentiell jedermann – der Zugang zu dem Schriftsatz eröffnet werden soll, wird hiermit weder ausdrücklich noch konkludent erteilt. c) Mit der Gewährung des Informationszugangs würde in das Erstveröffentlichungsrecht nach § 12 UrhG eingegriffen. Eine Veröffentlichung kann nicht unter Hinweis darauf verneint werden, dass hier nur der Informationszugang des Beigel. und folglich eines Einzelnen, nicht aber der eines unbestimmten und unbegrenzten Personenkreises zur Entscheidung stehe. Denn damit würde zu Unrecht ausgeblendet, dass der voraussetzungslose Anspruch nach § 1 II Alt. 1 HmbTG von jedermann geltend gemacht werden kann und das Werk vor diesem Hintergrund der Sache nach dem Zugriff der Öffentlichkeit ausgesetzt ist (BVerwG, Urt. v. 25.6.2015 – 7 C 1.14, BVerwGE 152, 241, juris Rn. 37); auch hier sind kumulative Wirkungen durch die sukzessive Kenntnisnahme über längere Zeiträume zu berücksichtigen (BVerwG, Urt. v. 26.9.2019 – 7 C 1/18, GRUR 2020, 189, juris Rn. 41). Hinzu kommt, dass davon auszugehen ist, dass der Beigel. den streitgegenständlichen Schriftsatz auf der vom Aktionszentrum Forum Rauchfrei betriebenen Internetseite veröffentlichen würde. d) Sowohl die Kl. zu 2) und 3) als auch die Kl. zu 1) können sich auf die Verletzung urheberrechtlicher Rechtspositionen berufen. aa) Das Erstveröffentlichungsrecht nach § 12 UrhG steht als Teil des Urheberpersönlichkeitsrechts dem Urheber des Werkes (§ 7 UrhG) zu. Urheber des Werkes sind die Kl. zu 2) und 3). Wirken bei der Entstehung eines Werkes mehrere Personen mit, so beurteilt sich die Frage der Urheberschaft SONSTIGES BRAK-MITTEILUNGEN 1/2022 BERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG 60

RkJQdWJsaXNoZXIy ODUyNDI0