BRAK-Mitteilungen 5/2022

II. LEGAL TECH-INKASSO Im Berichtszeitraum 2021/2022 stand das sog. Legal Tech-Inkasso im Mittelpunkt der Rechtsprechung. Darunter versteht man Geschäftsmodelle von Inkassodienstleistern, die digitale Werkzeuge bei der Akquisition und/oder der Rechtsdurchsetzung einsetzen. 1. MASSNAHMEN ZUR FORDERUNGSABWEHR Nachdem der BGH in der Grundsatzentscheidung zu wenigermiete.de v. 27.11.20197 7 BGH, NJW 2020, 208 – wenigermiete.de. ausgeführt hatte, dass die Inkassobefugnis nach § 2 II RDG a.F. keine Tätigkeiten erfasst, die „nicht auf eine Forderungseinziehung gerichtet sind, sondern die Abwehr von Ansprüchen zum Gegenstand haben“,8 8 BGH, NJW 2020, 208, 219 Rn. 96 – wenigermiete.de. hat er diese Rechtsprechung in weiteren Entscheidungen9 9 U.a. BGH, Urt. v. 19.1.2022 – VIII ZR 123/21; ferner Urt. v. 30.3.2022 – VIII ZR 256/21; zuletzt BGH, Urt. v. 18.5.2022 – VIII ZR 423/21. präzisiert. Hintergrund der Entscheidungen ist ein Streit über den Umfang der Inkassobefugnis zwischen (vor allem) der 67. Zivilkammer des LG Berlin und dem für das Mietrecht zuständigen VIII. Zivilsenat des BGH.10 10 S. zu diesem Streit näher Hartung, LRZ 2022 Rn. 476, 494 ff. Der BGH hatte bereits mit Urteil v. 27.11.2019 festgestellt, dass Tätigkeiten wie „die Abwehr einer seitens des Vermieters ausgesprochenen Kündigung, eines Mieterhöhungsverlangens oder einer Aufforderung zur Durchführung von Schönheitsreparaturen“ nicht mehr von der Inkassobefugnis erfasst seien.11 11 BGH, NJW 2020, 208, 219 Rn. 96 – wenigermiete.de. Er stellt nunmehr aber klar, dass Maßnahmen zur Abwehr von Forderungen nicht generell unzulässig seien, etwa wenn der Vermieter zusätzlich zur Rückerstattung zu viel gezahlter Miete dazu aufgefordert wird, künftig von dem Mieter nicht mehr die als überhöht gerügte Miete zu verlangen und diese auf den zulässigen Höchstbetrag herabzusetzen. Diese Aufforderung sei nach BGH nicht als – einem registrierten Inkassodienstleister nach § 10 I 1 Nr. 1 RDG, § 2 II 1 RDG a.F. nicht gestattete – Maßnahme der Anspruchsabwehr anzusehen.12 12 BGH, Urt. v. 19.1.2022 – VIII ZR 123/21; sowie im Wesentlichen gleichlautende Urt. v. 19.1.2022 – VIII ZR 122/21; VIII ZR 196/21. Insoweit handle es sich nach BGH nicht um eine Reaktion auf ein gesondertes Verlangen des Vermieters, sondern um eine in engem Zusammenhang mit der von der Inkassoanbieterin zulässigerweise erhobenen Rüge und dem von ihr geltend gemachten Anspruch auf Rückerstattung zu viel gezahlter Miete stehende Maßnahme, die letztlich dazu diene, für die Zukunft die Geltendmachung weitergehender Rückzahlungsansprüche des Mieters entbehrlich zu machen.13 13 BGH, NJW 2020, 208, 228 Rn. 162. Der BGH hat mit Urteil v. 19.1.2022 bestätigt, dass diese Tätigkeit nochvon der Inkassobefugnis gedeckt sei.14 14 BGH, Urt. v. 19.1.2022 – VIII ZR 123/21 Rn. 27 und 30. Dabei komme es nicht darauf an, ob das Herabsetzungsverlangen wirtschaftlich ins Gewicht falle.15 15 BGH, Urt. v. 19.1.2022 – VIII ZR 123/21 Rn. 28. Damit stelle sich dies nicht als Forderungsabwehr, sondern als eine Form der Forderungsdurchsetzung dar.16 16 BGH, Urt. v. 19.1.2022 – VIII ZR 123/21 Rn. 36 m. Verw. auf BGH, NJW 2020, 208, 228 – Rn. 162; zuvor bereits