BRAK-Mitteilungen 5/2022

FACHANWALTSCHAFTEN PERSÖNLICHE BEARBEITUNG TROTZ VORGEFERTIGTER FORMULARE UND VORDRUCKE FAO § 5 * 1. Die persönliche und weisungsfreie Bearbeitung eines Falls erfordert eine unabhängige, eigenverantwortliche und eigenhändige anwaltliche Bearbeitung durch einen Fachanwaltsanwärter. * 2. Ein Rechtsanwalt, der vorgefertigte Formulare und Vordrucke verwendet, erbringt, anders als der Unterzeichner einer fremden gedanklichen juristischen Leistung, eine eigene anwaltliche Tätigkeit. * 3. Die persönliche anwaltliche Leistung besteht in Fällen des formularmäßigen Massengeschäfts darin, zu erkennen und zu entscheiden, ob sich der vorgetragene Fall für eine formularmäßige Bearbeitung eignet, ob der Formulartext richtig verwendet worden ist oder ob in dem vorgelegten Fall aufgrund von Besonderheiten ein individueller Antrag formuliert werden muss. AGH Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 29.4.2022 – 1 AGH 43/21 AUS DEM TATBESTAND: Die Kl. begehrt die Erlaubnis, die Bezeichnung „Fachanwältin für Familienrecht“ führen zu dürfen. Die erforderlichen theoretischen Kenntnisse wies die Kl. durch die erfolgreiche Teilnahme an einem Lehrgang „Fachanwalt für Familienrecht“ der A Law School in der Zeit v. 18.5.2019 bis zum 17.11.2019 nach. Am 20.4. 2020 beantragte die Kl. bei der Bekl. die Erlaubnis, die Fachanwaltsbezeichnung führen zu dürfen. Sie legte der Bekl. im Laufe des Verwaltungsverfahrens drei Listen über bearbeitete Fälle aus dem Fachgebiet Familienrecht vor. Die Kl. betreibt eine Kanzlei in B, die im Schwerpunkt „Online-Scheidungen“ durchführt. Die Kl. beschäftigt hierzu einen weiteren Rechtsanwalt sowie zwei Büroangestellte. Die Kanzlei der Kl. versendet online vorbereitete Scheidungsanträge mit Lücken an die Mandanten, die diese vervollständigen. Die Kanzlei der Kl. erstellt hieraus Schriftsätze, die dann bei Familiengerichten in ganz Deutschland eingereicht werden. Eine schriftliche Korrespondenz mit der Mandantschaft erfolgt so gut wie nicht. Die Akten der Kl. in Scheidungssachen enthalten regelmäßig die jeweiligen Scheidungsanträge, die Auskünfte der Versorgungsträger zum Versorgungsausgleich, das Sitzungsprotokoll und die Entscheidung des Familiengerichts. Die Termine werden zum Teil von Kollegen der Kl. in Untervollmacht wahrgenommen. Beworben wurde die Kanzlei der Kl. in der Vergangenheit durch eine von der Fa. C gestaltete Homepage. Bei der Fa. C handelt es sich um ein Franchise-Unternehmen, das nach Angaben der Kl. für deren Kanzlei die Akquise betrieben hatte. Inzwischen ist die Zusammenarbeit der Kl. mit C beendet, sie lässt die Kanzlei jetzt von der Fa. D bewerben. Die Bekl. führte mit der Kl. am 21.10.2021 ein Fachgespräch, in dem die Kl. u.a. ihre Arbeitsweise erläuterte. Mit Bescheid v. 7.10.2021 hat die Bekl. den Antrag der Kl. abgelehnt. Zur Begründung hat die Bekl. ausgeführt, die Kl. habe die besonderen praktischen Erfahrungen im Fachgebiet nicht nachgewiesen. Nachzuweisen seien 120 Fälle, wobei 60 Fälle gerichtliche Verfahren sein müssten, die innerhalb der letzten drei Jahre vor Antragstellung persönlich und weisungsfrei bearbeitet worden seien. Die Kl. habe mehrere Falllisten eingereicht. Zu Gunsten der Kl. sei anzunehmen, dass der Nachweiszeitraum mit Einreichung der neuen – 195 Fälle umfassenden – Liste im Januar 2021 beginne und bis Januar 2018 zurückreiche. Die Fälle 129, 132, 143, 137, 140, 143 bis 147, 151 und 184 fielen nicht mehr in den zu berücksichtigenden Zeitraum, da deren Bearbeitung vor Januar 2018 beendet gewesen sei. Ferner gebe es eine große Anzahl von Fällen, die das Kriterium der persönlichen und eigenverantwortlichen Bearbeitung durch die Kl. nicht erfüllten. Im Verwaltungsverfahren habe nicht festgestellt werden können, dass eine Beratung der Mandanten durch die Kl. persönlich erfolge. Soweit die Kl. eine ausschließliche telefonische Beratung der Mandanten behaupte, existierten darüber keine Aktenvermerke, die diesen Vorgang belegen würden. Sie, die Bekl., habe nicht einmal die Überzeugung gewinnen können, dass die Kl. die Scheidungsanträge selber fertige. Auch in dem Fachgespräch v. 21.10.2021 sei nicht deutlich geworden, welcher Beschäftigte aus der Kanzlei der Kl. welche Büroabläufe übernehme. Aus diesem Grunde könnte ein großer Teil der in den Falllisten aufgeführten Fälle nicht berücksichtigt werden. Auch in den Fällen, in denen die Kl. selbst Gerichtstermine wahrgenommen habe, habe nicht festgestellt werden können, dass sich die Kl. mit familienrechtlichen Fragestellungen befasst habe, da es sich um einvernehmliche Scheidungen gehandelt habe. Im Fachgespräch hätte die Kl. keine Erfahrungen im Familienrecht vermitteln können. Im Hinblick auf fachliche Fragen sei sie unsicher gewesen und habe falsche Antworten gegeben. Mit Blick auf die Verbindung zu der Fa. C bestehe die Vermutung, dass deren Tätigkeit weit über die Mandanten-Akquise hinausgehe und in die anwaltliche Bearbeitung der Fälle hineinreiche. Gegen diesen Bescheid wendet sich die Kl. mit ihrer Klage. Sie macht geltend, entgegen dem angefochtenen Bescheid leite sie ihre Kanzlei selbstständig. Sie führe zahlreiche Mandate im Familienrecht in eigener, weisungsfreier und haftungsrelevanter Form. In allen aufgeführten Fällen habe die sachliche Bearbeitung ausschließFACHANWALTSCHAFTEN BERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG BRAK-MITTEILUNGEN 5/2022 273

RkJQdWJsaXNoZXIy ODUyNDI0