BRAK-Mitteilungen 6/2022

PFLICHTEN UND HAFTUNG DES ANWALTS – EINE RECHTSPRECHUNGSÜBERSICHT RECHTSANWÄLTIN ANTJE JUNGK, RECHTSANWÄLTE BERTIN CHAB UND HOLGER GRAMS* * Die Autorin Jungk ist Leitende Justiziarin, der Autor Chabist Leitender Justiziar bei der Allianz Versicherungs-AG, München; der Autor Grams ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Versicherungsrecht in München. In jedem Heft der BRAK-Mitteilungen kommentieren die Autoren an dieser Stelle aktuelle Entscheidungen zum anwaltlichen Haftungsrecht. HAFTUNG HAFTUNG FÜR VERSPÄTETE DATENAUSKUNFT 1. Erteilt ein Rechtsanwalt einer Mandantin eine Datenauskunft gem. Art. 15 DSGVO erst neun Monate nach deren Beantragung, begründet dies einen Schmerzensgeldanspruch aus Art. 82 I DSGVO (hier: 500 Euro). 2. Es trifft nicht zu, dass Art. 82 DSGVO nur solche Schäden erfasst, die „durch eine nicht dieser Verordnung entsprechende Verarbeitung“ entstanden sind und dass damit Verstöße gegen Auskunftspflichten aus Art. 12 III bzw. Art. 15 DSGVO nicht als Grundlage für einen Ersatzanspruch dienen können. 3. Art. 82 II schränkt Ansprüche aus Art. 82 I DSGVO nicht ein. OLG Köln, Urt. v. 14.7.2022 – 15 U 137/21, MDR 2022, 1152; BRAK-Mitt. 2022, 280 mit Anm. Schneider/Demir Die klägerische vormalige Mandantin hatte, wie sich dem vorgehenden Urteil des LG Bonn1 1 LG Bonn, Urt. v. 1.7.2021 – 15 O 356/20. entnehmen lässt, den beklagten Rechtsanwalt im Jahr 2016 mit der Geltendmachung von Schäden aus einem schweren Verkehrsunfall mandatiert. Das Mandatsverhältnis gestaltete sich offenbar zäh. Zwischen den Parteien war streitig, ob der Beklagte das Mandat in der Folge hat einschlafen lassen. Im Mai 2018 schrieb die Klägerin per E-Mail an den Beklagten, dass sie ihn nicht erreichen könne, in der Folgezeit bis 2019 folgten mehrere WhatsApp-Nachrichten, die wohl nur hinhaltend beantwortet wurden. Anfang 2020 kündigte die Klägerin schließlich das Mandat und forderte den Beklagten auf, ihr eine vollständige Datenauskunft einschließlich einer Kopie der Handakte zu erteilen, was nicht erfolgte. Die Klägerin erhob daraufhin eine Datenauskunftsklage als Stufenklage, da sie sich die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen vorbehielt. Im Prozess übergab der Beklagte sodann zwei Ordner mit Mandatsunterlagen, später dann noch ein weiteres Datenauskunftsblatt. Die vollständige Datenauskunft war aber auch damit nach Ansicht des LG Bonn nicht erfüllt: Entsprechend der Rechtsprechung des OLG Köln2 2 OLG Köln, Urt. v. 26.7.2019 – I-20 U 75/18. sei der Umfang der Datenauskunft grundsätzlich weit zu fassen. Hierunter fallen demnach unter anderem auch die Angaben aus dem Mandatskonto der Klägerin bei dem Beklagten und die betreffend die Klägerin gespeicherte elektronische Kommunikation, insbesondere auch über WhatsApp. Aufgrund der mindestens neun Monate andauernden Verzögerung der Datenauskunft verlangte die Klägerin auch ein angemessenes „Schmerzensgeld“ – gemeint ist wohl der Schadensersatzanspruch für immaterielle Schäden nach Art. 82 I DSGVO. Dieses sprach das LG Bonn allerdings nicht zu, da hierfür ein Verstoß durch die Verarbeitung selbst erforderlich sei, die verordnungswidrig sein müsse, um einen Schadensersatzanspruch auszulösen. Zudem müsse bei einem immateriellen Schaden eine Beeinträchtigung eingetreten sein, die unabhängig von einer Erheblichkeitsschwelle wenigstens spürbar sein müsse. Diese Anforderungen beurteilt das OLG Köln gänzlich anders als das LG Bonn: Art. 82 DSGVO erfasse nicht nur solche Schäden, die „durch eine nicht dieser Verordnung entsprechende Verarbeitung“ entstanden sind. Verstöße gegen Auskunftspflichten aus Art. 12 III bzw. Art. 15 DSGVO könnten also sehr wohl als Grundlage für einen Ersatzanspruch dienen.3 3 Es zitiert dabei LAG Hamm, Urt. v. 11.5.2021 -6 Sa 1260/20; OLG Stuttgart, Urt. v. 31.3.2021 – 9 U 34/21 Rn. 29; Weber, CR 2021, 379 m.w.N. Insbesondere auch die Entstehungsgeschichte der Norm spreche entscheidend dafür, die Ersatzpflicht nach Art. 82 I DSGVO auf jeden Verstoß gegen Regelungen der Verordnung anzuwenden. Einen konkreten Schaden bejaht das OLG, da die Klägerin sich darauf beruft, dass sie durch die verzögerte Datenauskunft des Beklagten psychisch belastet worden sei; sie habe Stress und Sorge im Hinblick auf die Regulierung ihrer Ansprüche aus dem Verkehrsunfallgeschehen empfunden. Das reiche aus. 500 Euro seien angemessen. Viele Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte haben sich mit dem Thema Datenschutz immer noch nicht so recht befasst. Es ist jedoch wichtig und beginnt schon bei Mandatsabschluss mit den Informationspflichten aus Art. 13 und 14 DSGVO. Verlangt der Mandant gem. Art. 15 DSGVO Auskunft über seine verarbeiteten personenbezogenen Daten, muss diese gem. Art. 12 III DSGVO innerhalb eines Monats erteilt werden, und zwar – wie man an dieser Entscheidung sieht – sehr umfassend und unter Berücksichtigung sämtlicher Kommunikationsmittel. Anderenfalls droht eine Entschädigungszahlung. (ju) BRAK-MITTEILUNGEN 6/2022 AUFSÄTZE 310

RkJQdWJsaXNoZXIy ODUyNDI0