Nach einer weit verbreiteten Rechtsprechungspraxis der Landessozialgerichte soll bei der Bemessung der Terminsgebühr lediglich auf die Terminsdauer abgestellt werden. Der vorliegende Fall zeigt auf, dass diese Rechtsprechungspraxis nicht angemessen sein kann, denn zum Termin gehört natürlich auch dessen Vorbereitung, also das eigene Einlesen des Rechtsanwalts in den Verfahrensstand, nachdem seit der Hauptverhandlungsreife wegen der Belastung der Sozialgerichte durchschnittlich mehr als ein Jahr vergangen ist, sowie die Vorbereitung des Mandanten auf den anstehenden Hauptverhandlungstermin. Richtigerweise hat das LSG Thüringen die Terminsgebühr deshalb auch nicht im untersten Bereich des Gebührenrahmens angesetzt. c) DAUER DES FESTSETZUNGS- UND ERINNERUNGSVERFAHRENS In vielen Fällen unerträglich ist die Festsetzungsdauer in sozialrechtlichen Angelegenheiten. Bereits die von der Verwaltung gesetzten Fristen sind ein Ärgernis, die vielfachen Fristverlängerungen und die Dauer der Entscheidung erst recht. Das LSG Berlin-Brandenburg30 30 LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 17.2.2021 – L 37 SF 156/20 EK SF. hatte über einen Antrag auf Entschädigung wegen überlanger Dauer eines Festsetzungs- und anschließenden Erinnerungsverfahrens zu entscheiden. Beide Verfahren stellen ein Gerichtsverfahren i.S.v. § 198 VI Nr. 1 GVG dar, sind also entschädigungsfähig. Das LSG gesteht dem Gericht für das Festsetzungsverfahren eine Vorbereitungs- und Bedenkzeit von regelmäßig drei Monaten zu. Für das Erinnerungsverfahren soll dagegen eine Vorbereitungs- und Bedenkzeit von zwölf Monaten noch angemessen sein. Das ist schon kaum nachzuvollziehen. Schließlich handelt es sich um ein Verfahren, bei dem kein erheblicher Prüfungs- und Ermittlungsaufwand gegeben ist. Unglaublich ist der dann folgende Teil der Entscheidung, nach der eine finanzielle Entschädigung nicht gewährt wird, weil die Bedeutung des Festsetzungs- und Erinnerungsverfahrens nur untergeordnet sei und keine erhebliche wirtschaftliche Belastung des Antragstellers vorläge. Die in der sozialgerichtlichen Rechtsprechung zur Rechtsanwaltsvergütung zu beobachtende geradezu verachtende Einstellung treibt hier eine neue, herausragende Blüte. III. AUSBLICK Die Besprechung der gerichtlichen Entscheidungen kann keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben, es handelt sich um Entscheidungen, die dem Autor bedeutsam erscheinen. Die weitere Entwicklung der Gesetzgebung wird durch die Auswirkungen des Einsatzes von künstlicher Intelligenz in der Rechtsberatung und -vertretung, sowie in der Rechtsprechung beeinflusst sein. Hier gilt es die Entwicklungen kritisch zu beobachten und Fehlentwicklungen schnell zu begegnen. Es bleibt zu hoffen, dass der Gesetzgeber erkennt, dass die Pflichten des anwaltlichen Berufsrechts auch bei dem Einsatz neuer Technik nicht verzichtbar sind und dass der dem Rechtsanwalt im Verhältnis der gewerblichen Konkurrenz durch das Berufsrecht auferlegte Mehraufwand nicht nur durch den Schutz der Rechtsuchenden gerechtfertigt ist, sondern auch angemessen zu entgelten ist. PFLICHTEN UND HAFTUNG DES ANWALTS – EINE RECHTSPRECHUNGSÜBERSICHT RECHTSANWÄLTIN ANTJE JUNGK, RECHTSANWÄLTE BERTIN CHAB UND HOLGER GRAMS* * Die Autorin Jungk ist Leitende Justiziarin, der Autor Chabist Leitender Justiziar bei der Allianz Deutschland AG, München; der Autor Grams ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Versicherungsrecht in München. In jedem Heft der BRAK-Mitteilungen kommentieren die Autoren an dieser Stelle aktuelle Entscheidungen zum anwaltlichen Haftungsrecht. HAFTUNG KONTAKT PER E-MAIL, VERJÄHRUNG GESAMTSCHULDNERAUSGLEICH 1. Ein Rechtsanwalt schuldet dem Mandanten eine umfassende und erschöpfende Unterrichtung über den Verlauf eines für diesen geführten Prozesses. Hierzu muss er, sofern Probleme bei der Kontaktaufnahme auftreten, alle ihm bekannten Möglichkeiten ausschöpfen. Hierzu gehört auch die Verwendung einer E-Mail-Adresse. 2. Ein Ausgleichsanspruch aus einem Gesamtschuldverhältnis gem. § 426 I 1 BGB entsteht mit der Entstehung der Gesamtschuld im Außenverhältnis, also regelmäßig zum Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses. Unabhängig von der Ausprägung als Mitwirkungs-, Befreiungs- oder Zahlungsanspruch handelt es sich um einen einheitlichen Anspruch, der einer einheitlichen Verjährung unterliegt. Die Anspruchsentstehung ist demgemäß nicht JUNGK/CHAB/GRAMS, PFLICHTEN UND HAFTUNG DES ANWALTS – EINE RECHTSPRECHUNGSÜBERSICHT BRAK-MITTEILUNGEN 3/2022 AUFSÄTZE 140
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