BERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG BERUFSRECHTE UND PFLICHTEN *LEITSATZ DER REDAKTION (ORIENTIERUNGSSATZ) UNTREUE DURCH FEHLENDE WEITERLEITUNG VON FREMDGELDERN BRAO § 43a V 2; StGB § 266 * 1. Verwirklicht ein Rechtsanwalt den Tatbestand der Untreue dadurch, dass er pflichtwidrig seinen Mandanten oder einem Dritten zustehende Gelder nicht weiterleitet, sondern auf seinem Geschäftskonto belässt, erschöpft sich die Untreue in einem Unterlassen. Wird der Rechtsanwalt neben dem bloßen Gelderhalt etwa durch Anfordern des Geldes, Verwenden des Geldes zu eigenen Zwecken oder durch Ableugnen des Zahlungseingangs tätig, kann auf diese Einzelhandlungen abzustellen sein. * 2. Das bloße Nichtweiterleiten nach jedem Zahlungseingang führt zur Tatmehrheit, da der Rechtsanwalt verpflichtet ist, für seine Leistungsfähigkeit zu den verschiedenen Zahlungszeitpunkten Sorge zu tragen. BGH, Beschl. v. 3.5.2022 – 1 StR 10/22 AUS DEN GRÜNDEN: [1] Das LG hat den Angeklagten wegen Untreue in zwei Fällen und wegen Steuerhinterziehung in zwei Fällen unter Einbeziehung von fünf Einzelstrafen aus einer anderen Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sieben Monaten verurteilt; daneben hat es gegen den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung und wegen versuchter Steuerhinterziehung eine weitere Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Monaten verhängt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Schließlich hat das LG unter Aufrechterhaltung der Einziehungsentscheidung des anderen Urteils die Einziehung des Wertes von Taterträgen i.H.v. weiteren 40.175 Euro angeordnet. Die gegen die Verurteilung gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts beanstandet, hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 IV StPO); im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet (§ 349 II StPO). [2] 1. Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils vereinnahmte der angeklagte Rechtsanwalt im Namen und auf Rechnung seines Mandanten L. aus einem Erbschaftsstreit im Zeitraum v. 12.12.2013 bis zum 3.2. 2014 insgesamt 41.000 Euro auf einem seiner Geschäftskonten. Die Bekl. W. zahlte diesen Betrag in drei Teilbeträgen, und zwar i.H.v. 500 Euro am 12.12.2013, i.H.v. 25.500 Euro am 24.1.2014 und i.H.v. 15.000 Euro am 3.2.2014; zu den drei Zeitpunkten ergab die Gesamtsumme der Saldenstände aller Konten des Angeklagten, der bereits bei Zahlungseingang entschlossen war, die Gelder nicht an den Zeugen L. auszukehren, jeweils einen deutlichen Negativbetrag (um die 29.000 Euro bzw. über 4.000 Euro im letzten Fall). Der Betrag i.H.v. 500 Euro ging vollständig in einem Negativsaldo auf, die zweite Zahlung zu einem Teilbetrag i.H.v. 4.285,82 Euro. Entgegen seiner anwaltlichen Pflicht kehrte der Angeklagte aber auch die Guthabenbeträge nicht an seinen Mandanten aus, sondern verwendete diese für sich, indem er mit ihnen die Negativsalden auf seinen anderen Geschäftskonten verminderte, und zwar bezüglich der zweiten Zahlung mit sieben nachfolgenden Überweisungen, davon jeweils zwei am 27. bzw. 28.1.2014 und bezüglich der dritten mit vier nachfolgenden, davon zwei am 7.2.2014. Lediglich 1.000 Euro überwies der Angeklagte am 11.6.2014 an den Zeugen L. (Fall II. 1. der Urteilsgründe). In ähnlicher Weise enthielt der Angeklagte das am 25.7.2016 vereinnahmte Buchgeld i.H.v. 3.475 Euro aus der Abwicklung eines Verkehrsunfalls seinem Mandanten S. vor; dieser Betrag ging vollständig im Negativsaldo des angesprochenen Geschäftskontos von fast 43.000 Euro auf. Erst auf Veranlassung des Abwicklers seiner Rechtsanwaltskanzlei zahlte der Angeklagte an den Zeugen S. am 16.3.2018 500 Euro und während der Hauptverhandlung weitere 2.800 Euro (Fall II. 2. der Urteilsgründe). [3] Für die Jahre 2015, 2016 und 2017 gab der Angeklagte entgegen der ihm bekannten Pflicht jeweils bis zum 31. Mai des Folgejahres keine Umsatzsteuerjahreserklärung ab (Fälle II. 3. a), b) und d) der Urteilsgründe). Für den Besteuerungszeitraum 2015 reichte er verspätet lediglich zwei Umsatzsteuervoranmeldungen und am 6.1.2017 die Umsatzsteuerjahreserklärung ein; für 2016 erklärte er mit den jeweils zu spät abgegebenen Umsatzsteuervoranmeldungen Ausgangsumsätze ohne Umsatzsteuer i.H.v. insgesamt nur 81.381 Euro statt 145.528 Euro, desgleichen für 2017 nur 44.634 Euro statt 71.578,44 Euro. Insgesamt verkürzte der Angeklagte nach den Berechnungen des LG 57.026,86 Euro an Umsatzsteuern. Für den Veranlagungszeitraum 2016 unterließ der Angeklagte zusammen mit seiner Ehefrau die Abgabe der Einkommensteuererklärung; er nahm dabei billigend in Kauf, 15.587 Euro an Einkommensteuer und 718,35 Euro an Solidaritätszuschlag zu hinterziehen. Vor dem allgemeinen Abschluss der Veranlagungsarbeiten wurde dem Angeklagten am 18.10. 2018 die Einleitung des Steuerstrafverfahrens bekanntgegeben (Fall II. 3. c) der Urteilsgründe). [4] 2. Das Urteil hält sachlichrechtlicher Nachprüfung überwiegend nicht stand. BERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG BRAK-MITTEILUNGEN 5/2022 267
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