Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte weiterhin vor oder verschärfen sich zunehmend.12 12 S. dazu etwa den Bericht von Remmertz, BRAK-Magazin 2/2023, 12. Teils sind sie weit verbreitet oder werden sogar systematisch betrieben und sind das Ergebnis einer bewussten Politik. In Situationen, in denen der Rechtsstaat insgesamt unter Druck gerät, sind Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, aber auch Anwaltsorganisationen nicht selten eine der „letzten Bastionen“ zur Verteidigung von Menschenrechten und elementaren demokratischen Freiheiten. III. DEBATTEN ZU ZIELSETZUNG UND RECHTSNATUR Angesichts dieser Ausgangslage kam in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates die Debatte auf, ob und wie der rechtliche Status der Empfehlung Nr. R (2000) 21 gestärkt werden kann.13 13 Vgl. Parliamentary Assembly of the Council of Europe, The case for drafting a European convention on the profession of lawyer, Motion for a recommendation, Doc. 14181, 13 October 2016, und Report, Doc. 14453, 15 December 2017 (jeweils zuletzt abger. am 13.1.2023). Es wurde überlegt, diese Bestimmungen in ein verbindliches Abkommen zu überführen, verbunden mit einem Frühwarnmechanismus zur Reaktion auf unmittelbare Bedrohungen, um die Sicherheit, Unabhängigkeit und die Fähigkeit, ihre beruflichen Pflichten wirksam erfüllen zu können, für Rechtanwältinnen und Rechtsanwälte jederzeit zu gewährleisten. Als Vorbild wurde die bestehende Plattform des Europarates zur Förderung des Schutzes des Journalismus und der Sicherheit von Journalistinnen und Journalisten genannt. 1. STARTSCHUSS FÜR EIN NEUES RECHTSINSTRUMENT Am 24.1.2018 hat die Parlamentarische Versammlung des Europarates sodann mit großer Mehrheit eine Empfehlung angenommen, eine bindende Europäische Konvention zum Beruf des Rechtsanwalts zu erarbeiten.14 14 Parliamentary Assembly of the Council of Europe, The case for drafting a European convention on the profession of lawyer, Recommendation 2121 (2018), adopted by the Assembly on 24 January 2018 (6th Sitting) (zuletzt abger. am 13.1.2023). Die Empfehlung, ein bindendes Instrument zu schaffen, hatte bereits das Ministerkomitee in der vorbezeichneten Recommendation im Jahr 2000 vorgesehen. Auch von Seiten der Anwaltschaft war über den CCBE die Schaffung eines solchen, bindenden Instruments gefordert worden.15 15 Vgl. CCBE contribution on the proposed European Convention on the Profession of Lawyer, CCBE, 15. September 2017, S. 5f., https://www.ccbe.eu/actions/europeanconvention-on-the-profession-of-lawyer/ (zuletzt abger. am 13.1.2023). Daher hat das Ministerkomitee die Ausarbeitung eines neuen Rechtsinstruments für den Schutz des Anwalts beschlossen.16 16 Vgl. Committee of Ministers of the Council of Europe, The case for drafting a European convention on the profession of lawyer, Reply to Recommendation: Recommendation 2121 (2018), Doc. 14825, 5 February 2019 (zuletzt abger. am 13.1. 2023). Zuständig ist der Ausschuss für juristische Zusammenarbeit des Europarats (CDCJ), der für die gesamte Rechtssetzung im Europarat und somit auch für den Schutz der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte verantwortlich ist. Der CDCJ erarbeitet Stellungnahmen, die auf dem Input aller (seit dem Austritt Russlands nur noch 46) Mitgliedstaaten beruhen. Der Wirkbereich geht also weit über die Grenzen der EU hinaus. 2. STREITPUNKT RECHTSVERBINDLICHKEIT Innerhalb des CDCJ war und ist das Meinungsbild sehr unterschiedlich. Befürworter und Gegner der Schaffung eines bindenden Rechtsinstruments halten sich dem Vernehmen nach in etwa die Waage. Entscheidend ist, dass ein völkerrechtlich verbindliches Abkommen ein Konsensverfahren voraussetzt, wobei es jedem Staat freisteht, das Abkommen zu ratifizieren. Im Jahr 2020 beauftragte der CDCJ eine Studie über die Durchführbarkeit eines neuen, verbindlichen oder nicht verbindlichen europäischen Rechtsinstruments zum Schutz des Anwaltsberufs sowie dessen Mehrwert. In dieser Machbarkeitsstudie aus dem Jahr 2021 analysierte Jeremy McBride (Barrister, London) die Hintergründe und die Rechtsprechung des EGMR.17 17 Profession of lawyer: study on the feasibility of a new European legal instrument, Report prepared by Jeremy McBride, consultant, under the supervision of the European Committee on Legal Co-operation (CDCJ), Council of Europe, April 2021 (zuletzt abger. am 13.1.2023). Trotz bestehender Risiken, beispielsweise in Bezug auf das erwähnte Ratifizierungserfordernis, hat er sich gleichwohl für die Erarbeitung eines bindenden Instruments ausgesprochen. Angesichts dieser Meinungslage hat man sich im CDCJ auf einen vorläufigen Kompromiss geeinigt und den Unterausschuss CJ-AV im Januar 2022 gegründet, der nun das Rechtsinstrument erarbeiten und die Frage der Rechtsnatur vorbereitend klären soll. Schlussendlich wird die Entscheidung aber der CDCJ treffen, möglicherweise erst nach Abschluss der Arbeiten am Text des Rechtsinstruments. Der Unterausschuss CJ-AV hat 15 reguläre Mitglieder und viele Beobachter aus zahlreichen Dachverbänden, die ein Mitspracherecht haben. Auch der CCBE ist mit Beobachterstatus vertreten, so dass auch auf diese Weise anwaltlicher Input gewährleistet ist. Geleitet wird der Unterausschuss CJ-AV vom deutschen Vertreter im CDCJ, einem leitenden Beamten des Bundesministeriums der Justiz. IV. INHALTE, HERAUSFORDERUNGEN UND STAND DER VERHANDLUNGEN Der Unterausschuss CJ-AV hat seit Arbeitsaufnahme im April 2022 bisher drei Mal getagt und, unter fortgesetzter Einbindung des Beraters Jeremy McBride, ein erstes Gerüst des neuen Rechtsinstruments erarbeitet. Im Entwurf sind bisher insbesondere grundlegende Garantien und Rechte für Rechtsanwälte sowie die ihre Unabhängigkeit gewährleistenden Rechtsanwaltsorganisationen niedergelegt. TRIERWEILER/BOOG, NEUES RECHTSINSTRUMENT FÜR DEN SCHUTZ DES ANWALTSBERUFS BRAK-MITTEILUNGEN 2/2023 AUFSÄTZE 72
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