BRAK-Mitteilungen 6/2022

trifft dem Wortlaut des Gesetzes nach nur Fälle gemeinschaftlicher Berufsausübung. Um solche handelt es sich bei einer Bürogemeinschaft gerade nicht.19 19 S. oben II. In den Gesetzesmaterialien kommt klar zum Ausdruck, dass die Bürogemeinschaft nicht in den Anwendungsbereich des Tätigkeitsverbots einbezogen werden sollte.20 20 BT-Drs. 19/27670, 163. Das ist konsequent, denn ein Vertragsverhältnis besteht nur zwischen der Mandantin/dem Mandanten und der Anwältin/dem Anwalt, nicht mit deren/dessen Bürogemeinschaftspartner:in. Dementsprechend besteht auch kein Vertrauensverhältnis zwischen der Mandantschaft und der/dem Bürogemeinschafter:in, nur die beauftragte Anwältin oder der beauftragte Anwalt sei als Interessenvertretung zu betrachten. Zudem müssen die in einer Bürogemeinschaft tätigen Anwält:innen nach § 59q III BRAO21 21 Im Gesetzentwurf (BT-Drs. 19/27670, 163 f.) noch als § 59q II vorgesehen. angemessene organisatorische und technische Maßnahmen zur Absicherung ihrer Berufspflichten, insbesondere ihrer Verschwiegenheitspflicht treffen. Der Gesetzgeber hielt es daher nach dem Schutzzweck des Verbots nicht für erforderlich, es auch auf Bürogemeinschaften zu erstrecken.22 22 Vgl. BT-Drs. 19/27670, 163 unter Hinw. auf Deckenbrock, Strafrechtlicher Parteiverrat und berufsrechtliches Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen, 2009, Rn. 500 ff. Die Erstreckungsregelung des § 3 II 1 BORA a.F. stand damit im Widerspruch zur ab dem 1.8.2022 geltenden Rechtslage. Die Satzungsversammlung überarbeitete aus Anlass der „großen BRAO-Reform“ u.a. § 3 BORA vollständig.23 23 Dazu Nachr. aus Berlin 1/2022 v. 12.1.2022 sowie Nitschke, BRAK-Magazin 1/ 2022, 4; Beschlüsse der 2. Sitzung der 7. Satzungsversammlung abrufbar auf der Website der BRAK. In § 3 III 1 BORA wird nunmehr ausdrücklich festgehalten, dass bei Bürogemeinschaften keine gemeinschaftliche Berufsausübung i.S.v. § 43a IV 2 BRAO vorliegt. Dabei handelt es sich letztlich um eine bloße Klarstellung dessen, was sich ohnehin aus der BRAO ergibt.24 24 Ebenso Deckenbrock, BRAK-Mitt. 2022, 6, 10. V. VERSICHERUNGSPFLICHT Durch die große BRAO-Reform wird für alle Berufsausübungsgesellschaften eine generelle Versicherungspflicht begründet, die in §§ 59n, 59o BRAO geregelt ist.25 25 Zu Einzelheiten s. Zimmermann/Dörne, BRAK-Mitt. 2022, 74; Zimmermann/Hartung, NJW 2022, 1792; Dahns, NJW-Spezial 2022, 446. Nach dem alten Recht unterlagen nur die Rechtsanwalts-GmbH und -AG einer Versicherungspflicht, und für die PartGmbB bestand ein Anreiz, eine Versicherung zu unterhalten, um in den Genuss der Haftungsprivilegierung gem. § 8 IV PartGG i.V.m. § 51a BRAO a.F. zu kommen. 1. BÜROGEMEINSCHAFT Die Bürogemeinschaft dient nach der Legaldefinition in § 59q I BRAO lediglich der gemeinschaftlichen Organisation der Berufstätigkeit unter gemeinsamer Nutzung von Betriebsmitteln. Sie wird aber nicht selbst Vertragspartnerin der Mandant:innen, daher benötigt sie keinen Versicherungsschutz. Das wird aus § 59n I, II BRAO deutlich, wonach die Versicherung die Haftung der Gesellschaft für Vermögenschäden aus der Beratung und Vertretung in Rechtsangelegenheiten abdecken soll – eine solche leistet die Bürogemeinschaft gerade nicht. 