BRAK-Mitteilungen 6/2022

Die Anwälte hätten nicht darauf vertrauen dürfen, dass ihrem weiteren Verlängerungsantrag stattgegeben werde, da dies nach § 520 II 2, 3 ZPO nur bei Zustimmung des Gegners erfolgen dürfe. Dass man auf die Erteilung dieser Zustimmung habe vertrauen dürfen, sei nicht vorgetragen; die Kanzlei habe nicht einmal selbst bei der Gegenseite angefragt. Auf die vorgetragene telefonische Auskunft der Geschäftsstelle habe sich die Kanzlei nicht verlassen dürfen, da diese erkennbar fehlerhaft gewesen sei. Eine weitere Fristverlängerung ohne Zustimmung des Gegners hätte in offenkundigem Widerspruch sowohl zur Gesetzeslage (§ 520 II 2, 3 ZPO) als auch zur vorausgegangenen Verfügung des OLG gestanden, durch die bekannt gewesen sei, dass die weitere Verlängerung von der Zustimmung des Gegners abhängig sei. Die Entscheidung steht im Einklang mit der Rechtsprechung zu erkennbar fehlerhaften Auskünften.13 13 BGHZ 5, 275, 278; NJW 1994, 2299; NJOZ 2019, 834. (hg) NACHHOLENDE INDIVIDUALISIERUNG DES MAHNBESCHEIDS ZUR VERJÄHRUNGSHEMMUNG 1. Die Zustellung des Mahnbescheids im Mahnverfahren hemmt die Verjährung nur, wenn der Schuldner aufgrund der Bezeichnung des Anspruchs im Mahnbescheid erkennen kann, woraus der Gläubiger seinen Anspruch herleitet. 2. Die im Mahnbescheid nicht hinreichende Individualisierung des Anspruchs kann nachgeholt werden. Die Nachholung der Individualisierung hemmt die Verjährung nach § 204 I Nr. 3 BGB zwar nicht rückwirkend, aber ab dem Zeitpunkt ihrer Vornahme. 3. Für die nachträgliche Individualisierung des Anspruchs im Mahnverfahren ist ebenso wie für die Individualisierung im Mahnbescheid ausschließlich auf den Erkenntnishorizont des Schuldners abzustellen. Dementsprechend ist es ohne Bedeutung, ob die Individualisierung des Anspruchs durch an das Gericht gerichteten Schriftsatz oder außerhalb des Gerichtsverfahrens erfolgt. BGH, Urt. v. 14.7.2022 – VII ZR 255/21, NJW-RR 2022, 1286 Die Klägerin verlangte nach Stellung der Schlussrechnung und Kürzung derselben durch die Beklagte – die Bundesrepublik Deutschland – noch Restwerklohn aus einer Baumaßnahme. Den Mahnantrag versah sie mit der Bezeichnung „Werkvertrag/Werkliefervertrag gemäß Restforderung aus Schlussrechnung“ unter Bezeichnung der eigenen Rechnungsnummer und des Rechnungsdatums. Nach Zustellung des Mahnbescheids am 14.1.2017 erklärte das Amt für Bundesbau mit Schreiben vom 16.1.2017, die Forderung könne ohne Nennung der Baumaßnahme nicht zugeordnet werden, woraufhin die Klägerin mit E-Mail vom 17.1.2017 die im Mahnbescheid erfolgten Angaben gegenüber der Beklagten so ergänzte, dass die Zuordnung möglich war. Nach Widerspruch erhob die Beklagte die Einrede der Verjährung. Das LG wies die Klage wegen nicht rechtzeitiger Individualisierung des Mahnbescheids und fehlender Hemmungswirkung dementsprechend ab, nach Berufungseinlegung wies das OLG darauf hin, die Berufung nach § 522 II ZPO zurückweisen zu wollen. Nunmehr trugen die Anwälte der Klägerin, die inzwischen selbst dem Streit beigetreten waren, vor, dass sie bereits am 29.12.2016 eine E-Mail an die zuständige Referentin im Bundesamt unter dem Betreff des Bauvorhabens gesandt hätten mit dem Hinweis darauf, dass ein Mahnantrag gestellt worden sei. Dem Berufungsgericht genügte auch das nicht für eine rechtzeitige und ausreichende Individualisierung; es wies die Berufung zurück. Der BGH entschied daraufhin mit Urteil vom 17.6. 2020,14 14 BGH – VII ZR 111/19, NJW 2020, 3653. dass das Berufungsgericht den Kerngehalt des Vortrags der Streithelferin nicht beachtet habe. Aufgrund der E-Mail an die Sachbearbeiterin im Bundesamt sei dieses tatsächlich in der Lage gewesen, den zwei Wochen später zugestellten Mahnbescheid zuzuordnen, obwohl es eine Vielzahl von Baumaßnahmen der Klägerin gegeben habe. Das sei nicht ausreichend gewürdigt worden, so dass Zurückverweisung ans OLG erfolgte. Ob der Vortrag für die Klägerin selbst, die von der E-Mail keine Kenntnis gehabt haben will, präkludiert sei, sei noch einmal zu prüfen, ebenso die Frage einer weiteren Hemmung durch Verhandlungen. Erneut wies das Berufungsgericht wegen Verjährung ab, da die Zuständigkeit der benannten Sachbearbeiterin letztlich nicht bewiesen werden konnte. Außerdem vermöge der außergerichtliche Vorgang die unzureichende Bestimmtheit des Mahnbescheids ohnehin nicht zu heilen. Diesmal wurde die Revision zugelassen. Der BGH hob das Urteil nun erneut auf. Für die Individualisierung des Mahnbescheids komme es ausschließlich auf den Erkenntnishorizont des Schuldners an, so dass die notwendigen Angaben dazu auch außerhalb des Verfahrens direkt der Partei gegenüber gemacht werden können. Sie könne auch nachgeholt werden, entfalte dann aber keine Rückwirkung. Die notwendige Nachholung erfolgte nach Ansicht des VII. Zivilsenats jedenfalls durch Angaben, die die Klägerin mittels E-Mail an die Beklagte am 17.1.2017 gemacht hatte. Zwar habe die Hemmung nur ex nunc gewirkt, was aber – wie der BGH dem Senat vorrechnet – wegen noch andauernder Verhandlungen zu diesem Zeitpunkt noch ausreichte. Man darf annehmen, dass das OLG nun endlich in der Sache entscheiden wird. Der Fall zeigt aber, wie wichtig es ist, ganz exakt zu rechnen und vorzutragen, wenn es mit der Verjährung eng wird. Am besten lässt man es natürlich erst gar nicht so weit kommen. (bc) BRAK-MITTEILUNGEN 6/2022 AUFSÄTZE 314

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