Fehlleistung des Prozessbevollmächtigen, der zur Ermittlung des korrekten Zustelldatums nicht auf den Vermerk in der Gerichtsakte hätte vertrauen dürfen, zumal dieser ersichtlich nur nach Angabe der Zustellung laut Berufungsschriftsatz erfolgt war. Im Rahmen der richterlichen Fürsorgepflicht seien die Gerichte lediglich gehalten, offensichtlichen Fehlern und drohenden Fristversäumnissen entgegenzuwirken. Verlängerungsanträge um einen bestimmten Zeitraum ohne Nennung eines bestimmten Enddatums sind immer wieder Grund für Missverständnisse und fehlerhafte Fristenberechnungen. Fehler in diesem Zusammenhang lassen sich leicht vermeiden, indem man immer das neue Enddatum der Frist im Verlängerungsantrag ausdrücklich benennt. Dann ist die Verlängerungsverfügung nicht wie hier zu Lasten des Anwalts bzw. der Partei auslegungsfähig. (bc) DAUER DER HEMMUNGSWIRKUNG IM MAHNVERFAHREN Der Antrag auf Abgabe des Mahnverfahrens an das Streitgericht hemmt die Verjährung nicht, wenn ein solcher Antrag bereits mit dem Antrag auf Erlass des Mahnbescheids gestellt wurde und der angeforderte Kostenvorschuss nicht eingezahlt wird. LG Frankfurt, Urt. v. 20.1.2022 – 2-23 O 19/20, NJW-RR 2022, 646 Dieses Urteil des OLG Frankfurt bezieht sich auf einen Teil eines umfangreichen Rechtsstreits zwischen einem privaten Krankenversicherer und der Versicherungsnehmerin. Ersterer erwirkte am 28.12.2018 einen Mahnbescheid wegen Rückzahlungsansprüchen, die mit Ablauf des 31.12.2018 verjährt wären. Der Mahnbescheid wurde „demnächst“, nämlich am 5.1.2019, zugestellt, woraufhin Widerspruch eingelegt wurde. Am 18.1.2019 forderte das Gericht die Kosten für die Abgabe ans Streitgericht an, da der entsprechende Antrag durch Ankreuzen bereits mit dem Mahnantrag zusammengestellt wurde. Die Kosten wurden zunächst nicht beglichen; vielmehr stellte die Klägerin am 28.6.2019 (erneut) den Antrag auf Abgabe des Mahnverfahrens ans Streitgericht. Der Anspruch wurde mit Schriftsatz vom 30.12.2019 begründet. Da die Klägerin im Anschluss an die Kostenanforderung des Gerichts im Januar 2019 nichts mehr zur Prozessförderung unternommen hatte, war ein halbes Jahr später die Hemmung der Verjährung beendet. Der Antrag auf Abgabe ans Streitgericht konnte nach Ansicht des LG keine weitere Hemmung herbeiführen. Dieser Antrag war nämlich bereits mit Beantragung des Mahnbescheids gestellt worden. Ohne Einzahlung der Kosten konnte er somit dem Prozess keinen Fortgang geben, sondern lief gleichsam ins Leere. Maßgebend sei, wer im betreffenden Verfahrensstadium die Verantwortung für die Fortsetzung des Prozesses trage. Das sei hier der Kläger gewesen, denn nur er konnte durch Einzahlung der Kosten die Fortführung bewirken. Als der Anspruch kurz vor Ablauf eines weiteren halben Jahres begründet wurde, stand der Verjährungseintritt also schon fest. Ganz offensichtlich hatte man auf Klägerseite genau nachgerechnet und immer kurz vor der vermeintlichen Hemmungsbeendigung etwas unternommen. Dass in dieser Konstellation aber der (erneute) Abgabeantrag nicht ausreicht, ist übersehen worden. Eine echte Haftungsfalle! (bc) SICHERSTER WEG BEI UNKLAREM RECHTSMITTEL Ist zweifelhaft, ob das statthafte Rechtsmittel gegen eine gerichtliche Entscheidung die Berufung oder die sofortige Beschwerde ist, muss der Anwalt das Rechtsmittel innerhalb der kürzeren Rechtsmittelfrist (hier: zwei Wochen) (ggf. auch) beim Rechtsmittelgericht einlegen, um sicher zu gehen, dass es – ob als sofortige Beschwerde oder als Berufung (ggf. nach Umdeutung) – die Frist wahrt. OLG Karlsruhe, Beschl. v. 7.2. und v. 27.4.2022 – 6 W 39/21 Die Parteien streiten (noch) um die Kosten eines Verfügungsverfahrens. Nach Aufhebung der einstweiligen Verfügung durch Anerkenntnisurteil hatte das LG durch ein gesondertes „Schlussurteil“ die Kosten des Anordnungsverfahrens dem Verfügungskläger auferlegt. Dagegen legte dessen Anwalt innerhalb von zwei Wochen „Beschwerde“ zum LG ein. Nach Abgabe an das OLG verwarf dieses die (sofortige) Beschwerde als unzulässig. Gegen das ergänzende Schlussurteil sei das statthafte Rechtsmittel die Berufung (wird näher ausgeführt). Eine solche hätte jedoch beim OLG eingelegt werden müssen. Eine Umdeutung der Beschwerde in eine Berufung komme nicht in Betracht. Da das Rechtsmittel nicht innerhalb der Berufungsfrist beim Berufungsgericht eingegangen sei, wäre es auch bei Umdeutung in eine Berufung unzulässig. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei nicht zu gewähren, da hinsichtlich der Fristversäumung ein Verschulden des Anwalts vorliege. Dieser habe die Problematik der Frage, welches das statthafte Rechtsmittel sei, erkannt. Nach dem Gebot des sichersten Weges habe er ggf. beide in Betracht kommenden Rechtsmittel einlegen müssen.1 1 BGH, NJW 2012, 2523; NJW 2011, 386; BVerfG, NJW 2008, 2167. Vorliegend habe aber sogar die Möglichkeit bestanden, die Rechtsmittelfrist durch ein einziges Rechtsmittel zu wahren, indem man dieses innerhalb der kürzeren Zweiwochenfrist für die sofortige Beschwerde beim OLG einreichte. Nach § 569 I 1 ZPO besteht für die sofortige Beschwerde eine Wahlmöglichkeit, diese beim Ausgangs- oder beim Beschwerdegericht einzulegen. Durch die Einlegung bei dem auch für die Berufung zuständigen OLG wäre das Rechtsmittel dann in jedem Fall zulässig gewesen. Eine ggf. unzutreffende Bezeichnung wäre ggf. umzudeuten. Eine Umdeutung kommt in entsprechender Anwendung von § 140 BGB in Betracht, wenn die VorausJUNGK/CHAB/GRAMS, PFLICHTEN UND HAFTUNG DES ANWALTS – EINE RECHTSPRECHUNGSÜBERSICHT AUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 4/2022 203
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