Danach stellte der Anwaltssenat zunächst darauf ab, dass eine persönliche Bearbeitung von Fällen i.S.v. § 5 I 1 FAO gegeben sei, wenn sich der Rechtsanwalt – namentlich durch Anfertigung von Vermerken und Schriftsätzen oder die Teilnahme an Gerichts- und anderen Verhandlungen – selbst mit der Sache inhaltlich befasst habe. Beschränkte sich seine Befassung hingegen auf ein Wirken im Hintergrund, liege eine persönliche Bearbeitung nicht vor. Verwendet der Rechtsanwalt keinen eigenen Briefkopf, so sind auch anwaltliche Versicherungen von Rechtsanwälten zu berücksichtigen, von denen der Antragsteller Fälle zur eigenständigen persönlichen Bearbeitung erhielt. Lägen derartige Versicherungen vor, so käme es auch nicht darauf an, ob sich in den Schriftsätzen Diktatzeichen fänden, die auf die Urheberschaft des Antragstellers verwiesen. Der BGH stellte klar, dass es entgegen der Auffassung der Rechtsanwaltskammer nicht erforderlich sei, dass der Rechtsanwalt in jedem der von ihm gelisteten Fälle nach außen verantwortlich aufgetreten sei. Auch ohne ein derartiges Erfordernis könnten Fälle einer persönlichen Bearbeitung von einem lediglich im Hintergrund erfolgenden Wirken sicher abgegrenzt werden. Maßgeblich ist letztlich die sachliche und inhaltliche Befassung mit dem Fall und nicht die Form der Mitwirkung an der Fallbearbeitung. Die Entscheidung des Anwaltssenats bietet daher die notwendige Sicherheit für Antragsteller, die wohl vor allem in größeren Kanzleien häufig intensive Sacharbeit leisten, während aus Gründen der Außendarstellung die Unterzeichnung von Schriftsätzen durch namentlich dem rechtsuchenden Publikum bekannte Berufsträger erfolgt. Diese in der Sache sicher nicht gänzlich unbedenkliche Praxis sollte es dem die Sache tatsächlich persönlich und weisungsfrei bearbeitenden Rechtsanwalt jedoch nicht verwehren, eine Fachanwaltsbezeichnung erlangen zu können. b) ERFORDERNIS EIGENER ANWALTLICHER TÄTIGKEIT Der AGH Nordrhein-Westfalen hat sich in einer Entscheidung vom 29.4.202212 12 .AGH Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 29.4.2022 – 1 AGH 43/21. mit einem Fall befasst, der ebenfalls die Voraussetzungen von § 5 FAO im Zusammenhang mit der persönlichen und weisungsfreien Fallbearbeitung zum Gegenstand hatte. Die Klägerin begehrte die Erlaubnis die Bezeichnung „Fachanwältin für Familienrecht“ führen zu dürfen. Sie betreibt eine Kanzlei, die im Schwerpunkt „Online-Scheidungen“ durchführt. Im Zuge dessen erstellt die Kanzlei der Klägerin online vorbereitete Scheidungsanträge mit Lücken, die den Mandanten zur Vervollständigung übermittelt werden. Die Scheidungsanträge werden sodann bei Familiengerichten in der gesamten Republik eingereicht, wobei eine schriftliche Korrespondenz mit dem Mandanten so gut wie nicht erfolgt. Termine werden regelmäßig von Unterbevollmächtigten wahrgenommen. Die Rechtsanwaltskammer lehnte den Antrag der Antragstellerin ab. Das Kriterium der persönlichen und eigenverantwortlichen Bearbeitung durch die Klägerin sei nicht erfüllt. Im Verwaltungsverfahren habe nicht festgestellt werden können, dass eine Beratung der Mandanten durch die Klägerin persönlich erfolge. Die Kammer habe nicht einmal die Überzeugung gewinnen können, dass die Klägerin die Scheidungsanträge selber fertige. Der AGH hob den Bescheid der Rechtsanwaltskammer auf und stellte darauf ab, dass der Rechtsanwalt, der vorgefertigte Formulare und Vordrucke verwende, eine eigene anwaltliche Tätigkeit erbringe. Dies setze nicht voraus, dass der Bearbeiter persönliche Beratungsgespräche mit den Mandanten führe. Die Arbeit der Klägerin mag sich qualitativ erheblich von individuellen Arbeiten in Schriftsätzen unterscheiden, sie bleibe jedoch eine persönliche Leistung des Rechtsanwalts. Auch eine Analyse der FAO zeige, dass der Satzungsgeber das Ausfüllen vorgefertigter Formulare für eine persönliche anwaltliche Leistung halte. So sei es nach § 5 I lit. o FAO zulässig, einen Teil des Fallquorums durch Schutzrechtsanmeldungen zu erfüllen. Dazu würden regelmäßig vorgefertigte Formulare ausgefüllt, die bei den zuständigen Behörden erhältlich seien. Die Entscheidung ist in der Sache richtig. § 5 FAO stellt allein auf die persönliche und weisungsfreie Sachbearbeitung ab. Eine Qualitätskontrolle findet nicht statt. Der AGH weist jedoch in seiner Entscheidung zu Recht darauf hin, dass Fragen der Intensität einer Fallbearbeitung durchaus im Rahmen der Gewichtung Berücksichtigung finden können. Ob die Art und Weise der Fallbearbeitung letztlich den Interessen der offenbar nur online vertretenen Mandanten hinreichend Rechnung trägt, ist jedenfalls nicht im Rahmen einer Entscheidung über die Berechtigung zur Führung einer Fachanwaltsbezeichnung zu bewerten. Immerhin bietet die Anwaltschaft dem rechtsuchenden Publikum die gesamte Bandbreite anwaltsspezifischen Berufsverständnisses zur Auswahl an. 3. NACHWEISE DURCH UNTERLAGEN, § 6 FAO Der AGH Mecklenburg-Vorpommern hat in einer Entscheidung vom 24.1.202213 13 AGH Mecklenburg-Vorpommern, Beschl. v. 24.1.2022 – 2 AGH 4/20, BRAK-Mitt. 2022, 98. lediglich noch eine Kostenentscheidung zu treffen. So begehrte der Antragsteller die Verleihung der Berechtigung künftig die Bezeichnung „Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht“ führen zu dürfen. Im Antragsverfahren forderte der zuständige Fachanwaltsausschuss den späteren Kläger auf, zu einzelnen Fällen Handakten vorzulegen. Dem kam der Antragsteller nicht nach und erhob beim AGH Untätigkeitsklage. Im Rahmen dieses Verfahrens trug der Antragsteller u.a. vor, dass er keinen Zugriff mehr auf die Handakten hätte, da er aus seiner ursprünglichen Kanzlei nicht im Einvernehmen ausgeschieden sei. ENGEL, DIE ENTWICKLUNG DES FACHANWALTSRECHTS IM JAHR 2022 BRAK-MITTEILUNGEN 6/2022 AUFSÄTZE 308
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