BRAK-Mitteilungen 5/2022

ersatzanspruch als Spezialmaterie noch nicht einmal problematisiert. Im Anschluss hatten u.a. das OLG Nürnberg39 39 Bejahend OLG Nürnberg, Urt. v. 20.10.2021 – 12 U 1432/20, BeckRS 2021, 33454. und das OLG Schleswig40 40 Verneinend OLG Schleswig, Urt. v. 11.1.2022 – 7 U 130/21, BeckRS 2022, 385 mit ausf. Begr.; bestätigt durch OLG Schleswig, Urt. v. 22.4.2022 – 1 U 36/21, BeckRS 2022, 8271 (beide n.rkr.). mit jeweils unterschiedlichem Ergebnis die gebündelte Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Diesel-Skandal nach der Inkassobefugnis beurteilt. Im Fall von Schmerzensgeldansprüchen aus verschiedenen Rechtsgebieten äußerte das LG Karlsruhe41 41 LG Karlsruhe, Urt. v. 6.5.2022 – 20 S 35/21, BeckRS 2022, 016697 (Revision anhängig beim BGH unter VI ZR 180/22); Bespr. v. Maritzen, LTZ 2022, 186, 194. zwar Zweifel, folgte im Ergebnis aber der Einschätzung des BGH im Fall „wenigermiete.de“, wonach die rechtliche Komplexität kein geeignetes Kriterium für einen Ausschluss sei.42 42 LG Karlsruhe, Urt. v. 6.5.2022 – 20 S 35/21, BeckRS 2022, 016697 Rn. 41 ff. cc) KARTELLRECHT Anfang des Jahres 2022 hat sich auch das LG Stuttgart in mehreren Entscheidungen43 43 LG Stuttgart, Urt. v. 10.1.2022 – 53 O 260/21, BeckRS 2022, 1731; Urt. v. 20.1. 2022 – 30 O 176/19, BeckRS 2022, 362; Urt. v. 28.4.2022 – 30 O 17/18, BeckRS 2022, 10278. zu kartellrechtlichen Schadensersatzansprüchen zu Wort gemeldet und unisono mit jeweils ausführlicher Begründung die Zulässigkeit nach §§ 2, 3 RDG verneint.44 44 LG Stuttgart, BeckRS 2022, 362 Rn. 90 ff. mit zust. Anm. Remmertz, RDi 2022, 219; ebenso zuvor LG Hannover, Urt. v. 4.5.2020 – 18 O 50/16 Rn. 171; Urt. v. 1.2.2021 – 18 O 34/17 Rn. 296 = BRAK-Mitt. 2021, 174 m. zust. Anm. Lemke, in Zuckerkartellverfahren; a.A. Deckenbrock, EWiR 2022, 349; Rott, LTZ 2022, 124 (Anm. zu LG Stuttgart, Urt. v. 20.1.2022 – 30 O 176/19). Die damit im Zusammenhang stehenden rechtlichen und tatsächlichen Fragen würden das für Inkassodienstleistungen typische Maß erheblich überschreiten. Das Kartellschadensersatzrecht sei geprägt von schwierigen rechtlichen Fragestellungen und werfe regelmäßig überaus umfangreiche tatsächliche Fragen auf. Das Kartellrecht gehöre nicht zu den von Inkassodienstleistern beherrschbaren Rechtsgebieten. Es sei weder in § 11 I RDG aufgeführt, noch lasse es sich unter die dort genannten Gebiete des Rechts, insb. dem Bürgerlichen Recht subsumieren.45 45 LG Stuttgart, Urt. v. 20.1.2022 – 30 O 176/19, BeckRS 2022, 362 Rn. 101. dd) FORDERUNGEN NACH AUSLÄNDISCHEM RECHT Der BGH hat nunmehr in dem bereits erwähnten Urteil v. 13.6.202246 46 BGH, Urt. v. 13.6.2022 – VIa ZR 418/21, BRAK-Mitt. 2022, 277 Ls. entschieden, dass der Sachkundenachweis in den in § 11 I RDG aufgeführten Rechtsgebieten lediglich als Mindestanforderung zu verstehen sei.47 47 Ebenso zuvor Rott, LTZ 2022, 124, 125; Petrasincu/Unseld, NJW 2022, 1200, 1203; dies., RDi 2021, 361, 364 f.; Maritzen, LTZ 2022, 194, 195; Engler, RDi 2022, 101, 103. Die einem Inkassodienstleister danach abverlangte Sachkunde korrespondiere „nicht notwendigerweise mit seinem späteren Angebot“. Es sei kein Wille erkennbar, bestimmte Rechtsgebiete nicht für „inkassofähig“ zu erklären.48 48 BGH, Urt. v. 13.6.2022 – VIa ZR 418/21 Rn. 28, BRAK-Mitt. 2022, 277 Ls. mit Bezug auf BGH, NJW 2020, 208, 235 Rn. 222 f. – wenigermiete.de. Deshalb dürften Inkassodienstleister „erlaubt Forderungen aus Bereichen [einziehen], für die sie keine besondere Sachkunde nachweisen müssen.