BRAK-Mitteilungen 3/2023

hältnismäßig sein. Dies ist dann der Fall, wenn die Anforderungen zur Verwirklichung des mit ihnen verfolgten Ziels geeignet sind, nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist und nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen ersetzt werden können, die zum selben Ziel führen. Es bestehen Zweifel, ob die in den §§ 59a, 59e, 59h BRAO a.F. enthaltenen Beschränkungen für den Erwerb von Geschäftsanteilen an einer Rechtsanwaltsgesellschaft diesen Anforderungen standhalten. [62] Die Kl. erbringt Dienstleistungen i.S.v. Art. 4 Nr. 1 der Dienstleistungsrichtlinie. Dienstleistung ist danach jede von Art. 50 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft erfasste selbstständige Tätigkeit, die in der Regel gegen Entgelt erbracht wird. Dies umfasst gegen Entgelt zu erbringende Tätigkeiten der Rechtsberatung. Gemäß § 2 I der Satzung der Kl. bildet die Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten einschließlich der Rechtsberatung durch Übernahme von Anwaltsaufträgen, die nur durch in den Diensten der Gesellschaft stehende, zugelassene Rechtsanwälte unabhängig, weisungsfrei und eigenverantwortlich unter Beachtung des Berufsrechts ausgeführt werden, den Gegenstand des Unternehmens der Kl. [63] Die Dienstleistungsrichtlinie entfaltet zugunsten der Kl. unmittelbare Wirkung. Diese kann sich unmittelbar darauf berufen, dass Beschränkungen nicht durch Art. 15 IIc, IIIc der Dienstleistungsrichtlinie gerechtfertigt sind (EuGH, Urt. v. 30.1.2018 – C 360-15: C 31-16 Rn. 130). Nach der Dienstleistungsrichtlinie ist es zwar zulässig, Beschränkungen vorzusehen, die die Unabhängigkeit der Rechtsberatung und eine geordnete Rechtspflege sicherstellen. Gemäß Art. 15 IIIc der Dienstleistungsrichtlinie müssen solche Beschränkungen aber verhältnismäßig sein. [64] Es bestehen aus den unter Ziff. 3 genannten Gründen erhebliche Zweifel, ob die Beschränkungen gem. §§ 59a, 59e BRAO a.F. für den Erwerb von Geschäftsanteilen an einer Rechtsanwaltsgesellschaft verhältnismäßig i.S.d. Vorschrift sind. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Unabhängigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, die Wahrnehmung der Rechtspflege und die Pflicht zur anwaltlichen Verschwiegenheit und damit das Vertrauen in die Rechtspflege durch die in § 59f BRAO a.F. sowie die in der Satzung vorgesehenen Beschränkungen der Rechte der Gesellschafter ausreichend gewahrt wird. Risiken, die über die Risiken der Gesellschaftsbeteiligung von Personen, die sich aufgrund des seit 1.8. 2022 geltenden Rechts an einer Berufsausübungsgesellschaft beteiligen können, hinausgehen, sind durch die Beteiligung primär kapitalgebender Gesellschafter nicht erkennbar. 5. Zweifel der Vereinbarkeit der unter 3. genannten Beschränkungen mit der Niederlassungsfreiheit [65] Folgt man der Auffassung nicht, dass die Beigeladene zu 1. keinen beherrschenden Einfluss auf die Tätigkeit der Kl. erstrebt und diese daher in dem Recht auf Kapitalverkehrsfreiheit verletzt sein kann, kommt neben einem Verstoß gegen die Dienstleistungsrichtlinie eine Verletzung des Rechts der Beigeladenen zu 1. auf Niederlassungsfreiheit gem. Art. 49 AEUV in Betracht. Auch insoweit könnte sich der Eingriff durch die Beschränkungen gem. §§ 59a, 59e, 59h BRAO a.F. als unverhältnismäßig erweisen. II. Entscheidungserheblichkeit des Vorlageersuchens: Vereinbarkeit der §§ 59e, 59a, 59h BRAO a.F. mit Art. 63, 49 AEUV, Art. 15 Dienstleistungsrichtlinie [66] Die Fragen des Vorlageersuchens sind unmittelbar entscheidungserheblich. Gemäß § 59h BRAO a.F. ist einer Rechtsanwaltsgesellschaft zwingend durch die zuständige Anwaltskammer die Zulassung zu entziehen, wenn diese Geschäftsanteile an eine Person überträgt, die nicht die Anforderungen gem. § 59a BRAO erfüllt, nicht für die Rechtsanwaltsgesellschaft beruflich tätig ist, oder wenn die Mehrheit der Geschäftsanteile und der Stimmrechte nicht mehr Rechtsanwälten oder Patentanwälten zustehen. Dies gilt auch dann, wenn die Satzung der Rechtsanwaltsgesellschaft entgegen § 59e II 2 BRAO a.F. einem Gesellschafter, der nicht zur Ausübung eines in § 59a I 1, II BRAO a.F. genannten Berufs berechtigt ist, ein Stimmrecht zuweist. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall gegeben, weil die Beigeladene 51 % der Geschäftsanteile der Kl. erworben hat und nicht zur Anwaltschaft oder einem anderen Beruf i.S.v. § 59a BRAO bzw. als Arzt oder Apotheker zugelassen ist. [67] Der Widerruf der Zulassung kann jedoch auf diese Bestimmungen nicht gestützt werden, soweit sie gegen höherrangiges Gemeinschaftsrecht verstoßen. Die Frage, ob und ggf. inwieweit dies der Fall ist, ist Gegenstand des Vorlageersuchens. III. Aussetzung des Verfahrens [68] Die Anordnung der Aussetzung des Verfahrens beruht auf § 112c BRAO, § 94 VwGO. ANMERKUNG: Mit seiner Entscheidung hat der 3. Senat des Bayerischen Anwaltsgerichtshofs dem Gerichtshof der Europäischen Union Grundsatzfragen zum Fremdkapitalverbot zur Überprüfung vorgelegt – und damit die Frage aufgeworfen, ob das Fremdkapitalverbot im anwaltlichen Berufsrecht noch zu retten ist. Die Richter des Bayerischen AGH erheben Bedenken, dass das strenge Fremdkapitalverbot die Freiheit des Kapitalverkehrs einschränken könnte. Zudem wollen Sie ungerechtfertigte Eingriffe in die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit erkennen. Es sei, so die Richter, immerhin denkbar, dass durch ausreichend strenge Satzungsreglungen innerhalb der Anwaltsgesellschaft eine Beteiligung Dritter an einer Kanzlei ermöglicht werden könnte, ohne dass die erhobenen berufsrechtlichen Bedenken zur anwaltlichen Unabhängigkeit und zur Verschwiegenheitsverpflichtung eintreten könnten. In Betracht käme beispielsweise eine Regelung, wonach die BerufsBRAK-MITTEILUNGEN 3/2023 BERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG 198

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