dung, bestehend aus fünf Seiten, in die Anwaltssoftware einzustellen. Unmittelbar vor dem Signierungsvorgang habe sie den Schriftsatz noch einmal sorgfältig und vollständig überprüft und dabei einen Tippfehler auf S. 1 festgestellt und deshalb die Sekretärin angewiesen, diesen Fehler noch auszubessern und das Dokument dann abschließend zur Signatur einzustellen. Unmittelbar vor erneuter Signatur habe sie den Schriftsatz nochmals geöffnet und überprüft, ob der Fehler verbessert wurde. Nach der Signatur habe die Büroangestellte dann das Dokument per beA verschickt. Erst später habe sich herausgestellt, dass die Sekretärin den Fehler zwar ausgebessert habe, dann aber versehentlich nur die erste Seite als PDF-Dokument generiert und eingestellt habe. Allein diese Seite hatte die Anwältin sich noch einmal angesehen, weshalb die Unvollständigkeit unbemerkt blieb. Die Prozessbevollmächtigte vertrat die Ansicht, sie habe bei erneuter Prüfung nicht mehr den gesamten Schriftsatz durchsehen, sondern sich auf die Prüfung der Fehlerkorrektur beschränken dürfen. Diese Ansicht teilte weder das OLG noch nunmehr der BGH. Grundsätzlich handele ein Rechtsanwalt schuldhaft, wenn er eine Rechtsmittelbegründungsschrift unterschreibe, ohne sie zuvor auf Richtigkeit und Vollständigkeit zu überprüfen. Das gelte auch nach einer zweiten Vorlage nach Korrektur, wobei im elektronischen Rechtsverkehr entsprechend vorgegangen werden müsse. Der hier vorliegende Fall unterscheide sich von den für die reine Papierbearbeitung schon entschiedenen Fällen, in denen Schriftsätze unterzeichnet, aber einzelne Seiten noch zu korrigieren waren. Wenn dann eine Einzelweisung erging, die betreffenden Seiten auszutauschen und anschließend zu versenden, liege darin grundsätzlich kein Organisationsfehler. Anders sei es hier, weil durch weitere Scan-, Kopier- und Speichervorgänge letztlich ein neues elektronisches Dokument – und damit eine gänzlich neue Gefahrenquelle – geschaffen werde. Diese Unterscheidung leuchtet nicht ohne Weiteres ein. Denn auch bei der Bearbeitung in Papierform konnte der Anwalt das Dokument unterzeichnen und durch die Einzelanweisung, einzelne Blätter austauschen und das Dokument dann zu versenden, seinen Pflichten genügen, ohne das Dokument überhaupt noch einmal anzusehen. Dadurch wurde aber letztlich ebenfalls ein neues Dokument geschaffen, denn die oft schon geklammerten Seiten mussten wieder entklammert und neu zusammengesetzt werden, so dass auch hier eine neue entsprechende Gefahrenquelle eröffnet war. Der Unterschied besteht also lediglich darin, dass das Dokument zur Eingabe der qualifizierten Signatur ins beA noch einmal in den Einflussbereich des Anwalts gelangt. Letztlich scheinen die Gerichte die Gefahren, die durch etwas „flüchtigere“ elektronische Verarbeitung bestehen, doch etwas höher einzuschätzen als es bei der Arbeit mit Papier der Fall war. (bc) TÄGLICHE POSTDURCHSICHT DURCH EINEN ANWALT MUSS GEWÄHRLEISTET SEIN Ein Rechtsanwalt muss Posteingänge selbst vollständig daraufhin durchsehen, ob der Ablauf von Fristen droht, und daher durch eine allgemeine Anweisung an sein Büropersonal sicherstellen, dass ihm Posteingänge gesondert vorgelegt werden. (eigener Ls.) BGH, Beschl. v. 23.2.2022 – IV ZB 24/21, RFamU 2022, 179 Gegenstand des Beschwerdeverfahrens vor dem BGH war die Erteilung eines Testamentsvollstreckerzeugnisses. Allerdings wurde die Rechtsbeschwerde zu spät eingelegt, weil nach dem Vortrag der Verfahrensbevollmächtigten zweiter Instanz eine Mitarbeiterin der Kanzlei den per Telefax übersandten und über ein E-Mail-Programm eingegangenen Beschwerdebeschluss in einen Ablageordner verschoben habe, ohne ihn einem Anwalt vorgelegt zu haben; dies gegen die allgemeine Weisung, eingehende Telefaxe und E-Mails stets sofort einem Anwalt weiterzuleiten, damit dieser überprüfen kann, ob Fristen oder Termine zu notieren seien. Der BGH gab deshalb dem Wiedereinsetzungsantrag statt, allerdings hatte die Rechtsbeschwerde in der Sache dann doch keinen Erfolg. Was hier so kurz und bündig durch den BGH abgehandelt wurde, sollte in der Praxis nicht geringgeschätzt werden. Die Pflicht, dass stets und jeden Tag die Post durch eine Anwältin oder einen Anwalt durchzusehen und auf mögliche Fristen zu prüfen ist, ist nicht immer ganz leicht umzusetzen, schon gar nicht in Einzelkanzleien. Bei Verhinderung – und sei es auch nur wegen einer Fortbildungsmaßnahme, ganztägigen auswärtigen Terminen oder ähnlichem – muss für eine solche qualifizierte Durchsicht der Post Sorge getragen werden. Kann diesbezüglich keine klare Organisation vorgetragen werden, wird Wiedereinsetzung schwierig. (bc) ZUSTELLUNG „DEMNÄCHST“ ZUR VERJÄHRUNGSHEMMUNG 1. Bei der Prüfung, ob die Klage „demnächst“ zugestellt worden ist, sind bis zum Fristablauf eingetretene Versäumnisse des Klägers in die für die Bewertung als unmaßgebliche Verzögerung bedeutsame Frist nicht mit einzurechnen. 2. Hat der Kläger alle von ihm geforderten Mitwirkungshandlungen für eine ordnungsgemäße Klagezustellung erbracht, insbesondere den Gerichtskostenvorschuss eingezahlt, sind er und sein Prozessbevollmächtigter im Weiteren grundsätzlich nicht mehr gehalten, das gerichtliche Vorgehen zu kontrollieren und durch Nachfragen auf die beschleunigte Zustellung hinzuwirken. BGH, Urt. v. 21.3.2022 – VIa ZR 275/21, WM 2022, 745 = MDR 2022, 557 Es geht hier um „Diesel-Ansprüche“ für einen 2012 gekauften Neuwagen. Die Klage wurde Ende 2018 eingeJUNGK/CHAB/GRAMS, PFLICHTEN UND HAFTUNG DES ANWALTS – EINE RECHTSPRECHUNGSÜBERSICHT BRAK-MITTEILUNGEN 3/2022 AUFSÄTZE 144
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