“49 49 BGH, Urt. v. 13.6.2022 – VIa ZR 418/21 Rn. 29, BRAK-Mitt. 2022, 277 Ls. Daher umfasse die Inkassobefugnis auch die Geltendmachung von ausländischen Forderungen. Sowohl dem Wortlaut als auch der Gesetzessystematik der § 2 II 1 RDG a.F., § 10 I 1 Nr. 1 RDG lasse sich keine Einschränkung entnehmen, dass nur dem deutschen Sachrecht unterfallende Forderungen geltend gemacht werden dürfen.50 50 BGH, Urt. v. 13.6.2022 – VIa ZR 418/21 Rn. 24 ff., BRAK-Mitt. 2022, 277 Ls. Eine gesonderte Registrierung nach § 10 I 1 Nr. 3 RDG für Rechtsdienstleistungen in einem ausländischen Recht sei dafür nicht erforderlich. Der BGH hat damit ein Urteil des OLG Braunschweig51 51 OLG Braunschweig, Urt. v. 7.10.2021 – 8 U 40/21, BeckRS 2021, 29486, bespr. v. Kerstges, AnwBl. Online 2021, 347; abl. Anm. Deckenbrock, EWiR 2021, 703; Deckenbrock/Henssler/Rillig, § 10 Rn. 46z; Engler, RDi 2022, 101, 103; zuvor schon Deckenbrock, DB 2020, 321, 325; Stadler, JZ 2020, 321, 329; wie OLG Braunschweig hingegen Deckenbrock/Henssler/Henssler, Einl. RDG Rn. 47m; Sesing/Wagenpfeil, EWiR 2020, 461; Nuys/Gleitsmann, BB 2020, 2442, 2444. aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. ee) KRITISCHE STELLUNGNAHME Die Feststellungen des BGH sind bemerkenswert. Folgt man dem, so wäre das Inkasso praktisch unbegrenzt in allen Spezialgebieten ohne weiteren Sachkundenachweis möglich. Dies stellt das System des Sachkundenachweises in § 13 II RDG i.V.m. § 2 I 4 RDV in Frage. Ferner ist bedenklich, sollte man für die erforderliche Sachkunde nach § 11 I RDG (nur) auf die Kenntnisse der qualifizierten Person abstellen. Nach § 12 IV 1 RDG müssen juristische Personen und Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit eine natürliche Person benennen, die u.a. über die theoretischen Kenntnisse verfügt. Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte können sich ebenfalls im Zweitberuf als Inkassodienstleister registrieren lassen.52 52 Remmertz, Legal Tech-Strategien für Rechtsanwälte, 2020, § 2 Rn. 409. Ist die qualifizierte Person als Rechtsanwältin/Rechtsanwalt oder Volljurist qualifiziert, besteht die Gefahr, dass für Inkassodienstleistungen keine sachlichen Beschränkungen mehr bestehen und § 11 I RDG überflüssig wäre. Das würde dazu führen, dass sich Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte nur noch als Inkassodienstleister registrieren oder zumindest als deren qualifizierte Person fungieren müssten, um anwaltliche Berufspflichten zu umgehen. Inkassodienstleister könnten im Bereich der weiten Inkassobefugnis in praktisch allen Rechtsgebieten wie ein Rechtsanwalt tätig werden, sofern für sie ein Volljurist als qualifizierte Person tätig wird. Im Hinblick auf die ohnehin schon problematische asymmetrische Regulierung von Inkassodienstleistern und Rechtsanwält:innen hätte diese Entwicklung eine enorme Sprengkraft und würde auch den Grundsatz in Frage stellen, dass unerlaubte Rechtsdienstleistungen nicht dadurch erlaubt werden können, weil der Anbieter sich eines Rechtsanwalts als Erfüllungsgehilfen bedient.53 53 Zu dieser Problematik s. Remmertz, BRAK-Mitt. 2015, 266, 268 f.; krit. ebenso Prütting, EWiR 2022, 549, 550. REMMERTZ, AKTUELLE ENTWICKLUNGEN IM RDG BRAK-MITTEILUNGEN 5/2022 AUFSÄTZE 250

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