strukturen im Osten und insbesondere in der Fläche mit besonderen Herausforderungen zu kämpfen haben. Die Zahlen der Anwaltschaft haben sich 2020 erstmals im bundesdeutschen Durchschnitt negativ entwickelt.3 3 S. Mitgliederstatistik der BRAK zum 1.1.2021 und dazu Presseerklärung Nr. 5/ 2021 v. 29.4.2021. Doch in den neuen Bundesländern (außer Berlin) stagnieren die Zahlen seit mehreren Jahren und sinken nun merklich. Die Gründe dafür sind vielschichtig. 1. EINKOMMENSUNTERSCHIEDE Dass die Einkünfte von Einzelanwältinnen und -anwälten deutlich unter denen von Sozietäten liegen, ist kein rein ostdeutsches Phänomen. Doch weil der Anteil an Einzelanwältinnen und -anwälte in den neuen Bundesländern mit 78 % deutlich höher ist als in den alten Bundesländern (dort sind es 65 %), ist diese unterschiedliche Einkommensstruktur hier deutlich spürbarer. Denn im Westen liegt der durchschnittliche jährliche Überschuss bei 88.000 Euro, im Osten sind es 56.000 Euro. Das wirkt sich auf den Fortbestand von Kanzleien, aber auch die Standortattraktivität für Neugründungen oder Nachfolgen aus. Hinzukommt ein unterschiedlich ausgeprägtes GenderPay-Gap.4 4 Zum Gender Pay Gap in der Anwaltschaft s. auch Schultz, BRAK-Mitt. 2018, 223, 227 (auf Basis der STAR-Untersuchung 2018) sowie Nitschke, BRAK-Magazin 2/ 2021, 8 (auf Basis der STAR-Untersuchung 2020). Denn im Osten verdienen Frauen im Durchschnitt 55.000 Euro, Männer 69.000 Euro. Im Westen hingegen verdienen Frauen im Durchschnitt 74.000 Euro und Männer 130.000 Euro. Diese Unterschiede befeuern den Wettkampf um die Fachkräfte, insbesondere dann, wenn in Justiz und Verwaltung oder Unternehmen vielleicht nicht mit höheren Einkünften, aber mit einer ausgewogenen Work-Life-Balance (oder besser gesagt: Jura-Life-Balance) locken können. Die durchschnittlichen Verdienstmöglichkeiten für Berufseinsteigerinnen und -einsteiger im Osten und Westen könnten nicht unterschiedlicher sein: Die unter 40jährigen im Westen verdienen im Durchschnitt 76.000 Euro, die unter 60jährigen 119.000 Euro und die unter 65jährigen 117.000 Euro im Jahr. Im Osten hingegen verdienen die unter 40jährigen 49.000 Euro, die unter 50jährigen 62.000 Euro und die bis 65 Jahre 73.000 Euro. Die Einkommenssituation von Sozietäten im Osten liegt mit 372.000 Euro ebenfalls deutlich unter den Zahlen im Westen von 658.000 Euro. Zwar haben die Sozietäten ihr Wachstum in den vergangenen zehn Jahren verdoppeln können, doch finden sich Sozietäten eher in den bevölkerungsstarken Ballungszentren. In der Fläche dominieren die Einzelkanzleien oder Bürogemeinschaften. Auch die Situation von angestellten Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten im Osten unterscheidet sich erheblich von denen im Westen. In Einzelkanzleien beträgt das durchschnittliche Einkommen im Osten 38.000 Euro, im Westen hingegen 57.000 Euro. Sozietäten mit angestellten Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten erzielen im Osten im Durchschnitt 52.000 Euro, im Westen 82.000 Euro. Die finanziellen Perspektiven für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte in der Fläche und im Osten sind somit unattraktiv bis abschreckend. 2. ALTERSSTRUKTUR UND NACHWUCHS Am Beispiel der Rechtsanwaltskammer Sachsen wird im Folgenden gezeigt, welche demografischen und weiteren Gründe zum Schrumpfen des Mitgliederbestands beitragen. Den höchsten Mitgliederbestand hatte die Rechtsanwaltskammer Sachsen im Jahr 2013 mit 4.800 Mitgliedern. Seitdem nimmt der Mitgliederbestand jährlich und kontinuierlich ab – auch die Zulassung von Syndikusrechtsanwältinnen und -anwälten seit 2016 und ab dem 1.8.2022 die Aufnahme von Berufsausübungsgesellschaften als Kammermitglieder können diesen Abwärtstrend nicht aufhalten. Zum Ende 2021 betrug die Mitgliederzahl 4.475 und rutschte damit das erste Mal seit 2006 wieder unter 4.500. Abb. 5: Mitgliederentwicklung der Rechtsanwaltskammer Sachsen Doch das Problem ist nicht allein das altersbedingte Ausscheiden der Mitglieder, das seit Jahren absehbar war und ist. Ein weiterer Grund für die sinkenden Mitgliederzahlen ist die immer kürzer werdende Verweildauer in der Anwaltschaft. Die RAK Sachsen hat ausgewertet, wie lange die Mitglieder, die ihre Zulassung freiwillig zurückgeben, als Anwältinnen oder Anwälte zugelassen wurden. Und dabei hat sich ein in den vergangenen Jahren immer mehr verstärkender Trend aufgezeigt. Die Verweildauer in der Anwaltschaft wird immer kürzer. Die Kolleginnen und Kollegen verzichten immer früher auf die Zulassung und zu einem Zeitpunkt in der persönlichen Erwerbsbiografie, in dem sie die praktischen Erfahrungen in den ersten Berufsjahren gerade gemacht haben und im Kanzleialltag und im Beruf der Rechtsanwältin bzw. des Rechtsanwalts angekommen sein sollten. FUHRMANN, DER RÜCKZUG DER ANWALTSCHAFT AUS DER FLÄCHE AUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 4/2022 187
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