sie beabsichtigte Unterhaltsverzicht für sie nicht nachteilig wäre. Eine Beantwortung dieser Frage lehnte der Anwalt ab, weil er zunächst mit dem Beklagten sprechen wollte. Mit diesem Verhalten war die Ehefrau, die davon ausging, dass die Sozietät auch ihre Interessen wahrnehmen würde, nicht einverstanden. Der Anwalt erstellte anschließend den Entwurf einer Scheidungsfolgenvereinbarung und übersandte diesen per E-Mail. Das Schreiben war zwar inhaltlich an beide Eheleute gerichtet („Sehr geehrte Frau H, sehr geehrter Herr H“), jedoch nur an den Beklagten versandt worden. Darauf antwortete der Beklagte und führte u.a. aus, die Ehefrau habe seit dem letzten Telefonat das Vertrauen in die mandatierten Rechtsanwälte verloren, sie halte diese für parteiisch und fühle sich persönlich nicht gut beraten. Der Beklagte beanstandete, dass die letzte E-Mail nur an ihn und nicht auch an die Ehefrau übersandt worden sei. Er wolle „absolute Transparenz“ und die Trennung mit nur „einem Steuerberater/Rechtsanwalt/Notar“ erreichen. Einige Monate später kontaktierte der Beklagte die Kanzlei wiederum, überließ umfangreiche Unterlagen und kam zu einer mehrstündigen Besprechung. Im Anschluss daran übersandte die Klägerin eine Vergütungsvereinbarung, mit deren Inhalt der Beklagte nicht einverstanden war, woraufhin er das Mandat beendete. Das LG Düsseldorf sah in der gemeinsamen Beauftragung für die Scheidungsfolgenvereinbarung keine widerstreitenden Interessen und bejahte die Wirksamkeit des Mandatsvertrages und dem folgend den Honoraranspruch. Das OLG sieht das deutlich kritischer: Es schildert ausführlich die dogmatischen Grundlagen des § 43a BRAO und kommt ohne Weiteres zu dem Ergebnis, dass – unabhängig davon, wer „formal“ als Mandant auftritt, wer also vom Rechtsanwalt als solcher angesehen wird, weil er zuerst den Kontakt mit dem Anwalt aufgenommen hat bzw. an wen die Honorarrechnung gerichtet wird etc. – hier von Anfang an der potenzielle Interessengegensatz zutage trat. Der Senat macht dies u.a. daran fest, dass die Ehefrau weitestgehend erwerbslos war und es zwei minderjährige Kinder gab, sodass jedenfalls Unterhaltsansprüche im Raum standen. Der Anwalt sei demnach gem. § 3 IV BORA gehalten gewesen, den Beklagten sowie die Ehefrau über die widerstreitenden Interessen und das daraus folgende Vertretungsverbot zu unterrichten sowie das Mandat zu beenden. Der Verstoß gegen § 43a BRAO führt zur Nichtigkeit des Mandatsvertrages.1 1 Das OLG folgt hier explizit dem BGH, Urt. v. 12.5.2016 – IX ZR 241/14 Rn. 6. Da hier die Interessenkollision bereits im Erstgespräch erkennbar geworden sei, habe allenfalls eine (hier nicht geltend gemachte) Erstberatungsgebühr anfallen können. Man konnte noch daran denken, dass angesichts des umfangreichen Tätigwerdens Honorar unter dem Gesichtspunkt einer Geschäftsführung ohne Auftrag geltend gemacht werden könnte. Eine gesetzwidrige Tätigkeit durfte die Klägerin aber nach den Umständen nicht für erforderlich halten.2 2 BGH, Urt. v. 21.10.2010 – IX ZR 48/10 Rn. 18 m.w.N.; Urt. v. 10.10.2019 – IX ZR 89/18 Rn. 27. Der Senat weist schließlich noch darauf hin, dass selbst einem etwa wirksam entstandenen Vergütungsanspruch jedenfalls ein Schadensersatzanspruch gem. §§ 311 II, 280 I BGB entgegenstünde. Die Klägerin hätte nämlich bereits vor der gemeinsamen Beratung darauf hinweisen müssen, dass „bei einer gemeinsamen Beratung nicht mehr die Interessen einer Partei einseitig vertreten werden können, sondern die Eheleute nur unter Ausgleich der gegenseitigen Interessen beraten werden können, und dass sie jedenfalls dann, wenn die gemeinsame Beratung nicht zu einer Scheidungsfolgenvereinbarung führt und widerstreitende Interessen der Eheleute unüberwindbar aufscheinen, das Mandat gegenüber beiden Eheleuten niederlegen muss mit der Folge, dass – angesichts noch nicht abschließend geklärter Rechtslage3 3 BGH, Urt. v. 19.9.2013 – IX ZR 322/12, Rn. 12. – sogar beide Eheleute neue Anwälte beauftragen müssen.“ Auch über die bei einem solchen Szenario entstehenden Kostenfolgen hätte sie aufklären müssen, dass nämlich Kosten nicht nur für ihre Tätigkeit, sondern für zwei weitere, insgesamt also drei Anwälte entstehen können. Fazit: Eine Scheidung ist in den wenigsten Fällen einvernehmlich. Die Beratung beider Ehepartner ist dann nicht nur berufsrechtlich kritisch, sondern man hat auch noch im wahrsten Sinne des Wortes „umsonst“ gearbeitet. (ju) TÄTIGKEIT ALS ANWALT UND SANIERUNGSGESCHÄFTSFÜHRER 1. Zur Inanspruchnahme einer Anwaltssozietät auf Schadensersatz wegen behaupteter Falschberatung durch den geschäftsführenden Partner über die Möglichkeiten einer Unternehmenssanierung und wegen vermeintlicher Pflichtverletzungen anlässlich dessen späterer Tätigkeit als Sanierungsgeschäftsführer im Rahmen eines Schutzschirmverfahrens. 2. Hat es ein Rechtsanwalt gegenüber den – in den Schutzbereich des von der Gesellschaft erteilten Mandats einbezogenen – Gesellschaftern übernommen, diese zu den Möglichkeiten einer Unternehmenssanierung zu beraten, und empfiehlt er ihnen als eine von mehreren in Betracht kommenden Möglichkeiten die Durchführung eines Schutzschirmverfahrens als „Königsweg“, so verbleibt die unternehmerische Entscheidung für oder gegen diesen Vorschlag grundsätzlich bei den Gesellschaftern und begründet ihr Vorwurf, dieser Rat habe sich in der Folge als wirtschaftlich nachteilig erwiesen, nicht ohne weiteres eine anwaltliche Pflichtverletzung. JUNGK/CHAB/GRAMS, PFLICHTEN UND HAFTUNG DES ANWALTS – EINE RECHTSPRECHUNGSÜBERSICHT AUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 3/2023 159
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