BRAK MIT TEILUNGEN APRIL 2023 · AUSGABE 2/2023 54. JAHRGANG AKZENTE AM BALL Dr. Ulrich Wessels Kaum ein Bereich ist derzeit so stark in Bewegung wie die Justiz. Dabei geht es bei weitem nicht nur um das Mammutprojekt elektronische Akte, das die Gerichte in Bund und Ländern in den nächsten Jahren schultern müssen – etwas, das in vielen Kanzleien längst normal ist. Aber ehrlicherweise ist es dort natürlich viel einfacher umsetzbar. Das Bundesjustizministerium arbeitet an einer ganzen Reihe von Projekten, die gerichtliche Verfahren moderner und digitaler machen sollen. Jedes einzelne von ihnen hat ganz erhebliche Auswirkungen auch auf die Anwaltschaft und darauf, welche Möglichkeiten Rechtsuchende künftig haben, ihren Anliegen vor Gericht Gehör zu verschaffen. Dass die Sicht der Anwaltschaft hier präsent sein muss, versteht sich von selbst. Am prominentesten ist aktuell die Diskussion, ob strafgerichtliche Hauptverhandlungen künftig audiovisuell dokumentiert werden sollen. Glaubt man den Medienberichten zum Richter- und Staatsanwalts-Tag, wäre das aus Daten- und Persönlichkeitsschutzgründen problematisch und deshalb abzulehnen. Doch auch in der Richterschaft gibt es Befürworter. Die BRAK fordert schon seit Längerem eine audiovisuelle Dokumentation von Hauptverhandlungen – darin sind wir uns mit dem Bundesjustizminister einig. Hier geht es um echte Qualitätsverbesserung für Beschuldigte, Verteidigung und Richterschaft. Was die weiteren Reformprojekte angeht, ist die BRAK in engem Austausch. Auf ihrer Ende April anstehenden Hauptversammlung wird das Ministerium den Kammerpräsidentinnen und -präsidenten seine jüngsten Überlegungen zum Online-Verfahren für geringfügige Streitigkeiten und zur Online-Rechtsantragsstelle darlegen. Und die Länder Niedersachsen und Bayern berichten aus dem von ihnen und der Universität Regensburg durchgeführten Forschungsprojekt zur Erhöhung der Effizienz von Zivilverfahren. Auf den Blick ins Reallabor sind wir sehr gespannt! Denn sicher wäre ein Werkzeug reizvoll, mit dem Massenverfahren oder andere komplexe Verfahren effizienter und schneller zu bearbeiten sind. Klar ist aber, wozu strukturierter Vortrag nicht führen darf – nämlich dazu, dass Anwältinnen und Anwälten (und damit auch den Rechtsuchenden) die Handlungsmöglichkeiten im Prozess beschnitten werden. Dass Maßnahmen zur Entlastung und Verfahrensbeschleunigung bei Massenverfahren ebenfalls auf der Agenda des Ministeriums stehen, ist nur folgerichtig. Mit dem Entwurf hierzu und zur Umsetzung der EU-Verbandsklagerichtlinie, mit dem das neue Instrument der Abhilfeklage eingeführt werden soll, hat die BRAK sich auf Bitte des Ministeriums intensiv auseinandergesetzt. Die Regulierung sollte im Blick behalten, dass eine Lösung nicht auf der Seite derer liegen kann, die von Massenschäden teilweise existenziell betroffen sind. Ihre verfahrensmäßigen Rechte dürfen nicht um der Effizienzsteigerung willen eingeschränkt werden; nötig ist ein schlüssiges Gesamtkonzept! Doch wie geht eine Entlastung bei Massenverfahren zusammen mit rückläufigen Eingangszahlen in der Zivilgerichtsbarkeit? Darüber wird noch zu diskutieren sein. Der vom Bundesjustizministerium beauftragte Forschungsbericht wurde für Ende April angekündigt. Die anwaltliche Sicht ist dabei präsent, weil die BRAK in den Beirat des Forschungsprojekts eingebunden ist, aber auch, weil Anwältinnen und Anwälte für die Untersuchung befragt wurden. Eng mit diesen beiden Punkten verbunden sind die Überlegungen aus Justizministerkonferenz und Ministerium, die Zuständigkeitsstreitwerte der Amtsgerichte zu erhöhen. Eine Erhöhung hätte massive Auswirkungen für Rechtsuchende und Anwaltschaft. Ihre Bedenken hat die BRAK in einem Positionspapier formuliert. Vor allem darf dies nicht zu einem weiteren Rückzug der Justiz aus der Fläche führen! Nicht minder bedeutsam ist auch die Diskussion um mehr Videoverhandlungen vor Zivil- und Fachgerichten; ein Vorhaben, das die BRAK positiv sieht. Seien Sie versichert, liebe Kolleginnen und Kollegen: Die BRAK wird bei all diesen wichtigen Entwicklungen am Ball bleiben! Ihr Dr. Ulrich Wessels AKZENTE BRAK-MITTEILUNGEN 2/2023 69
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