BRAK-Mitteilungen 4/2022

8. FRISTVERSÄUMNIS BEI NICHTEINHOLUNG GEGNERISCHER ZUSTIMMUNG Die zweimonatige Frist zur Berufungsbegründung kann nach § 520 II 2 und 3 ZPO um mehr als einen Monat nur mit Einwilligung des Gegners verlängert werden. Dies gilt entsprechend in Ehe- und Familienstreitsachen für die Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist, § 117 I 4 FamFG. Holt der Verfahrensbevollmächtigte bei Stellung eines Antrags auf Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist über einen Monat hinaus nicht die erforderliche Zustimmung des Gegners ein, so beruht die anschließende Fristversäumung auf seinem Verschulden, so dass eine Wiedereinsetzung ausscheidet.25 25 BGH, Beschl. v. 25.8.2021 – XII ZB 172/20, NJW-RR 2021, 1582. Bei einem nicht sämtliche gesetzliche Voraussetzungen der Fristverlängerung enthaltenden Antrag besteht auch keine gerichtliche Hinweispflicht. 9. REDLICHE PROZESSFÜHRUNG IN EILVERFAHREN Ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung kann nach dem OLG München26 26 OLG München, Urt. v. 5.8.2021 – 29 U 6406/20, GRUR-RS 2021, 24559. rechtsmissbräuchlich und damit unzulässig sein, wenn der Antragsteller gegenüber dem Gericht die Reaktion des Antragsgegners auf eine vorgerichtliche Abmahnung entgegen § 138 I ZPO verschweigt. Das gilt auch, wenn den Antragsteller die Reaktion des Antragsgegners auf eine vorgerichtliche Abmahnung erst nach Antragstellung erreicht. Die vom BVerfG entwickelten Grundsätze zur prozessualen Waffengleichheit27 27 Hierzu: Ultsch, WuB VII A. § 448 ZPO 1.98. gelten grundsätzlich auch in kennzeichenrechtlichen Angelegenheiten. Der Antragsteller hat grundsätzlich alles ihm Zumutbare und Mögliche zu unternehmen, um dem Gericht eine sachgerechte Entscheidung über die Einbeziehung des Antragsgegners zu ermöglichen. Der Antrag bleibt grundsätzlich auch dann unzulässig, wenn nach einer Beschlussverfügung auf Widerspruch des Antragsgegners die außergerichtlich seitens des Antragsgegners vorgebrachten Argumente in der aufgrund des Widerspruchs nunmehr im zweiseitigen Verfahren zu treffenden Entscheidung berücksichtigt werden können. 10. VERSÄUMNISURTEIL NUR GEGEN PROZESSFÄHIGE § 335 I Nr. 1 ZPO steht dem Erlass eines Versäumnisurteils entgegen, wenn die erschienene Partei die vom Gericht wegen eines von Amts wegen zu berücksichtigenden Umstandes erforderte Nachweisung nicht zu beschaffen vermag. Zu diesen Umständen gehören die unverzichtbaren Sachurteilsvoraussetzungen wie etwa die Prozessfähigkeit. Verbleiben Zweifel an der Prozessfähigkeit auch nach Erschöpfung aller erschließbaren Erkenntnisse, darf das Gericht die Prozessfähigkeit nicht bejahen, insbesondere gilt für die Prozessfähigkeit nicht die für die Geschäftsfähigkeit geltende Beweislastverteilung des § 104 Nr. 2 BGB.28 28 BGH, Urt. v. 8.7.2021 – III ZR 344/20, NJW-RR 2021, 1648. 11. UNZULÄSSIG ABER JEDENFALLS UNBEGRÜNDET Der BGH hat erneut entschieden, dass ein Gericht zur Begründetheit eines Rechtsschutzbegehrens nur dann Ausführungen machen darf, wenn es zuvor die Zulässigkeit des Rechtsschutzbegehrens positiv festgestellt hat. Verwirft das Beschwerdegericht eine Beschwerde als unzulässig und führt hilfsweise aus, dass die Beschwerde auch unbegründet sei, gelten diese Rechtsausführungen des Beschwerdegerichts und grundsätzlich auch seine dazu getroffenen Feststellungen als nicht geschrieben.29 29 BGH, Beschl. v. 24.3.2021 – XII ZB 430/20, NJW-RR 2021, 721. II. GESETZGEBUNG 1. ELEKTRONISCHE KOMMUNIKATION Nach einer Übergangsphase von rund acht Jahren ist zum 1.1.2022 § 130d ZPO30 30 Art. 1 Nr. 4, 26 VII des Gesetzes zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten v. 10.10.2013 (BGBl. I S. 3786). in Kraft getreten. Seitdem sind Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte – auch Syndikusanwältinnen und -anwälte (§ 46c BRAO),31 31 Heimann/Steidle, NZA 2021, 521, 523; Musielak/Voit/Stadler, ZPO, 19. Aufl. 2022, § 130d Rn. 2. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts dazu verpflichtet, Erklärungen in allen Verfahren der ZPO grundsätzlich als elektronisches Dokument bei Gericht einzureichen, § 130d S. 1 ZPO. Ist die Einreichung vorübergehend aus technischen Gründen unmöglich, besteht für diesen Zeitraum keine Nutzungspflicht, § 130d S. 2 ZPO. Eine unter Verstoß gegen die Nutzungspflicht nach § 130d S. 1 ZPO eingereichte Eingabe ist unwirksam.32 32 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 23.3.2022 – 12 U 61/21, BeckRS 2022, 9657; LG Hamburg, Beschl. v. 30.5.2022 – 304 T 12/22, BeckRS 2022, 15830 Rn. 13. Das Gericht hat die Wirksamkeit von Amts wegen zu prüfen,33 33 LG Hamburg, Beschl. v. 30.5.2022 – 304 T 12/22, BeckRS 2022, 15830 Rn. 13. § 295 II ZPO findet keine Anwendung.34 34 Musielak/Voit/Stadler, ZPO, 19. Aufl. 2022, § 130d m.H.a. BT-Drs. 17/12634, 27. Für das Familienverfahren gilt die Parallelnorm des § 14b FamFG,35 35 Art. 2 Nr. 1 lit. b, 26 VII des Gesetzes zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten v. 10.10.2013 (BGBl. I S. 3786). für das arbeitsgerichtliche Verfahren die des § 46g ArbGG.36 36 Art. 3 Nr. 5, 26 VII des Gesetzes v. 10.10.2013 (Fn. 35). Ob die Nutzungspflicht auch für Anwältinnen und Anwälte gilt, die im eigenen Namen handeln, ist noch nicht abschließend geklärt.37 37 Vgl. etwa Fritzsche, NZFam 2022, 1, 3. Der Wortlaut der gesetzlichen Regelung spricht für eine Nutzungspflicht. Die Nutzungspflicht nach § 130d ZPO gilt auch für die Zwangsvollstreckung.38 38 LG Münster, Beschl. v. 2.3.2022 – 05 T 105/22, BeckRS 2022, 3570; AG Bad Iburg, Beschl. v. 4.3.2022 – 3 M 80/22, BeckRS 2022, 3640; AG Coesfeld, Beschl. v. 7.3. 2022 – 7 M 203/22, BeckRS 2022, 4170; AG Karlsruhe, Beschl. v. 22.6.2022 – 1 M 604/22, BeckRS 2022, 14420 Rn. 3. Für den Rechtsanwender bedeutet dies einen zusätzlichen Aufwand. Der Vollstreckungsantrag ist als elektronisches Dokument einzureichen. Die vollstreckbare Ausfertigung des Titels ist gesondert zu übersenden. AUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 4/2022 197

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