BRAK-Mitteilungen 3/2022

führt, gerade aus der Urkunde selbst ergibt. Wenn eine derart mangelbehaftete Urkunde vom Anwalt erstellt oder geprüft werde, hafte letztlich der Anwalt. Zwar sei auch der Notar verpflichtet, den Willen der Parteien zu erforschen, den Sachverhalt zu klären und die Beteiligten über die rechtliche Tragweite des Geschäfts zu belehren. Die Haftungsprivilegierung des § 19 I BNotO schütze ihn allerdings in solchen Konstellationen regelmäßig vor erfolgreichen Inanspruchnahmen. Das war hier nicht der Fall, weil keine anwaltliche Pflichtverletzung vorlag. Die Abgrenzungen, die das LG Bremen hier vornimmt, sind sachgerecht. Anwälte sind nicht „Kindermädchen“ der Notare in Bezug auf deren ureigene Aufgaben. (bc) FRISTEN KEINE WIEDEREINSETZUNG BEI ANSCHLUSSBERUFUNG In die versäumte Frist zur Einlegung der Anschlussberufung gem. § 524 II 2 ZPO findet eine Wiedereinsetzung nach den Vorschriften der §§ 233 ff. ZPO nicht statt. BGH, Beschl. v. 25.1.2022 – VIII ZR 359/20 Gegen ein teilweise stattgebendes Urteil hatte der Kläger Berufung eingelegt, die Beklagte sodann Anschlussberufung. Diese wurde jedoch fälschlich an das Ausgangsgericht gerichtet und erst nach Fristablauf an das zuständige Berufungsgericht weitergeleitet. Das OLG München gewährte keine Wiedereinsetzung, weil es ein Verschulden des Prozessbevollmächtigen an der Fristversäumung sah. Der BGH befasst sich inhaltlich nicht mit der Wiedereinsetzung, sondern weist darauf hin, dass „eine Wiedereinsetzung der Beklagten in die versäumte Frist zur Einlegung der Anschlussberufung – was das Berufungsgericht übersehen hat – bereits von Gesetzes wegen nicht eröffnet“ ist, da es sich nicht um eine in § 233 ZPO aufgeführte Frist handele. Das liegt an sich auch auf der Hand. Der BGH zitiert allerdings umfangreiche Rechtsprechung und Literatur, die eine analoge Anwendung der §§ 233 ff. ZPO bejahen, lehnt dies jedoch im Ergebnis mit sehr ausführlicher Begründung (über 30 Randziffern) ab. (ju) SIGNATUR BEI SCHRIFTFORMERFORDERNIS 1. Der Versand auf einem sicheren Übermittlungsweg mit einfacher Signatur gem. § 46c III 1 Alt. 2 ArbGG (bzw. § 130a III 1 Alt. 2 ZPO) wahrt – anders als die qualifizierte elektronische Signatur – die elektronische Form gem. § 126a BGB als Ersatz der Schriftform gem. § 126 BGB nicht. 2. § 278 VI 1 Alt. 1 ZPO enthält kein materielles Schriftformerfordernis i.S.v. §§ 126, 126a BGB. Vielmehr ist die prozessuale Schriftsatzform ausreichend. 3. Auch ohne qualifizierte elektronische Signatur können Vergleichsvorschläge deshalb gem. § 278 VI 1 Alt. 1 ZPO durch die Parteien bzw. ihre Vertreter als elektronisches Dokument auf dem Wege des § 46c III 1 Alt. 2 ArbGG (bzw. § 130a III 1 Alt. 2 ZPO) – d.h. mit einfacher Signatur auf einem sicheren Übermittlungsweg – unterbreitet werden. ArbG Stuttgart, Beschl. v. 25.2.2022 – 4 Ca 688/22 Im elektronischen Rechtsverkehr wird die Schriftsatzform durch Übermittlung eines einfach signierten Schriftsatzes aus dem beA gewahrt. Aufpassen muss man, wenn in dem Schriftsatz auch materiell-rechtliche Erklärungen enthalten sind, für die die Schriftform des § 126 bzw. § 126a BGB vorgeschrieben ist: Denn hierfür reicht die einfache Signatur nicht aus, man benötigt eine qualifizierte elektronische Signatur (qeS). Welche materiell-rechtlichen Erklärungen kommen in Schriftsätzen vor? Hier ging es um den ganz häufigen Fall eines Prozessvergleichs. Ein gerichtlicher Vergleich kann auch dadurch geschlossen werden, dass die Parteien dem Gericht einen schriftlichen Vergleichsvorschlag unterbreiten oder einen gerichtlichen Vergleichsvorschlag durch Schriftsatz annehmen (§ 278 VI ZPO). Aus Anlass einer Literaturmeinung (zum Fax), die hier ein echtes materiell-rechtliches Schriftformerfordernis sieht, lehnt das ArbG Stuttgart das – zurecht – ab. § 278 VI ZPO sei zwar sprachlich missglückt, jedoch sei nicht anzunehmen, dass der Gesetzgeber die Einführung eines materiellen Schriftformerfordernisses beabsichtigt habe. Ob eine materiell-rechtliche Erklärung im Schriftsatz enthalten ist, die eine qeS erfordert, sollte man jedoch immer im Blick behalten. Wichtig auch: Für bestimmte Erklärungen ist die elektronische Form gänzlich im Gesetz ausgeschlossen, da nützt auch eine qeS nichts, so z.B. in §§ 766 S. 2, 780 S. 2 und § 781 S. 2 BGB und – ganz wichtig – § 623 BGB (Kündigung von Arbeitsverhältnissen)! (ju) PRÜFPFLICHTEN VOR SIGNIERUNG Bei der Signierung eines ein Rechtsmittel oder eine Rechtsmittelbegründung enthaltenden fristwahrenden elektronischen Dokumentes gehört es zu den nicht auf das Büropersonal übertragbaren Pflichten eines Rechtsanwalts, das zu signierende Dokument zuvor selbst sorgfältig auf Richtigkeit und Vollständigkeit zu prüfen. BGH, Beschl. v. 8.2.2022 – VI ZB 78/21 Die Berufungsbegründung zum OLG wurde verspätet eingelegt. Rechtzeitig war beim OLG lediglich ein aus dem beA der Prozessbevollmächtigten gesendeter, qualifiziert signierter Schriftsatz mit der Bezeichnung „Berufungsbegründung“ eingegangen, der allerdings nur aus einer Seite bestand. Im Wiedereinsetzungsantrag trug die Prozessbevollmächtigte vor, sie habe am Morgen des Tages, an dem die Frist ablief, ihre Sekretärin angewiesen die bereits fertiggestellte BerufungsbegrünJUNGK/CHAB/GRAMS, PFLICHTEN UND HAFTUNG DES ANWALTS – EINE RECHTSPRECHUNGSÜBERSICHT AUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 3/2022 143

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