rung für Verbraucherinnen und Verbraucher, weil mangels Wirtschaftlichkeit das Angebot anwaltlichen Inkassos durch die neue Regelung vermindert werden wird und damit genau die Art von unseriösen Inkassounternehmen wachsen werden, wegen derer die Regelung geschaffen worden ist. Die Auslegung der Voraussetzungen für den Normalfall des Inkasso und für den einfachen Fall des Inkasso sind im Übrigen weiterhin ungeklärt. III. GESCHÄFTSGEBÜHR IN MASSENVERFAHREN Der BGH4 4 BGH, Urt. v. 10.5.2022 – VI ZR 156/20. hatte sich mit der Berechtigung der Gebührenbestimmung in Massenverfahren zu befassen. Zugrunde lag die Erstattungsforderung bezüglich vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten in einem Dieselverfahren. Der Bevollmächtigte des Verbrauchers hatte eine 2,0 Geschäftsgebühr Nr. 2300 VV-RVG bestimmt und der Kläger des Ausgangsverfahrens hatte diese zur Erstattung gestellt. Das LG Stuttgart hatte die Geschäftsgebühr nur i.H.v. 1,3 zugesprochen. Das OLG Stuttgart hat die Berufung zurückgewiesen.5 5 OLG Stuttgart, Urt. v. 20.12.2021 – 5 U 202/18. Der BGH hat die Revision verworfen. Der Kläger hatte die Bestimmung der Gebühr damit begründet, dass Umfang und Schwierigkeit insb. wegen der Notwendigkeit der Aufklärung der technischen Grundlagen zum Nachweis der Manipulation der Messwerte deutlich überdurchschnittlich gewesen wären. Das LG hatte die Herabsetzung der Gebühr auf die Kappungsgrenze gemäß der Anmerkung (heute Anm. 1) zu Nr. 2300 VV-RVG damit begründet, dass der Aufwand und die Schwierigkeit der Aufklärung zwar wegen der tatsächlich erheblichen Einarbeitungszeit in die technischen und rechtlichen Fragen einer Haftung der Beklagten sehr hoch waren, jedoch auf die Vielzahl der Betroffenen umzulegen seien, so dass die Bearbeitung des konkreten Streitfalles keine überdurchschnittlichen Schwierigkeiten mehr aufweise. Die Entscheidung ist kritisch zu sehen. Das RVG stellt bei der Bewertung der Kriterien Umfang und Schwierigkeit auf den Durchschnittsanwalt ab. Umfang und Schwierigkeit sind nicht auf den konkret tätigen Rechtsanwalt zu beziehen. Ansonsten würden auch für den Verbraucher unzuträgliche Ergebnisse entstehen. Würden außerhalb des Mandats erworbene besondere Kenntnisse berücksichtigt, würden Fachanwälte nur unterdurchschnittlich abrechnen dürfen; dagegen würden dem Anfänger durch Unkenntnis entstehende Aufwände vom Verbraucher entgolten werden müssen. Das RVG berücksichtigt durchaus Synergieeffekte, jedoch geschieht dies nur innerhalb der abzurechnenden Angelegenheit, indem der Aufwand bei der Einarbeitung in den Rechtsfall durch Anrechnung im folgenden Verfahrensabschnitt abgeschöpft wird. Die Entscheidung ist weiter im Sinne der Abrechnungsgerechtigkeit problematisch, denn die Abrechnung der Einarbeitung im ersten bearbeiteten Fall z.B. mit der Höchstgebühr ist natürlich gerechtfertigt und bleibt, einmal abgerechnet wirksam. Die Folgemandate würden wegen der Synergien geringer entgolten. Die sehr problematische Entscheidung ist – wie so häufig – auf anwaltlichen Missbrauch zurückzuführen. In vielen Massenverfahren wird unnötig mit einer Vielzahl von seitenlangen Textbausteinen gearbeitet, die dann nicht einmal mehr für den Einzelfall individualisiert werden. Der Ärger in der Justiz ist insoweit nachvollziehbar. IV. ANFORDERUNGEN AN STUNDENSATZVEREINBARUNGEN 1. EUGH Mindestens ebenso viele Probleme bereitet eine Entscheidung des EuGH.6 6 EuGH, Urt. v. 12.1.2023 – C-395/21, BRAK-Mitt. 2023, 173 mit Anm. Kunze (in diesem Heft). Bisher sind Stundensatzvereinbarungen als weitgehend unproblematisch angesehen worden, da sie die Vermutung in sich tragen, dass das Entgelt durch die geleisteten Stunden verdient sein sollte. Es ergaben sich daher nur Probleme in Bezug auf die Angemessenheit des vereinbarten Stundensatzes, eine etwaige Leistungsaufblähung oder ungünstige Abrechnungsmodalitäten. Durch die Entscheidung des EuGH ist die Anwendung von Stundensatzvereinbarungen schwieriger geworden. a) DER ZUGRUNDELIEGENDE FALL Zugrunde lag ein Fall aus Litauen, bei welchem ein Stundensatz von 100 Euro vereinbart worden war. Der Mandant hatte im April 2018 einen Vorschuss von 5.600 Euro geleistet. Bei Mandatsende im März 2019 rechnete der Rechtsanwalt über den Vorschuss hinaus weitere 9.900 Euro zuzüglich Auslagen ab. Im Klageverfahren setzte das Bezirksgericht die Forderung auf die Hälfte der Gesamtforderung herab. Das Berufungsgericht legte die Frage, ob es sich bei der Stundensatzvereinbarung um eine missbräuchliche Klausel i.S.v. Art. 4 II der Richtlinie 93/13/EWG dem EuGH vor. Dieser bestätigte die Nichtigkeit der Klausel. Der EuGH sieht Stundenhonorarvereinbarungen immer dann als missbräuchlich an, wenn dem Verbraucher vor Vertragsabschluss nicht die Informationen erteilt worden sind, die ihn in die Lage versetzt hätten, seine Entscheidung zum Vertragsabschluss mit Bedacht und in voller Kenntnis der wirtschaftlichen Folgen des Vertragsschlusses zu treffen. Konkret bedeutet das, dass der Verbraucher in die Lage versetzt werden soll, den mit der Vereinbarung geregelten Zeitaufwand abschätzen zu können. Der EuGH verkennt dabei nicht das Problem, dass auch Anwältinnen BRAK-MITTEILUNGEN 3/2023 AUFSÄTZE 154
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