te konkret festzustellen haben. Liegen schriftliche Vereinbarungen vor, so ist neben deren Vereinbarkeit mit zwingendem Recht auch zu prüfen, ob mündliche oder konkludente Änderungen erfolgt sind. Schließlich ist auch die Ernsthaftigkeit der dokumentierten Vereinbarungen zu prüfen. Erst auf der Grundlage der so getroffenen Feststellungen über den (wahren) Inhalt der Vereinbarungen ist eine wertende Zuordnung des Rechtsverhältnisses zum Typus der Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit vorzunehmen (st. Rspr.; vgl. zum Ganzen BSG 4.6.2019, B 12 R 11/18 R, BSGE 128, 191 = SozR 4-2400 § 7 Nr. 42, Rn. 14 f m.w.N.). Diese wertende Zuordnung kann nicht mit bindender Wirkung für die Sozialversicherung durch die Vertragsparteien vorgegeben werden, indem sie z.B. vereinbaren, eine selbstständige Tätigkeit zu wollen. Denn der besondere Schutzzweck der Sozialversicherung schließt es aus, dass über die rechtliche Einordnung einer Person – als selbstständig oder beschäftigt – allein die Vertragsschließenden entscheiden. Über zwingende Normen kann nicht im Wege der Privatautonomie verfügt werden. Vielmehr kommt es entscheidend auf die tatsächliche Ausgestaltung und Durchführung der Vertragsverhältnisse an (BSG v. 19.10.2021, B 12 R 10/20 R, Rn. 21-22). [51] Diese gesetzlichen Regelungen und die vom BSG in ständiger Rechtsprechung festgehaltenen Grundsätze, von denen auch der Senat in ständiger Rechtsprechung ausgeht, gelten auch für die hier vorzunehmende Beurteilung, ob die Tätigkeit einer Rechtsanwältin in der Kanzlei eines anderen Rechtsanwalts als abhängige Beschäftigung oder als selbstständige Tätigkeit (im Rahmen einer sog. freien Mitarbeiter) zu werten ist. [52] Da schriftliche Vereinbarungen nicht bestehen, ist mündliche Vereinbarung von dem auszugehen, was zwischen dem Kl. und der Beigeladenen mündlich vereinbart wurde, soweit dies rückwirkend nach fast zwölf Jahren überhaupt noch mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden kann. Nach dem insoweit übereinstimmenden Vortrag des Kl. und der Beigeladenen sollte die Beigeladene nicht als angestellte Anwältin tätig werden, sondern als freie Mitarbeiterin. Diesem erkennbaren Willen der Beteiligten kommt jedoch – wie bereits dargelegt – keine oder allenfalls eine sehr untergeordnete Bedeutung zu, da die Versicherungspflicht in den Systemen der sozialen Sicherheit weder vertraglich vereinbart noch ausgeschlossen werden kann. Übereinstimmend haben der Kl. und die Beigeladene ferner angegeben, dass damals für die Beigeladene keine festen Arbeitszeiten vereinbart wurden. Im Erörterungstermin vor dem SG am 19.5.2020 hat die Beigeladene auf den Hinweis des Kl., die Beigeladene habe selbstständig darüber entscheiden können, wann sie komme und wann sie gehe, erwidert, dass zwar im Aufnahmegespräch über keine konkrete Arbeitszeit gesprochen worden sei. Jedoch habe die Kanzlei des Kl. über feste Bürozeiten verfügt, in denen eine Erreichbarkeit habe gewährleistet werden sollen. Man habe ihr gesagt, dass sie, sollte sie nicht im Büro anwesend sein, sich entsprechend in einen Kalender einzutragen habe. Ausgehend von diesen Angaben der Beigeladenen lässt sich eine vertragliche Vereinbarung über bestimmte tägliche oder wöchentliche Arbeitszeiten nicht feststellen. Die vom Kl. ausgesprochene Bitte, Abwesenheitszeiten in einem Kalender festzuhalten, ist noch keine verbindliche Regelung über eine konkrete Arbeitszeit. Für die vertragliche Vereinbarung einer festen (z.B. wöchentlichen) Arbeitszeit gab es im Übrigen auch gar keinen Grund, da die Vergütung der Beigeladenen hiervon nicht abhing. Mündlich vereinbart wurde ferner, dass die Vergütung ausschließlich über eine Beteiligung am Umsatz der von der Beigeladenen bearbeiteten Mandate erfolgt; die Beigeladene sollte (mindestens) 40 % ihres monatlichen Nettoumsatzes erhalten. Dies wurde während des gesamten hier streitbefangenen Zeitraums auch so praktiziert. Die Beigeladene erhielt vereinbarungsgemäß also weder einen festen Stundenlohn noch ein festes Monatsgehalt. [53] Damit bleibt als Zwischenergebnis festzuhalten, dass keine einzige der zwischen dem Kl. und der Beigeladenen zu Beginn der Tätigkeit der Beigeladenen mündlich vereinbarten Regelung für eine abhängige Beschäftigung spricht. Die Auffassung des SG, wonach der Umstand, dass die Beigeladene Urlaub nehmen konnte, wann sie wollte, mithin nicht – wie ein Angestellter – Urlaub zunächst beantragen musste, als „Vorenthalten“ gesetzlicher Arbeitnehmerrechte zu werten sei, vermag der Senat nicht nachzuvollziehen. Es handelt sich dabei vielmehr um ein Privileg, das im Allgemeinen nur dem Kanzleiinhaber bzw. den Partnern einer Anwaltssozietät zusteht, ganz sicher aber nicht einer angestellten Anwältin. Dass die Beigeladene auf Bitten des Kl. auf Urlaub verzichtet hat, hat sie selbst nicht behauptet. [54] Sprechen – wie im vorliegenden Fall – die (noch zuIndizien für Abhängigkeit verlässig feststellbaren) vertraglichen Vereinbarungen nicht für eine abhängige Beschäftigung, kann sich eine solche dennoch aus den tatsächlichen Umständen ergeben. Die Subsumtion des konkret feststellbaren Sachverhalts unter den (unbestimmten) Rechtsbegriff der Beschäftigung i.S.d. § 7 SGB IV beschränkt sich nicht auf die Bewertung der vertraglichen Vereinbarungen, sondern muss sämtliche Umstände, unter denen eine Tätigkeit verrichtet wird, berücksichtigen. Den sich aus den tatsächlichen Verhältnissen ergebenden Schlussfolgerungen kommt im Zweifel Vorrang vor einer Bewertung (nur) der vertraglichen Vereinbarungen zu. Auch die tatsächlichen Umstände, unter denen die Beigeladene ihre Tätigkeit als Rechtsanwältin in der Kanzlei des Kl. ausübte, erlauben jedoch nur den Schluss auf das Vorliegen einer nicht versicherungspflichtigen, selbstständigen Tätigkeit. [55] Bei der Bearbeitung der von der Beigeladenen übernommenen Mandate bestand kein Weisungsrecht BERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG BRAK-MITTEILUNGEN 6/2022 349
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