BRAK-Mitteilungen 1/2023

sicherster und gefahrlosester Weg einem nicht rechtsschutzversicherten Mandanten als auch gegenüber einem Mandanten mit Rechtsschutzversicherung (vgl. BGH, Urt. v. 16.9.2021, a.a.O. Rn. 33 f. m.w.N.). [24] c) Fällt dem Rechtsanwalt eine schuldhafte Verletzung der ihm obliegenden Beratungspflicht zur Last, kommt es darauf an, wie sich der Mandant im Falle pflichtgemäßer Unterweisung verhalten hätte. Insoweit kann von Bedeutung sein, ob der Mandant eine Rechtsschutzversicherung unterhält (vgl. BGH, Urt. v. 16.9. 2021 a.a.O. Rn. 35 ff. m.w.N.). [25] Die Beantwortung der Frage, ob im Falle sachgerechter Aufklärung aus der (verobjektivierten) Sicht eines vernünftig urteilenden Mandanten eindeutig eine bestimmte tatsächliche Reaktion nahegelegen hätte, obliegt dem Tatrichter. Dieser muss in seine Überlegungen auch einbeziehen, ob das Risiko des Mandanten, im Falle einer Niederlage die Kosten des Rechtsstreits tragen zu müssen, durch einen bestehenden Deckungsanspruch aus einer Rechtsschutzversicherung oder eine bereits vorliegende Deckungszusage herabgemindert war (vgl. BGH, Urt. v. 16.9.2021 – IX ZR 165/19, NJW 2021, 3324 Rn. 38 m.w.N.). [26] Die Wirkungen des versicherungsvertraglichen Kostenschutzes auf die Frage des Eingreifens des Anscheinsbeweises finden jedoch ihre Grenze, wenn die (weitere) Rechtsverfolgung des Mandanten objektiv aussichtslos war (vgl. BGH, Urt. v. 16.9.2021, a.a.O. Rn. 39 m.w.N.). Auch über die Aussichtslosigkeit der Rechtsverfolgung hat der Tatrichter zu befinden (vgl. BGH, Urt. v. 16.9.2021, a.a.O. Rn. 40). [27] 4. Das Berufungsgericht hat keine Feststellungen dazu getroffen, wann der Kl. Kenntnis von den die geltend gemachte Schadensersatzforderung begründenden Umständen und der Person des Bekl. als Anspruchsschuldner erlangt hat. Mit Blick auf die durch den Bekl. erhobene Verjährungseinrede wird das Berufungsgericht bei Bejahung eines Schadensersatzanspruchs diese Feststellungen nachzuholen haben. ANMERKUNG: Bei der Entscheidung des für Anwaltshaftungssachen zuständigen IX. Zivilsenats v. 29.9.2022 handelt es sich nach der – auch im jetzigen Urteil erwähnten – Entscheidung v. 16.9.20211 1 BGH, Urt. v. 16.9.2021 – IX ZR 165/19. um die zweite wichtige höchstrichterliche Entscheidung im Zusammenhang mit Regressansprüchen des Rechtsschutzversicherers gegen den vom Versicherungsnehmer beauftragten Rechtsanwalt. Ging es in der Entscheidung aus 2021 darum, dass die Deckungszusage Regressansprüche gegen den Rechtsanwalt bei „objektiv fehlenden Erfolgsaussichten“ der Interessenwahrnehmung nicht hindere, war vorliegend die Frage, ob bei einem bedingten Mandat überhaupt ein Schaden als Voraussetzung eines übergangsfähigen Schadensersatzanspruchs nach § 86 VVG eingetreten sein kann, Gegenstand der Entscheidung. Nur um diese Konstellation ging es, nicht also um Fälle, in denen der Versicherungsnehmer den Anwalt unabhängig von einer Deckungszusage beauftragt und vielleicht sogar bereits Gebühren überweist. Der Mandant möchte ja dadurch, dass er den Rechtsanwalt nur unter der Voraussetzung einer Deckungszusage beauftragt, ganz bewusst einen Vermögensschaden ausschließen, weil er zwar mit Eintritt der Bedingung Gebührenschuldner des Rechtsanwalts wird, dem aber innerhalb der gleichen juristischen Sekunde der Befreiungsanspruch gegen den Rechtsschutzversicherer gegenübersteht, sodass die Bilanz von Anfang an ausgeglichen ist. Das vorbefasste OLG Dresden verneinte deshalb einen übergangsfähigen Schadensersatzanspruch.2 2 Ebenso schon früher OLG München 15 U 2415/20 unter Bezugnahme auf Cornelius-Winkler, r + s 2020, 431 (a.A. Dallwig, r + s 2020, 181). Auch der IX. Zivilsenat meinte zunächst unter Bezugnahme auf ein Urteil des VI. Zivilsenats,3 3 BGH, Urt. v. 28.10.2014 – IV ZR 15/14. dass der Schaden nach der sog. Differenzhypothese, also einem Vergleich der Vermögensposition des Geschädigten vor und nach dem schädigenden Ereignis, zu bestimmen sei und verneinte insoweit wohl ebenfalls einen Schaden. Im Weiteren sei das Ergebnis der Differenzrechnung aber – das dürfte das entscheidende Stichwort der Entscheidung sein – einer „normativen Kontrolle“ gemessen am Schutzzweck der Haftung und der Ausgleichsfunktion des Schadensersatzes zu unterziehen. Diese Ausführungen sind wortgleich dem erwähnten Urteil des VI. Zivilsenats entnommen, wobei es dort darum ging, dass ohne Vorliegen der Voraussetzungen aus öffentlichen Mitteln ein zinsgünstiges Wohnungsbauförderungsdarlehen gewährt worden war und der dortige Senat bereits in der ungewollten Eingehung der Darlehensverpflichtung bzw. der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung durch den Darlehensnehmer einen „normativen“ Schaden sah.4 4 BGH IV ZR 15/14 Rn. 17 ff. Auch meines Erachtens wäre eine Übertragung dieser Grundsätze auf die vorliegende Konstellation dann gerechtfertigt, wenn der beklagte Rechtsanwalt vorsätzlich, also im Wissen der unter keinem Gesichtspunkt gegebenen Erfolgsaussichten, gehandelt hätte; damit hätte er dann aber wegen vorsätzlicher Herbeiführung des Versicherungsfalls oder wenigstens einer „wissentlichen Pflichtverletzung“ wohl zugleich den Versicherungsschutz in der Haftpflichtversicherung verloren. So bleiben Zweifel, ob eine fahrlässig fehlerhafte Einschätzung der Erfolgsaussichten ohne finanziellen Schaden des Versicherungsnehmers und bei der explizit eingeräumten Möglichkeit des Versicherers, wegen fehlender Erfolgsaussichten Versicherungsschutz abzulehnen,5 5 Nach § 3a ARB 2010 GDV und vergleichbaren Bestimmungen. es unter normativen Gesichtspunkten rechtfertigt, einen Schaden zu bejahen, auch wenn die Frage natürlich mit dem jetzigen Urteil entschieden ist. SONSTIGES BRAK-MITTEILUNGEN 1/2023 BERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG 64

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