BRAK-Mitteilungen 2/2023

ELEKTRONISCHER RECHTSVERKEHR FEHLENDE SIGNATUR DER BERUFUNGSSCHRIFT ZPO §§ 130a III, VI, 233 S. 1 1. Die qualifizierte elektronische Signatur der als Anlage zur Berufungsschrift übersandten Abschrift des angefochtenen Urteils ersetzt nicht die qualifizierte elektronische Signatur der über das Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach übersandten Berufungsschrift. 2. Ist eine nicht auf dem sicheren Übermittlungsweg bei Gericht eingereichte Berufung nicht mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen, ist das Berufungsgericht – entsprechend den Grundsätzen über das Fehlen der Unterschrift – lediglich im Rahmen des ordnungsgemäßen Geschäftsgangs verpflichtet, die Partei darauf hinzuweisen und ihr ggf. Gelegenheit zu geben, den Fehler vor Ablauf der Berufungsfrist zu beheben. § 130a VI ZPO gilt für Signaturfehler nicht. BGH, Beschl. v. 19.1.2023 – V ZB 28/22 AUS DEN GRÜNDEN: [1] I. Die Parteien machen wechselseitig Ansprüche aus einem Grundstückskaufvertrag geltend. Das LG hat mit dem am 14.12.2021 zugestellten Urteil der Klage stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Am 12.1. 2022 ist bei dem OLG über das Elektronische Gerichtsund Verwaltungspostfach (EGVP) eine Berufungsschrift des Prozessbevollmächtigten des Bekl. als PDF-Dokument eingegangen. Dieses Dokument ist nicht mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen; vielmehr ist die der Berufungsschrift als separates PDF-Dokument beigefügte Anlage, die das angefochtene Urteil enthält, qualifiziert elektronisch signiert. [2] Das OLG hat den Antrag des Bekl. auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Bekl. [3] II. Das Berufungsgericht meint, der Bekl. habe die Berufung nicht wirksam innerhalb der am 14.1.2022 abgelaufenen Berufungsfrist eingelegt. Die am 12.1. 2022 als PDF-Dokument per EGVP eingegangene Berufungsschrift genüge den Anforderungen des § 130a III 1 ZPO nicht. Sie hätte, weil sie nicht auf einem sicheren Übermittlungsweg (§ 130a IV 1 ZPO) eingereicht worden sei, mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen werden müssen. Daran fehle es. Die qualifizierte elektronische Signatur der als Anlage zur Berufungsschrift übersandten Abschrift des angefochtenen Urteils sei gem. § 130a III 2 ZPO weder erforderlich noch ausreichend gewesen. Gemäß § 4 II ERVV dürften mehrere elektronische Dokumente auch nicht mit einer gemeinsamen qualifizierten elektronischen Signatur übermittelt werden. [4] Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist könne dem Bekl. nicht gewährt werden. Er sei nicht ohne sein Verschulden gehindert gewesen, die Frist zur Einlegung der Berufung einzuhalten (§ 233 ZPO). Auf die fehlende Signatur hätte der Bekl. nicht hingewiesen werden müssen. Das sei schon deshalb nicht möglich gewesen, weil dem stellvertretenden Vorsitzenden die Berufungsschrift am 18.1.2022 und damit nach Ablauf der Berufungsfrist (14.1.2022) vorgelegt worden sei. Dass die Geschäftsstelle die am 12.1.2022 per EGVP eingegangene Berufungsschrift dem stellvertretenden Vorsitzenden nicht vor Fristablauf vorgelegt habe, bewege sich im Rahmen des normalen Geschäftsgangs. Eine sofortige Formalienprüfung aller elektronischen Dokumente bedeutete eine erhebliche Zusatzbelastung, vor der die Justiz im Interesse ihrer Funktionsfähigkeit geschützt werden müsse. § 130a VI ZPO gelte für den Signaturfehler nicht. [5] III. Die gem. § 574 I 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 I 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde des Bekl. ist unzulässig, weil es an den besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 574 II ZPO fehlt. Weder hat die Sache grundsätzliche Bedeutung noch ist eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Insbesondere ist der Zugang zur Rechtsmittelinstanz nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert worden (vgl. Senat, Beschl. v. 12.11. 2020 – V ZB 32/20, NJW-RR 2021, 506 Rn. 4). [6] 1. Die Annahme des Berufungsgerichts, dass der Bekl. nicht innerhalb der am 14.1.2022 abgelaufenen einmonatigen Berufungsfrist formgerecht Berufung eingelegt hat (§§ 517, 519 I ZPO), wirft keine die Zulassung der Rechtsbeschwerde begründenden Rechtsfragen auf. Die am 12.1.2022 als PDF-Dokument per EGVP eingegangene Berufungsschrift genügt nicht den Anforderungen des § 130a III 1, IV ZPO. [7] a) Das elektronische Dokument muss mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein (§ 130a III 1 Fall 1 ZPO) oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden (§ 130a III 1 Fall 2 ZPO). Nur dann sind Echtheit und Integrität des Dokuments gewährleistet (vgl. BGH, Beschl. v. 30.3. 2022 – XII ZB 311/21, NJW 2022, 2415 Rn. 11 m.w.N.). Die sicheren Übermittlungswege ergeben sich aus § 130a IV ZPO, wozu namentlich das besondere elektronische Anwaltspostfach (§§ 31a, 31b BRAO) gehört (vgl. § 130a IV 1 Nr. 2 ZPO). Ein mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehenes Dokument darf außer auf einem sicheren Übermittlungsweg auch an das EGVP übermittelt werden (§ 4 I ERVV). [8] b) Diesen Anforderungen wird die am 12.1.2022 beim OLG eingegangene Berufungsschrift des Bekl. nicht gerecht. Sie ist nicht entweder mit einer qualifiELEKTRONISCHER RECHTSVERKEHR BERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG BRAK-MITTEILUNGEN 2/2023 127

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