Deckenbrock/Henssler/Rillig, RDG, 5. Aufl. 2021, § 10 Rn. 45p; Tolksdorf, ZIP 2021, 2049, 2054 f.; Stadler, JZ 2020, 321, 323. Der BGH hat diese Rechtsprechung in weiteren Urteilen v. 30.3.202217 17 U.a. BGH, Urt. v. 30.3.2022 – VIII ZR 256/21 m.w.N. und v. 18.5.202218 18 U.a. BGH, Urt. v. 18.5.2022 – VIII ZR 9/22 m.w.N. bestätigt. Nach Ansicht des BGH ist somit die wirtschaftliche Bedeutung der Einzelansprüche nicht ausschlaggebend, wenn (noch) ein Zusammenhang mit dem Rückforderungsanspruch besteht. Vielmehr geht es dem BGH um eine aus Sicht der Rechtsuchenden sinnvolle Bündelung mehrerer Einzelansprüche. Zuzugeben ist, dass es unbefriedigend erscheint, die Rückforderung zu viel gezahlter Miete zuzulassen, die Abwehr künftig überhöhter Miete aber nicht.19 19 S. zu diesem Problem ausf. Hartung, LRZ 2022, Rn. 476 ff. Das lässt sich dahingehend verallgemeinern, ob es verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist, die Rechtsdurchsetzung von Forderungen besser zu behandeln als deren Abwehr. Daran mögen Zweifel bestehen.20 20 Hartung, LRZ 2022, Rn. 476, 508 ff. Eine andere Frage ist aber, ob Forderungsabwehr noch etwas mit Inkasso zu tun hat21 21 Zweifelnd, ob noch vom Wortlaut der Inkassobefugnis gedeckt auch Römermann, GRUR-Prax 2022, 453 (Bespr. v. BGH, Urt. v. 18.5.2022 – VIII ZR 382/21, BeckRS 2022, 13835). oder ob man nicht andere Regulierungsansätze verfolgen sollte, anstatt die Inkassobefugnis in – ebenso – verfassungsrechtlich bedenklicher Weise22 22 S. dazu jüngst Flory, Grenzen inkassodienstlicher Rechtsdienstleistungen, Baden Baden, 2022, Kap. 3 (S. 73 ff.); Kap. 5 (S. 195 ff.), die zu einer mit der Verfassung konformen restriktiven Auslegung der Inkassobefugnis kommt. immer weiter auszuweiten. Denkt man die Rechtsprechung des BGH konsequent weiter, dürfte die Abwehr von künftigen Ansprüchen in einem Dauerschuldverhältnis (man denke etwa an überhöhte Lizenzgebühren in IP- oder IT-Verträgen) stets von der Inkassoerlaubnis erfasst sein, wenn ein – sei es auch nur ein wirtschaftlich unbedeutender – Zahlungsanspruch mit verfolgt wird.23 23 Krit. in Bezug auf Abgrenzungsprobleme Rüchardt, GRUR-Prax 2022, 270 (Anm. zu BGH, Urt. v. 19.1.2022 – VIII ZR 196/21). Im Ergebnis bleibt nur die isolierte Anspruchsabwehr verboten, also wenn und soweit kein Zusammenhangmit einem Zahlungsanspruch besteht. Zu beachten ist, dass diese Rechtsprechung noch zu § 2 II 1 RDG a.F. ergangen ist. Mit der Ergänzung zu § 2 II 1 RDG durch das Legal Tech-Gesetz, die auch die auf die Einziehung bezogene rechtliche Prüfung und Beratung umfasst, wollte der Gesetzgeber auch die Grenzen der Inkassodienstleistung klar aufzeigen.24 24 BT-Drs. 19/27673, 20. So sieht er insb. das Verlangen auf künftige Herabsetzung der Miete gegenüber einem Vermieter nicht mehr als Teil der Forderungseinziehung an. Dies könne aber als Nebenleistung nach § 5 RDG angesehen werden.25 25 BT-Drs. 19/27673, 39. Der BGH äußert sich nicht zur Rechtslage nach neuem Recht. Richtigerweise müssten die Fälle dann nach § 5 RDG beurteilt werden, wobei entscheidungserheblich ist, ob noch eine Nebenleistung angenommen werden BRAK-MITTEILUNGEN 5/2022 AUFSÄTZE 248

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