bestehe und anteilig Deckung abgelehnt werde. Der so bezeichnete „Stichentscheid“ hatte sich weder mit dem Mutwilligkeitsargument hinsichtlich der Sachverständigenkosten noch mit dem der notwendigen Anrechnung von Nutzungsentschädigung auseinandergesetzt – und entfaltete damit keine Bindungswirkung.33 33 A.A. Lensing, Münchener Anwaltshdb, § 27 Rn. 501, weil insoweit zwar eine gefestigte obergerichtliche, aber noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung vorgelegen habe. e) UNZULÄSSIGES NACHSCHIEBEN VON ABLEHNUNGSGRÜNDEN Es entspricht der ganz überwiegenden Rechtsansicht, dass ein Versicherer nach durchgeführtem Stichentscheid andere Gründe, die seine Deckungsablehnung wegen Mutwilligkeit oder mangelnder Erfolgsaussichten womöglich ebenfalls tragen, nicht mehr nachschieben kann. Denn ansonsten wäre das Ziel des Stichentscheidsverfahrens, eine schnelle und eindeutige Klärung der Deckungsfrage zu erreichen, konterkariert.34 34 Vgl. OLG Frankfurt, Urt. v. 20.3.2019 – 7 U 8/18, juris Rn. 65 ff.; OLG Naumburg, Urt. v. 7.7.2016 – 41 U 7/16, VersR 2017, 882 (884); OLG Hamm, Urt. v. 14.10. 2011 – I-20-U 92/10, Rixecker, in Langheid/Rixecker, VVG, § 128 Rn. 8; Richter, in MüKo-VVG, 2. Aufl. 2017, § 128 Rn. 22. A.A. allerdings Obarowski, in Beckmann/ Matusche-Beckmann, Hdb. Versicherungsrecht, 3. Aufl. 2015, § 37 Rn. 536. Das LG Nürnberg-Fürth35 35 Vgl. LG Nürnberg-Fürth, Urt. v. 22.12.2022 – 2 O 7982/21, beck-online Rn. 39 ff. schließt sich dem an, ergänzt den Rechtssatz überzeugend aber dahin, dass dies etwa in einem nachfolgenden Deckungsprozess dann nicht gelte, wenn der Versicherungsnehmer von der Möglichkeit des Stichentscheidsverfahrens gar keinen Gebrauch macht, weil er sich dann bewusst des „Schutzschirms“ des Stichentscheidsverfahrens begebe und deutlich mache, dass für ihn rasche Klärung nicht oberste Priorität habe. f) FREISTELLUNG VON DEN KOSTEN DES STICHENTSCHEIDS In einem Urteil des LG Berlin36 36 Vgl. LG Berlin, Urt. v. 10.2.2022 – 4 O 155/21, beck-online Rn. 31. hatte die Deckungsklage nur insoweit Erfolg, als der Versicherungsnehmer Freistellung von den Kosten für ein „als Stichentscheid bezeichnetes“ vorgerichtliches Schreiben seines Anwalts begehrte. Irritierenderweise befasste sich das Gericht im Rahmen seiner Begründung der mangelnden Erfolgsaussicht mit keinem Wort mit der Frage, ob das Schreiben materiell den Voraussetzungen eines Stichentscheids entsprach und mangels offenbarem Abweichen von der wahren Sach- und Rechtslage womöglich für den Versicherer bindend gewesen ist. Es lässt diese Frage, ob materiell ein Stichentscheid vorlag, offen und spricht dem Versicherungsnehmer einen Kostenerstattungsanspruch auch für den Fall zu, dass das Schreiben sorgfaltswidrig, weil den Anforderungen an einen Stichentscheid nicht genügend erstellt worden sei. Gegebenenfalls stehe dem Versicherungsnehmer ein Schadenersatzanspruch aus § 280 BGB zu, den dieser gegebenenfalls an den Versicherer abzutreten habe – was schon mit Blick auf § 86 I VVG nicht überzeugen kann. Ähnlich