BRAK-Mitteilungen 2/2022

sichersten Weges1 1 St. Rspr., z.B. BGH, NJW 1988, 486; NJW 1996, 2648; NJW 2012, 2435. schon bei der Wortwahl des Vergleichs Klarheit schaffen, damit es keinen Anlass zu Zweifeln gebe, und ein Auslegungsrisiko vermeiden. Zwar sei der Wortlaut des Vergleichs hier für sich genommen eindeutig, da auch künftige Ansprüche und damit auch solche künftigen Ansprüche, die erst künftig auf Dritte übergehen würden, von der Abgeltung erfasst würden. Danach wären Ansprüche der Klägerin wegen künftiger Behandlungskosten mit abgegolten. Hierauf habe sich auch der Haftpflichtversicherer des Arztes berufen, so dass sich das Auslegungsrisiko verwirklicht habe. Der Anwalt sei gegenüber seinem Mandanten verpflichtet gewesen, dessen Obliegenheit gegenüber seinem Krankenversicherer aus § 11 MB/KK 2009 zu beachten, einen Forderungsübergang nach § 67 VVG a.F. (jetzt § 86 VVG) nicht zu beeinträchtigen. Durch diese anwaltliche Pflichtverletzung sei jedoch kein Schaden entstanden, da der Vergleich im Ergebnis und entgegen seinem Wortlaut dahin auszulegen sei, dass die Abgeltungsklausel den Anspruch auf Ersatz künftiger Heilbehandlungskosten nicht mit umfasse. Mit der Arzthaftungsklage seien keine Heilbehandlungskosten geltend gemacht worden, für die der Krankenversicherer Leistungen erbracht hatte oder zu erbringen gehabt hätte. Auch im Rahmen der Vergleichsverhandlungen sei es nicht um solche Kosten gegangen. In dem vor Vergleichsschluss ergangenen Grund- und Teilurteil sei – insofern abweichend von der Vergleichsformulierung – festgestellt worden, dass die dort beklagte Ärztin verpflichtet sei, Schäden zu ersetzen, soweit Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen seien bzw. übergehen würden. Unter diesen Umständen sei es fernliegend, dass mit dem Vergleich auch Ansprüche auf Erstattung künftiger Heilbehandlungskosten, die dann auf den Versicherer übergehen, abgegolten sein sollten. Es sei eine nach beiden Seiten interessengerechte Auslegung vorzunehmen; im Zweifel sei der Auslegung der Vorzug zu geben, die zu einem vernünftigen, widerspruchsfreien und den Interessen beider Vertragsparteien gerecht werdenden Ergebnis führt. Es sei nicht davon auszugehen, dass der Mandant seine versicherungsvertraglichen Obliegenheiten gegenüber seinem Krankenversicherer verletzen wollte. Auch nach dem im Arzthaftungsprozess gestellten Klageantrag und dem Tenor des Grund- und Teilurteils seien Ansprüche ausgenommen, die erst künftig auf die hiesige Klägerin übergehen. Aus der Entscheidung ergibt sich, dass der Arzthaftpflichtversicherer sich gegenüber dem Krankenversicherer auf die Abgeltungsklausel des Vergleichs berufen hat. Gerichtlich geklärt wurde dies in jenem Rechtsverhältnis aber offenbar nicht, sondern der Krankenversicherer verklagte den Anwalt. Die jetzige Entscheidung entfaltet aber gegenüber dem Arzthaftpflichtversicherer keine Bindungswirkung. Dies ist für den Krankenversicherer nicht ungefährlich. Nach dem Gebot des sichersten Wegs hätte der Krankenversicherer wohl besser (zuerst) den Arzthaftpflichtversicherer verklagt und dort dem Anwalt den Streit verkündet. (hg) PROGNOSTISCHE BETRACHTUNG, GESAMTVERMÖGENSVERGLEICH 1. Ein Rechtsanwalt verhält sich nicht pflichtwidrig, wenn er dem mit einem Antrag der kassenärztlichen Vereinigung auf Entziehung der Kassenarztzulassung wegen gröblicher Verletzung seiner vertragsärztlichen Pflichten konfrontierten Mandanten unter zutreffender Berücksichtigung aller im Beratungszeitpunkt bekannten tatsächlichen und rechtlichen Umstände empfiehlt, freiwillig auf die Zulassung zu verzichten. 2. Nimmt der Mandant nach freiwilligem Verzicht auf die Kassenarztzulassung den Rechtsanwalt wegen fehlerhafter Beratung auf Schadensersatz in Anspruch, sind bei der Schadensberechnung die hypothetische Vermögenslage bei Fortführung auch der vormaligen vertragsärztlichen Praxis und die reale Vermögenslage nach Zulassungsverzicht jeweils in Gänze einander gegenüberzustellen. OLG Saarbrücken, Urt. v. 9.12.2021 – 4 U 30/21, GesR 2022, 125 Der klagende Mandant war Arzt und hatte eine Zulassung als Arzt für Transfusionsmedizin. Die kassenärztliche Vereinigung Saarland leitete ein Verfahren zur Entziehung der vertragsärztlichen Zulassung gegen ihn wegen erheblicher unzulässiger Abrechnungspraktiken ein. Die beklagten Rechtsanwälte erklärten für den Kläger den Verzicht auf die Zulassung. Dieser praktizierte in der Folge privatärztlich, sodann in Rheinland-Pfalz. Die kassenärztliche Vereinigung erließ einen Regressbescheid zur Rückzahlung abgerechneter Leistungen, gegen den die Beklagten Widerspruch einlegten. Das durch neue Prozessbevollmächtigte geführte Klageverfahren endete erfolgreich, auch ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen Betrugs wurde nach § 170 II StPO eingestellt. Ein Antrag des Klägers auf erneute Zulassung wurde im Hinblick auf eine wegen Überversorgung angeordnete Zulassungsbeschränkung zunächst abgelehnt, später erhielt er eine Zulassung mit halbem Versorgungsauftrag in Rheinland-Pfalz. Der gegen die Beklagten gerichtete Vorwurf betraf deren Empfehlung, die kassenärztliche Zulassung freiwillig zurückzugeben. Sie hätten die Vorwürfe der Kassenärztlichen Vereinigung fälschlicherweise als begründet angesehen und verkannt, dass der Kläger berechtigt gewesen sei, die fraglichen Leistungen gegenüber gesetzlich Versicherten zu erbringen und abzurechnen. Durch die fehlerhafte Beratung habe der Kläger seine kassenärztliche Praxis verloren, die er auf einen Rechtsnachfolger im Rahmen eines Nachbesetzungsverfahrens für mindestens 300.000 Euro hätte übertragen können. JUNGK/CHAB/GRAMS, PFLICHTEN UND HAFTUNG DES ANWALTS – EINE RECHTSPRECHUNGSÜBERSICHT BRAK-MITTEILUNGEN 2/2022 AUFSÄTZE 82

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