BRAK-Mitteilungen 1/2023

2. Setzt sich ein Inhaber eines besonderen elektronischen Anwaltspostfachs über die Verpflichtung zur ausschließlich eigenen – höchstpersönlichen – Nutzung durch Überlassung des nur für seinen Zugang erzeugten Zertifikats und der dazugehörigen Zertifikats-PIN an Dritte oder auf andere Weise bewusst hinweg, muss er sich in diesem Regelungszusammenhang das von einem Dritten abgegebene elektronische Empfangsbekenntnis auch dann wie ein eigenes zurechnen lassen, wenn die Abgabe ohne seine Kenntnis erfolgt ist. (eigene Ls.) BSG, Urt. v. 14.7.2022 – B 3 KR 2/21 R 1. Überlässt ein Rechtsanwalt (rechtswidrig) seine persönliche Signaturkarte unter Offenlegung der persönlichen PIN seiner Mitarbeiterin, so ist zur Feststellung des Empfangswillens des Rechtsanwalts gem. § 166 BGB analog auf die Mitarbeiterin als Wissensvertreterin des Rechtsanwalts abzustellen. (...) OLG Bremen, Beschl. v. 20.9.2022 – 3 U 21/22 Im Gesetzgebungsverfahren für das beA hatte man sich bewusst dafür entschieden, auch weiterhin ein explizites Empfangsbekenntnis als maßgeblich für den Lauf von gesetzlichen Fristen anzusehen. Erst die tatsächliche Kenntnisnahme durch die Prozessbevollmächtigte soll die Fristen in Gang setzen, nicht schon der Eingang in der Kanzlei. Die Kenntnisnahme bestätigte die Rechtsanwältin früher mit ihrer Unterschrift, heute durch die Rücksendung des elektronischen Empfangsbekenntnisses (eEB). Offensichtlich wird die Hoheit über die beA-Karte aber nicht von allen Karteninhaberinnen und -inhabern ernst genommen, sondern es wird Dritten (Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern) erlaubt, die Karte zu benutzen. Das stellt allerdings einen eklatanten Verstoß gegen § 26 RAVPV dar: Die Inhaberinnen und Inhaber eines für sie erzeugten Zertifikats dürfen dieses keiner weiteren Person überlassen und haben die dem Zertifikat zugehörige Zertifikats-PIN geheim zu halten. Prozessual führt die Weitergabe der Karte wohl zur Unwirksamkeit des so eingereichten Schriftsatzes.8 8 So jedenfalls ArbG Lübeck, Verfügung v. 19.6.2019 – 6 Ca 679/19. In Bezug auf das eEB kann zwar grundsätzlich der Vollbeweis des Vorliegens des Empfangswillens der Prozessbevollmächtigten entkräftet werden. Das OLG Bremen lässt diesen Gegenbeweis hier aber nicht zu, sondern stellt gem. § 166 BGB analog zur Feststellung des Empfangswillens auf die Mitarbeiterin als Wissensvertreterin des Beklagtenvertreters ab. Auch das BSG will den Gegenbeweis nur zulassen, wenn nach den Umständen kein Zweifel daran bestehen kann, dass der Postfachinhaber keine Verantwortung für die unberechtigte Nutzung seines Postfachs zu tragen hat. Das sei bei einer bewussten oder geduldeten Kartenüberlassung nicht der Fall. (ju) beA-PFLICHT AUCH FÜR RECHTSANWALTSGESELLSCHAFTEN UND FÜR RECHTSANWÄLTE IN JEDER LEBENSLAGE 1. Eine Klage, die eine Rechtsanwaltsgesellschaft im Jahr 2022 lediglich per Telefax und nicht als elektronisches Dokument i.S.d. § 52d S. 1 FGO an das Gericht übermittelt, ist unzulässig. Der Verstoß gegen § 52d FGO führt zur Unwirksamkeit der Klage. Die Prozesserklärung ist nicht wirksam. 2. Die für Rechtsanwälte bestehende Pflicht zur Übermittlung elektronischer Dokumente nach § 52d S. 1 FGO gilt seit dem 1.1.2022 auch für Rechtsanwaltsgesellschaften gem. § 59c BRAO. 3. (...) 4. § 52d S. 1 FGO knüpft allein an den Status (Zulassung) als Rechtsanwalt an. Falls der Bevollmächtigte zugleich Steuerberater ist, ändert dies nichts an der Pflicht des Rechtsanwalts zur elektronischen Übermittlung nach § 52d FGO. (...) 5. Die Rechtsbehelfsbelehrung der Einspruchsentscheidung muss keine Angaben zur Übermittlung der Klage als elektronisches Dokument enthalten. FG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 6.7.2022 – 9 K 9009/22 (Revision beim BFH anhängig unter dem Az. VII R 34/22) Das Urteil des FG Berlin-Brandenburg, gegen das allerdings Revision eingelegt wurde, fasst etliche wichtige Aspekte zusammen. Zum einen stellt es klar, dass auch nach § 52d FGO die Antragstellung durch Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte in elektronischer Form verpflichtend ist. Ein Antrag per Fax ist daher unzulässig, die Prozesserklärung unwirksam.9 9 So ausdrücklich BFH, Beschl. v. 23.8.2022 – VIII S 3/22. Da die prozessbevollmächtigte Rechtsanwaltsgesellschaft grundsätzlich die gleiche Rechts- und Pflichtenstellung wie ein einzelner Rechtsanwalt habe und daher auch bereits vor Einführung des beA für Berufsausübungsgesellschaften zum 1.8.2022 eine Pflicht zur elektronischen Übermittlung von Schriftsätzen hatte, musste sie sich dazu der vertretungsberechtigten Personen bedienen, die ein eigenes beA hatten. Sofern die Person, die für die Gesellschaft im Prozess tätig wird, zur Rechtsanwaltschaft zugelassen ist, muss sie nach ganz herrschender Auffassung das (ggf. persönliche) beA nutzen. Das gilt auch dann, wenn grundsätzlich kein Anwaltszwang besteht,10 10 OLG Frankfurt, Beschl. v. 27.7.2022 – 26 W 4/22, zu Zwangsvollstreckung. wenn – wie im Finanzgerichtsprozess – auch andere Berufsträger auftreten dürfen und die vertretende Person – wie hier – eine Mehrfachqualifikation auch als (nicht beA-pflichtiger) Steuerberater hat11 11 Das FG Berlin-Brandenburg folgt hier seinem Beschl. v. 8.3.2022 – 8 V 8020/22. Das Gericht lässt ausdrücklich offen, ob etwas anderes zu gelten hätte, wenn ein sowohl als Rechtsanwalt als auch als Steuerberater zugelassener Vertreter explizit und ausschließlich als Steuerberater auftritt. oder für eine (nicht beA-pflichtige) BRAK-MITTEILUNGEN 1/2023 AUFSÄTZE 30

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