BRAK-Mitteilungen 1/2023

schatz und insgesamt fehlenden Lernwillen häufen sich. Dies zieht sich jedoch durch alle Branchen. Wie geht man mit mangelnden Umgangsformen oder Unzuverlässigkeit um? Die Generation ist anders, was aber nicht zu ändern ist und so akzeptiert werden muss. Sie brauchen mehr Betreuung statt Führung. Die Frage ist eher: Sollen diese Jugendlichen an der Stelle zurückgelassen werden? Oder sollen und wollen wir dies ändern und uns das (vielleicht versteckte) Potenzial zunutze machen? Gerade in den heutigen gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen müssen wir uns auch einer sozialen Verantwortung bewusst sein. Sie fragen sich, ob wir Elternersatz werden müssen? Vielleicht ist es tatsächlich vergleichbar. Berufliche Bildung ist mehr als nur Fach- und Methodenkompetenz. Sie umfasst auch Persönlichkeitsbildung, soziale Kompetenzen wie Teamfähigkeit oder konstruktiver Umgang mit Kritik sowie Selbstkompetenzen wie Selbstkontrolle oder Motivation und Organisation. So sehr dies manch einen ärgert und Zeit kostet, so sind wir alle amErziehungsprozess unserer Gesellschaft beteiligt. Nicht umsonst ist im Berufsbildungsgesetz in § 14 I Nr. 5 BBiG verankert, dass Ausbildende dafür zu sorgen haben, Auszubildende auch charakterlich zu fördern. Junge Menschen brauchen Mentorinnen und Mentoren als Begleitung ins Erwachsenenleben, vielleicht sogar neue Vorbilder. Was wäre gerade in der heutigen Gesellschaft naheliegender als ihnen Mentorinnen und Mentoren aus dem Bereich der Rechtspflege zur Seite zu stellen? Unter dem Stichwort „reverse mentoring“ könnte die junge Generation in den Digitalisierungsprozess eingebunden werden. Die Generation bringt doch auch Vorteile in unser Berufsleben. Es wird die Kunst sein, Kompetenzen jüngerer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im digitalen Bereich nutzbar zu machen und dem gesamten Kanzleiteam zugänglich zu machen. Auf der anderen Seite verlieren wir Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht nur an andere Branchen, es werden in naher Zukunft auch viele in den Ruhestand gehen und im besten Fall ihr gesammeltes Fachwissen vorab an jüngere Kanzleimitglieder weitergeben. 3. RECRUITING a) AUSZUBILDENDE Während der Pandemie sind Softskills vernachlässigt worden sein. Onlineunterricht und die fehlenden Sozialkontakte waren wenig förderlich für die Entwicklung der Sozialkompetenzen junger Menschen, aber wir haben jetzt die Chance, junge Menschen an uns zu binden und eine individuell begleitete Ausbildung anzubieten. Wir haben die Chance, vor anderen Berufen auf die Situation zu reagieren. Die Stärke der Freiberuflichkeit ist ein schnelles Reagieren auf Situationen, flexibel zu sein und Verantwortung zu übernehmen. Lassen Sie uns diese Stärke nutzen! b) RÜCKKEHRER Es ist nur ein erster Schritt, junge Menschen für den Beruf zu gewinnen. Ein zweiter Schritt wird sein, die bereits vorhandenen Fachkräfte in Kanzleien zu halten und ein dritter, die bereits Abgewanderten wieder zurück in den Beruf zu holen. Diejenigen, die derzeit in Elternzeit sind, die flexible Arbeitszeiten suchen oder nur in Teilzeit zurückkehren wollen, müssen wir mit offenen Armen empfangen, ebenso wie diejenigen, die einen „Erfahrungsaustausch“ mit der freien Wirtschaft gesucht hatten. Wir müssen auch die ReFas und ReNos zurückholen, die es sich finanziell schlicht nicht leisten konnten, in einer Anwaltskanzlei zu arbeiten. Für diesen Moment müssen wir Wiedereingliederungskonzepte parat haben, um zwischenzeitlich verlorenes Fachwissen aufzufrischen. Wir müssen es denHeimkehrernerleichtern, zurückzukommen, und ihnen die neueste Rechtsprechung, die neuesten Entwicklungen im Kosten- oder Zwangsvollstreckungsrecht vermitteln. Im Bereich der Digitalisierung bringen Rückkehrer aus Unternehmen sicherlich Kenntnisse ein, die den Kanzleialltag bereichern. Erst wenn Angestellte und Azubis voller Überzeugung sagen, dass sie nicht nur den schönsten Beruf der Welt gelernt haben, sondern auch gerne in einer Rechtsanwaltskanzlei bleiben, können wir nach außen überzeugend auftreten. V. FAZIT Fachkräftemangel kann sich ein funktionierender Rechtsstaat nicht leisten. In Deutschland allgemein, in Justiz und Verwaltung sowie speziell in Anwaltskanzleien. Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte als unabhängiges Organ der Rechtspflege können (sich) das nicht mehr leisten. Wir alle brauchen qualifizierte Fachkräfte in den Kanzleien und müssen gemeinsam daran arbeiten, Menschen für den Beruf ReFa/ReNo zu begeistern und sie in den Kanzleien zu halten! VETTER, DIE STAR-UNTERSUCHUNG 2022 BRINGT ES ANS LICHT AUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 1/2023 15

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