jedenfalls zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses 2017 kein nach § 4 RDG bedeutsamer Interessenkonflikt bestanden und die Klägerin sich gemäß ihrer AGB auch verpflichtet habe, nur gleichartige Ansprüche zu bündeln.69 69 BGH, Urt. v. 13.6.2022 – VIa ZR 418/21 Rn. 53, BRAK-Mitt. 2022, 277 Ls. Dabei bleibt aber unberücksichtigt, dass sich ein Interessenwiderstreit der einzelnen Gläubiger auch erst später im weiteren Prozessverlauf entwickeln kann.70 70 S. zur vergleichbaren anwaltlichen Interessenkollision nach § 43a IV BRAO BGH, BRAK-Mitt 2019, 82; NJW 2019, 1147 = BRAK-Mitt 2019, 86 Ls. Nicht überzeugend ist auch die Begründung, ein Verstoß gegen § 4 RDG scheide selbst dann aus, wenn der Auftraggeber bei einem Vergleichswiderruf die Vergütung schulde, die bei Abschluss des Vergleichs angefallen wäre. Denn dadurch wird auf den Auftraggeber in unzulässiger Weise Druck ausgeübt, den Vergleich zu akzeptieren. cc) WEITERE RECHTSPRECHUNG Demgegenüber haben im Berichtszeitraum einige Gerichte – allerdings vor Erlass des obigen BGH-Urteils – einen Verstoß gegen § 4 RDG bejaht, namentlich in Fällen gebündelter Kartellschadensersatzklagen und im sog. Abgasskandal.71 71 OLG Schleswig, Urt. v. 11.1.2022 – 7 U 130/21, BeckRS 2022, 385 (n. rkr., Revision anhängig); LG Stuttgart, Urt. v. 28.4.2022 – 30 O 17/18, BeckRS 2022, 10278; LG Stuttgart, Urt. v. 20.1.2022 – 30 O 176/19, BeckRS 2022, 362 (n. rkr.); LG Stuttgart, Urt. v. 10.1.2022 – 53 O 260/21, BeckRS 2022, 1731 (n. rkr.). Das OLG Schleswig hat im Dieselskandal sogar einen schwerwiegenden Verstoß gegen § 4 RDG (analog) bejaht und dies im Wesentlichen mit der für die Käufer (Zedenten) ungünstigen Vergleichsregelung begründet.72 72 OLG Schleswig, Urt. v. 11.1.2022 – 7 U 130/21 Rn. 44, BeckRS 2022, 385. Das LG Stuttgart hat mit Urteil v. 20.1.202273 73 LG Stuttgart, Urt. v. 20.1.2022 – 30 O 176/19, BeckRS 2022, 362 (n. rkr.) mit zust. Bespr. Remmertz, RDi 2022, 219. gleich mehrere Verstöße gegen § 4 RDG bejaht. Das Sammelklage-Inkasso verstoße in dem konkreten Fall aufgrund der Heterogenität der Ansprüche, der Zusammenarbeit mit einem Prozessfinanzierer und wegen des Vergütungsmodells in dem konkreten Fall gegen § 4 RDG. Das Kartellschadensersatzrecht sei auch für Interessenkonflikte nach § 4 RDG besonders anfällig. Anders als beim typischen Inkasso bestünden zwischen den mutmaßlich Kartellgeschädigten regelmäßig Interessenkonflikte, da sich die Ansprüche auf verschiedenen Marktstufen in der Regel wechselseitig ausschließen.74 74 LG Stuttgart, Urt. v. 20.1.2022 – 30 O 176/19 Rn. 98. Die Ansprüche der Zedenten waren im konkreten Fall nach den Feststellungen des LG Stuttgart stark heterogen. Zudem bestünden gegenüber der die Prozesse finanzierenden US-amerikanischen Muttergesellschaft gesellschaftsrechtliche Treuepflichten, die mit der Inkassodienstleistung kollidieren. Diese Treu- bzw. Rücksichtnahmepflicht sei „andere Leistungspflicht“ i.S.v. § 4 RDG.75 75 LG Stuttgart, Urt. v. 20.1.2022 – 30 O 176/19 Rn. 144. Es bestehe insb. die Gefahr, dass die US-Mutter aus finanziellen