judiziert das LG Landshut,37 37 Vgl. LG Landshut, Urt. v. 5.1.2022 – 75 O 2191/21, beck-online Rn. 24. das einen Kostenfreistellungsanspruch hinsichtlich eines Stichentscheids bejahte, obwohl dieser, wie dort vom Gericht positiv festgestellt, seinen Zweck, Bindungswirkung für den Versicherer zu erzeugen, wegen erheblicher, offenbar von der tatsächlicher Sach- und Rechtslage abweichender Entscheidung nicht erfüllt hatte. Hätte für den Anwalt in den beiden vorzitierten Fällen bei sorgfältiger Arbeit die Möglichkeit bestanden, einen Stichentscheid gleichen Ergebnisses mit Bindungswirkung zu fällen, hätte der Versicherer der Leitentscheidung des BGH38 38 Vgl. BGH, Urt. v. 21.10.2015 – IV ZR 266/14 Rn. 30 ff. folgend den Deckungsanspruch auch durch Gewährung von Abwehrdeckung erfüllen können, also durch eine Weisung an seinen Versicherungsnehmer mit auf der anwaltlichen Fehlleistung fußenden Schadenersatzansprüchen in gleicher Höhe aufzurechnen und Gewährung von Kostendeckung für einen etwaigen Gebührenprozess.39 39 Vgl. für den hier in Rede stehenden Anspruch auf Freistellung von den Kosten eines „Stichentscheids“ Völker, BRAK-Mitt. 2018, 11 (16 f.) und dort zitierte Rspr. des LG Düsseldorf. Demgegenüber lehnte das LG Heidelberg40 40 Vgl. LG Heidelberg, Urt. 20.9.2022 – 2 O 200/21, beck-online Rn. 46 f. einen Freistellungsanspruch hinsichtlich der Kosten eines nicht von einem Anwalt unterschriebenen und auch einen anwaltlichen Sachbearbeiter ebenso wenig wie den in Anspruch genommenen Rechtsschutzversicherer erkennen lassenden so bezeichneten „Stichentscheid“ ab. Denn es sei nicht auszuschließen, dass das ersichtlich automatisiert erstellte Papier ohne inhaltliche Prüfung durch einen Anwalt von Kanzleipersonal in den Verkehr gegeben worden sei. g) UNVOLLSTÄNDIGER HINWEIS DES VERSICHERERS Nachlässigkeit in Massenfällen ist allerdings auch auf Seiten der Rechtsschutzversicherer festzustellen. Das LG Mühlhausen41 41 Vgl. LG Mühlhausen, Urt. v. 8.12.2022 – 6 O 234/22, beck-online Rn. 12 ff. hat völlig zutreffend erkannt, dass der dürre, in einem Diesel-Fall auf mangelnde Erfolgsaussichten gestützte Hinweis, es bestehe „die Möglichkeit einer begründeten Stellungnahme“ nach einer sodann genannten Ziffer der vereinbarten ARB, nicht die Anforderungen an eine Belehrung nach § 128 VVG erfülle und das Rechtsschutzbedürfnis damit als anerkannt gelte. Das LG Düsseldorf und das LG Itzehoe42 42 Vgl. LG Düsseldorf, Beschl. v. 25.8.2022 – 9 O 33/22, beck-online Rn. 15; LG Itzehoe, Beschl. v. 14.10.2022 – 3 O 14/22, beck-online Rn. 11. Ebenso Langheid/Rixecker/Rixecker, VVG, 7. Aufl. 2022, § 128 Rn. 8; Prölss/Martin/Piontek, VVG, § 3a ARB 2010 Rn. 21; a.A. Harbauer/Schmitt, § 3a ARB 2010 Rn. 40, der an einen unterlassenen Hinweis nur eine Schadenersatzpflicht des Versicherers knüpft. hatten Rechtsschutzversicherern in Diesel-Fällen die Berufung auf mangelnde Erfolgsaussichten zu Recht allein deshalb verwehrt, weil diese zwar in ihren Kostendeckung ablehBRAK-MITTEILUNGEN 1/2023 AUFSÄTZE 22
RkJQdWJsaXNoZXIy ODUyNDI0