BRAK-Mitteilungen 3/2023

dem Verhandlungstag seine Kanzlei nicht verlassen konnte, weil seine Sekretärin erkrankt sei und daher niemand in der Kanzlei erreichbar gewesen wäre. Mit der Fahrt zum AGH hätte er, so der Vortrag des Anwalts, seine Pflicht aus § 27 I BRAO verletzt, dass seine Kanzlei erreichbar sein müsse. Das Argument lehnt der BGH im Ergebnis zu Recht ab. Der BGH meint, dass sich aus der Kanzleipflicht die Pflicht des Rechtsanwalts ergebe, „zu den üblichen Geschäftsstunden normalerweise erreichbar zu sein und dem rechtsuchenden Publikum zur Verfügung zu stehen“. Aus dem „normalerweise“ leitet der BGH dann ab, dass dies in einer besonderen Situation nicht gelte. Und eine solche besondere Situation sei hier durch die Erkrankung der Mitarbeiterin und den anstehenden Gerichtstermin gegeben gewesen. Der BGH kann sich nicht den Hinweis verkneifen, dass die wesentliche Zeit der Abwesenheit in die auf dem Briefbogen angegebene Mittagspause gefallen wäre und daher die Nichterreichbarkeit nur sehr kurz war. Der Anwaltssenat zitiert zur Erreichbarkeit zwei seiner Beschlüsse aus den Jahren 2004 und 2009 und verweist insb. auf die Kommentierung von Siegmund (in Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 3. Aufl. 2020, § 27 BRAO Rn. 24, 27). Aus diesen Zitaten könnte man schließen, dass eine regelmäßige persönliche Anwesenheit in der Kanzlei zu bestimmten Zeiten immer noch erforderlich sei. In dem zitierten Beschluss v. 6.7.2009 ist von „angemessenen Zeiten“ (Rn. 5) die Rede, im Beschluss v. 18.10.2004 geht der Anwaltssenat davon aus, dass „Sprechstunden Dienstag 10 bis 12 Uhr“ nicht ausreichend seien. Dies lässt aber viele Fragen offen. Leider hat der Anwaltssenat nicht die Gelegenheit genutzt, um die Zweifel an der regelmäßigen persönlichen Erreichbarkeit, die auch Siegmund (in Gaier/ Wolf/Göcken, § 27 BRAO Rn. 24) äußert, zu klären. Denn die Rahmenbedingungen für die Erreichbarkeit von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten haben sich sehr verändert. Kaum ein Mandant kommt mehr ohne eine vorherige Terminvereinbarung, sei es telefonisch, per E-Mail oder über die Homepage in die Kanzlei. Zudem sind auch veröffentlichte Bürozeiten nahezu eine Selbstverständlichkeit, aber auch die Tätigkeit im Homeoffice muss berücksichtigt werden. Zu beachten ist auch die Tatsache, dass die telefonische Erreichbarkeit durch Mobiltelefone und Rufumleitungen und auch mit der Schaltung von Anrufbeantwortern mit allen ihren technischen Möglichkeiten sich deutlich verbessert hat. Sehen muss man auch, dass Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte heute immer noch viel zu Gerichtsterminen reisen müssen und daher oft – z.B. bei Strafverteidigerinnen und Strafverteidigern – tagelang nicht im Büro anwesend sein können, also persönlich nicht erreichbar sind. Daher hat die Regelung des § 53 BRAO mit der Pflicht zur Vertreterbestellung erst nach einer Woche ihren Sinn. Oberstes Ziel der Berufspflicht aus § 27 I BRAO ist die Erreichbarkeit. Dies heißt aber nicht, dass in einem ersten Schritt eine persönliche Erreichbarkeit gewährleistet sein muss. Sondern es muss Mandanten und allen anderen Beteiligten (Gerichte, Versicherungen, Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten) möglich sein, über die veröffentlichten Kommunikationsdaten der Kanzlei (auf der Homepage oder über www.rechts anwaltsregister.org) Kontakt aufzunehmen: Also die E-Mail, das beA (auch noch das Fax), die Nachricht auf dem Anrufbeantworter oder aber das Telefonat mit dem Büro (sei es mit eigenen Mitarbeitern oder über einen Anrufservice). Im zweiten Schritt muss dann aber auch eine Reaktion der Rechtsanwältin oder des Rechtsanwalts auf die Kontaktaufnahme erfolgen. Dies ist der wesentlich wichtigere Schritt als eine Anwesenheit im Büro. Und diese Reaktion muss innerhalb von zwei bis drei Tagen erfolgen, zwar nicht notwendigerweise durch die Rechtsanwältin oder den Rechtsanwalt selber, ausreichend ist z.B. auch eine Rückmeldung des Sekretariats mit der Sachstandsmitteilung, der Entscheidung, dass man ein Mandat nicht annehmen möchte oder aber eine Terminvereinbarung zu einem Telefonat, einem Videoanruf oder zu einem persönlichen Treffen. Die Erreichbarkeit ist also heute anders zu beurteilen als früher. Rechtsanwalt Martin W. Huff, Singen (Hohentwiel) FREMDBESITZVERBOT AUF DEM PRÜFSTAND BRAO §§ 59a, 59e, 59h a.F.; BRAO §§ 59b, 59i, 59j; AEUV Art. 49, 63 I, 267; Richtlinie 2006/123/EG Art. 15 IIIa-c * Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden nach Art. 267 AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt: 1. Stellt es eine unzulässige Beschränkung des Rechts auf Freiheit des Kapitalverkehrs gem. Art. 63 I AEUV dar, wenn nach den Gesetzen eines Mitgliedstaates einer Rechtsanwaltsgesellschaft zwingend die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu entziehen ist, wenn 1.1 ein Geschäftsanteil der Rechtsanwaltsgesellschaft auf eine Person übertragen wird, die nicht die besonderen beruflichen Anforderungen erfüllt, die nach dem Recht des Mitgliedstaates an den Erwerb eines Geschäftsanteils geknüpft sind? Demnach kann ein Geschäftsanteil an einer Rechtsanwaltsgesellschaft nur durch einen Rechtsanwalt oder ein sonstiges Mitglied einer Rechtsanwaltskammer, einen Patentanwalt, Steuerberater, Steuerbevollmächtigten, Wirtschaftsprüfer oder vereidigten Buchprüfer, einen Angehörigen eines Rechtsanwaltsberufs aus einem anderen Staat, dem im Inland die Ausübung der Rechtsberatung erlaubt ist, bzw. einen Patentanwalt, Steuerberater, SteuerbeBERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG BRAK-MITTEILUNGEN 3/2023 185

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