Gründen unsachgemäßen Einfluss auf die Prozessführung ausüben könnte. Eine Besonderheit des Falles war, dass das von der Klägerin vereinbarte Vergütungsmodell geeignet gewesen ist, die ordnungsgemäße Erbringung der Inkassoleistung konkret zu gefährden. Ganz ähnlich sieht dies auch eine andere Kammer desselben Gerichts in einem Sammelklage-Inkasso-Fall zum LKW-Kartellschadensersatz mit Urteil v. 10.1.2022,76 76 LG Stuttgart, Urt. v. 10.1.2022 – 53 O 260/21, BeckRS 2022, 1731 (n. rkr.). in dem die Klageabweisung ausschließlich auf § 4 RDG gestützt wurde. Beiden Entscheidungen ist gemeinsam, dass die Inkassodienstleister von einer die Prozesse finanzierenden Muttergesellschaft abhängig sind und dadurch Interessenkollisionen aufgrund gesellschaftsrechtlicher Treue- bzw. Rücksichtnahmepflichten begründet werden. III. AUFSICHT ÜBER REGISTRIERTE RECHTSDIENSTLEISTER Die Bundesregierung hat am 27.7.2022 den Entwurf eines Gesetzes zur Zentralisierung der Aufsicht über registrierte Rechtsdienstleister77 77 Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Aufsicht bei Rechtsdienstleistungen und zur Änderung weiterer Vorschriften des Rechts der rechtsberatenden Berufe v. 27.7.2022. Gegenüber dem Referentenentwurf (RefE) v. 6.5.2022 sieht der Regierungsentwurf (RegE) nur geringfügige Änderungen vor; Der RegE ist auch veröffentlicht unter BR-Drs. 373/22 v. 5.8.2022. auf den Weg gebracht. Praktisch bedeutsam ist dies vor allem für Inkassodienstleister, die im Bereich Legal Tech unterwegs sind. Der Entwurf sieht im Bereich des RDG auch eine Ausweitung der Bußgeldvorschriften für alle unerlaubten Rechtsdienstleistungen vor, sofern diese geschäftsmäßig erbracht werden.78 78 S. zu dem Gesetzentwurf auch Deckenbrock, ZRP 2022, 170. Neben Änderungen des RDG sieht der Gesetzentwurf im Zusammenhang mit der „großen“ BRAO-Reform zum 1.8.2022 kleinere Anpassungen im Berufsrecht der rechtsberatenden Berufe vor, auf die hier nicht eingegangen werden kann. 1. ZENTRALISIERUNG DER AUFSICHT Wesentliche Neuerung ist, dass als Aufsichtsbehörde künftig zentral allein das Bundesamt für Justiz zuständig sein soll. Die Aufsicht auf Landesebene mit unterschiedlichen Gerichten und Behörden soll damit abgeschafft werden. Im Anschluss an den Gesetzesauftrag hatte sich auch die Ampel-Koalition im Koalitionsvertrag 2021 dafür ausgesprochen, die Aufsicht über Inkassounternehmen zu bündeln.79 79 Koalitionsvertrag „Mehr Fortschritt wagen“, 2021, 113. Zur Begründung wird im Regierungsentwurf ausgeführt, dass sich die Zersplitterung der Aufsicht durch Landesbehörden als wenig effektiv erwiesen und insb. bei der Registrierung durch Inkassodienstleister zu einem Forum-shopping geführt habe. Künftig soll durch das Bundesamt für Justiz kompetentes Know-how aufgebaut und eine einheitliche Praxis bei der Registrierung und Überwachung von Rechtsdienstleistern gewährleistet und damit die Rechtssicherheit gestärkt werden.80 80 RegE, 28 ff.; zustimmend auch Quarch/Neumann, LTZ 2022, 180, 181. BRAK-MITTEILUNGEN 5/2022 AUFSÄTZE 252
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