2. VERSICHERUNGSPFLICHT ALS SCHEINSOZIETÄT Anders liegt es jedoch, wenn die Bürogemeinschaft nach außen als Scheinsozietät auftritt. Auch nach dem neuen Recht ist für die Frage, ob eine Berufsausübungsgesellschaft vorliegt, allein maßgeblich, ob für das rechtsuchende Publikum eine gemeinschaftliche Berufsausübung erkennbar ist; unerheblich bleibt, wie der Gesellschaftsvertrag gestaltet ist bzw. ob überhaupt ein Gesellschaftsvertrag existiert.26 26 S. etwa BGH, Urt. v. 21.7.2011 – IV ZR 42/10, NJW 2011, 3718, 3720 Rn. 24 m.w.N.; Sassenbach/Riechert, in Höra/Schubach, Münchener AnwaltsHdb. Versicherungsrecht, 5. Aufl. 2022, § 18 Rn. 168; ferner Zimmermann/Hartung, NJW 2022, 1792, 1794; Dahns, NJW-Spezial 2022, 446, 447. Liegt danach eine Scheingesellschaft vor, ist derzeit noch nicht geklärt, ob diese sich nach §§ 59n, 59o BRAO zu versichern hat. a) SCHEINSOZIETÄT ALS HAFTUNGSSUBJEKT? Im Rahmen einer Scheinsozietät haften nach der Rechtsprechung des BGH lediglich die beteiligten Berufsträger:innen nach Rechtsscheinsgrundsätzen, so als ob sie Sozien einer GbR wären.27 27 S. nur Henssler/Prütting/Henssler, § 59a Rn. 118. Die nicht existente Sozietät ist nicht Partei des Mandatsvertrags und kommt schon deshalb nicht als primäres Haftungssubjekt in Betracht.28 28 BGH, Urt. v. 17.11.2011 – IX ZR 161/09, NJW-RR 2012, 239 Rn. 23 = BRAK-Mitt. 2012, 24 Ls.; Urt. v. 12.7.2012 – AnwZ (BrfG) 37/11, BRAK-Mitt. 2012, 232 Rn. 37. Daher kann hieran auch nicht für die Begründung einer Versicherungspflicht angeknüpft werden. Dies hat der BGH für eine Scheinsozietät von Wirtschaftsprüfern explizit so entschieden:29 29 BGH, Urt. v. 12.10.2000 – WpSt (R) 1/00, NJW 2001,165, 166. Die Versicherungspflicht (in dem damaligen Fall: nach § 44b IV WPO) knüpfe an das Bestehen einer Sozietät an, es gebe keinen Anhalt im Gesetz dafür, sie auch auf die als Scheinsozietät bezeichnete Haftungsgrundlage anzuwenden.30 30 BGH, Urt. v. 12.10.2000 – WpSt (R) 1/00, NJW 2001,165, 167. Der Gesetzgeber hat im Nachgang die Versicherungspflicht mit dem 2004 eingefügten § 44b VI WPO auf Scheinsozien ausgeweitet, vgl. Peres/Depping, DStR 2006, 2261, 2264 m. w. N. Die Entscheidung betraf einen selbstständigen Rechtsanwalt und Wirtschaftsprüfer, in dessen Kanzlei angestellt bzw. in freier Mitarbeit ein Rechtsanwalt und eine Steuerberaterin tätig waren. Für diese Konstellation aus Einzelanwalt und scheinbaren Sozien leuchtet das ohne weiteres ein. In der Konstellation, in der eine Bürogemeinschaft – ob bewusst31 31 Dass dies in der Praxis vorkommt, nimmt der BGH, Urt. v. 12.7.2012 – AnwZ (BrfG) 37/11, BRAK-Mitt. 2012, 232 Rn. 21 an. oder durch ungeschicktes Marketing – nach außen den Anschein erweckt, die an ihr Beteiligten würden ihre Berufe gemeinschaftlich ausüben, dürfte dies NITSCHKE, DIE „NEUE“ BÜROGEMEINSCHAFT BRAK-MITTEILUNGEN 6/2022 AUFSÄTZE 300

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