BRAK-Mitteilungen 4/2022

III. AUSBLICK In den kommenden Monaten sind weitere legislative Maßnahmen zu erwarten, etwa im Bereich der Digitalisierung der Justiz (Ausweitung von § 128a ZPO, Einführung eines Online-Verfahrens),47 47 Vgl. hierzu die Überlegungen des BMJ zur Ausgestaltung eines zivilgerichtlichen Online-Verfahrens – Arbeitspapier zur Vorbereitung der begleitenden Workshops mit den Landesjustizverwaltungen sowie Expertinnen und Experten verschiedener Fachrichtungen (verantwortet durch die Projektgruppe Legal Tech und Zugang zum Recht. zur Bewältigung von Masseverfahren,48 48 Initiativstellungnahme des Deutschen Richterbundes Nr. 1/2022: Vorschläge zur besseren Bewältigung von Massenverfahren in der Justiz. ggf. auch im Hinblick auf die Einrichtung sog. Commercial Courts als Senate bei den Oberlandesgerichten.49 49 Gesetzentwurf des Bundesrats v. 11.3.2022 (BR-Drs. 79/22), hierzu Riehm, NJW 2022, 1725. Aber auch alte Rezepte wie etwa die Anhebung des Zuständigkeitsstreitwerts50 50 Beschluss der 92. JuMiKo am 11. und 12.11.2021 (TOP I. 18). für die Amtsgerichte, der Wertgrenze für das vereinfachte Verfahren (§ 495a ZPO) sowie der Berufungs- und Beschwerdewertgrenzen (§ 511 II Nr. 1 ZPO, § 64 II lit. b ArbGG, § 68 I 1 GKG) stehen zur Diskussion. Auf ihrer Jahrestagung haben sich die Präsidentinnen und Präsidenten der Oberlandesgerichte, des Kammergerichts, des Bayerischen Obersten Landesgerichts und des Bundesgerichtshofs im Mai 2022 mit dem Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) und algorithmischen Systemen in der Justiz beschäftigt51 51 Grundlagenpapier zur 74. Jahrestagung der Präsidentinnen und Präsidenten der Oberlandesgerichte, des Kammergerichts, des Bayerischen Obersten Landesgerichts und des Bundesgerichtshofs vom 23. bis 25.5.2022 in Rostock, https://www. justiz.bayern.de/media/images/behoerden-und-gerichte/oberlandesgerichte/nuern berg/einsatz_von_ki_und_algorithmischen_systemen_in_der_justiz.pdf. und ihre Haltung hierzu in einem Beschluss dokumentiert.52 52 https://www.justiz.bayern.de/media/images/behoerden-und-gerichte/oberlandesg erichte/nuernberg/beschluss_24.05.2022_einsatz_ki.pdf. Und nicht zuletzt enthält das Diskussionspapier der Arbeitsgruppe „Modernisierung des Zivilprozesses“ der OLG-Präsidenten eine Reihe von (teils grundlegenden) Reformvorschlägen, wie etwa die Einführung eines „Basisdokuments“ mit der Verpflichtung zu (nach Vorgaben des Gerichts) „strukturiertem Parteivortrag“.53 53 Ablehnend: BRAK-Positionspapier, Stn.-Nr. 60/2021 „Digitales Rechtssystem – Forderungen und Vorschläge der Anwaltschaft“, S. 7 ff. Es bleibt spannend. PFLICHTEN UND HAFTUNG DES ANWALTS – EINE RECHTSPRECHUNGSÜBERSICHT RECHTSANWÄLTIN ANTJE JUNGK, RECHTSANWÄLTE BERTIN CHAB UND HOLGER GRAMS* * Die Autorin Jungk ist Leitende Justiziarin, der Autor Chabist Leitender Justiziar bei der Allianz Deutschland AG, München; der Autor Grams ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Versicherungsrecht in München. In jedem Heft der BRAK-Mitteilungen kommentieren die Autoren an dieser Stelle aktuelle Entscheidungen zum anwaltlichen Haftungsrecht. HAFTUNG PROZESSVORTRAG AUCH IM AMTSERMITTLUNGSVERFAHREN Auch in Verfahren mit Amtsermittlungsgrundsatz muss der Rechtsanwalt die für die Argumentation seiner Mandanten sprechenden Gründe vortragen. (eigener Ls.) OLG Brandenburg, Urt. v. 30.3.2022 – 7 U 59/20 Der klagende Mandant und seine Ehefrau waren von einer zwischenzeitlich verstorbenen Dame adoptiert worden, nachdem sie sich jahrelang um diese gekümmert hatten. Die Dame erteilte ihnen auch Vorsorgevollmachten. Aus Anlass psychischer Auffälligkeiten der Dame wurde diese letztlich in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses untergebracht. Nach ihrer Entlassung widerrief sie die Vorsorgevollmachten und brach den Kontakt ab. Stattdessen übernahmen nun zwei Neffen verschiedene Aufgaben. Die Dame setzte diese Neffen nach nur wenigen Monaten als Erben ein und leitete auch ein Adoptionsverfahren ein. Der beklagte Anwalt wurde eingeschaltet, um die Adoption zu verhindern. Er nahm Akteneinsicht, gab jedoch keine Stellungnahme ab. Die Adoptionen wurden wirksam. Der Kläger hat die Ansicht vertreten, dass bei Abgabe einer Stellungnahme durch den Beklagten und Geltendmachung der gegen die Adoption sprechenden Umstände die Annahme der Neffen als Kinder der Erblasserin nicht ausgesprochen worden wäre. Die geltend gemachten Schadensersatzansprüche beziehen sich auf den verminderten Pflichtteil der Mandanten. Der Vorwurf richtete sich darauf, dass der beklagte Anwalt im Adoptionsverfahren keine Stellungnahme abgegeben hatte. Dieser machte jedoch geltend, dass ihm vom Mandanten keine durchschlagenden Gründe genannt worden seien, die die Adoption hätten verhindern können. Das OLG betont, dass der Rechtsanwalt auch im Verfahren mit Amtsermittlungsgrundsatz die für die Argumentation seiner Mandanten sprechenden Gründe vorJUNGK/CHAB/GRAMS, PFLICHTEN UND HAFTUNG DES ANWALTS – EINE RECHTSPRECHUNGSÜBERSICHT AUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 4/2022 199

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