als Eigentümer seiner Kanzlei für seine Entscheidungen bezüglich der Qualität der Dienstleistungen seiner Kanzlei persönlich vor seinesgleichen zu verantworten hat, dass er persönlich allen Rechts- und Verwaltungsvorschriften und allen berufsrechtlichen Regeln für die Ausübung des Anwaltsberufs unterliegt und dass er die Geschäfte seiner Sozietät völlig unbeeinflusst von berufsfremden Dritten führen kann. Anhaltspunkte dafür, dass der EuGH eine funktionsfähige Rechtspflege als geringer bedeutsam einstuft als die Bedeutung der Apotheker für die Bevölkerung, sind nicht ersichtlich. Im Gegenteil qualifiziert der EuGH regelmäßig auch die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege als eines der höchsten Schutzgüter und verdeutlicht die „grundlegende Aufgabe“, die der Anwaltschaft in einer demokratischen Gesellschaft zukommt: „Dieser besondere Schutz des anwaltlichen Berufsgeheimnisses wird dadurch gerechtfertigt, dass den Rechtsanwälten in einer demokratischen Gesellschaft eine grundlegende Aufgabe übertragen wird, nämlich die Verteidigung der Rechtsunterworfenen. Diese Aufgabe erfordert, dass es dem Einzelnen möglich sein muss, sich völlig frei an seinen Rechtsanwalt zu wenden, was in allen Mitgliedstaaten anerkannt wird.“26 26 Pressemitt. Nr. 198/22 des EuGH v. 8.12.2022 zum Urt. v. 8.12.2022 – C-694/20 – Orde van Vlaamse Balies/Vlaamse Regering. Bereits Art. 2 EUV manifestiert die Rechtsstaatlichkeit als eine der fünf Grundsäulen der Europäischen Union. Auch sichert das Sekundärrecht (Art. 201 der Richtlinie 2009/138/EG des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und der Rückversicherungstätigkeit (Solvabilität II) in der Neufassung vom 25. November 2009) sowie schon längst die ständige Rechtsprechung des EuGH27 27 Vgl. dazu EuGH, Urt. v. 7.11.2013 – C-442/12 – Sneller/DAS; EuGH Urt. v. 26.5. 2011 – C-293/10 – Landesgericht Innsbruck. die freie Anwaltswahl des Rechtsschutzversicherten und die unabhängige Beratung seines Anwalts ab. Diese unionsrechtlichen Vorgaben dürfen nicht durch eine Öffnung der Gesellschafterstruktur unterlaufen werden. Mit einer Öffnung zugunsten Dritter wie beispielsweise Rechtsschutzversicherer würden neue Interessengegensätze und Abhängigkeiten des Rechtsanwalts entstehen, die nicht nur eine abstrakte, sondern eine konkrete Gefährdung der anwaltlichen Unabhängigkeit gegenüber dem Rechtschutzversicherer begründen. Schließlich würde insbesondere die Beteilung von Rechtsschutzversicherern an Rechtsanwaltsgesellschaften zu Interessenskollisionen zwischen den Interessen des Mandanten und denjenigen der Rechtschutzversicherer als Kapitalgeber führen. Es verbleibt schließlich die Frage der Erforderlichkeit, mithin die Frage nach der Existenz eines anderen, milderen Mittels zur Gewährleistung der Unabhängigkeit der Berufsträger und damit des Schutzes der qualifizierten Rechtsdienstleistung und des Zugangs zum Recht. Einflussnahme durch Satzung nicht ausschließbar Vorgebracht wird an dieser Stelle die Möglichkeit des Ausschlusses von schädlicher Einflussnahme durch Gesellschaftsvertrag oder Satzung. Hier darf nicht verkannt werden, dass sowohl die Satzung als auch der Gesellschaftsvertrag der Parteiautonomie zugänglich ist – mit anderen Worten nach deutschem Recht kann die Satzung jederzeit abgeändert werden. Zudem existiert die Möglichkeit so genannter „satzungsdurchbrechender Beschlüsse“. Der hohe Wert der Unabhängigkeit kann durch eine der Privatautonomie unterliegende Satzung nicht effektiv und nachhaltig gesichert werden. Darüber hinaus sieht das deutsche Gesellschaftsrecht zwingende Mitbestimmungs- und Kontrollrechte der Kapitaleigner vor. Der anwaltliche Geschäftsführer ist gegenüber den Gesellschaftern nach § 51a GmbHG auskunftspflichtig. Diese Auskunftspflicht kann durch die Satzung nicht eingeschränkt werden, § 51a Abs. 3 GmbHG. In dem konkreten Vorlagefall soll § 13 der Satzung den Schutz anwaltlicher Verschwiegenheitspflicht durch Einschränkung der Auskunfts- und Einsichtsrechte gewährleisten. Diese Klausel ist jedoch in Anbetracht des § 51a GmbHG unwirksam. § 51a GmbHG setzt die uneingeschränkte Auskunfts- und Einsichtsrechte der Gesellschafter voraus. Diese sind zwingend und nicht abdingbar, § 51a Abs. 3 GmbHG. Damit ist § 13 der Satzung lediglich eine Scheinklausel. Zudem bleibt die Entscheidung über die Person des Geschäftsführers sowie seiner Entlohnung ausschließlicher Gegenstand des Mehrheitsbeschlusses der Gesellschafter. Spätestens an dieser Stelle kann nicht von einem gleichermaßen effektiven Mittel gesprochen werden. Mit Blick auf Mehrheitsverhältnisse gilt es, sich von der rechtstheoretischen und zugleich illusorischen Vorstellung zu lösen, dass ein am Kanzleikapital Beteiligter in seiner Einflussmöglichkeit hinreichend beschränkt werden kann. Die Trennung der Kanzleiausrichtung samt berufsrechtlicher Anforderungen von der Kapitalverteilung ist lebensfremd. Aufgrund dieser Erwägungen ist die BRAK der festen Überzeugung, dass die deutschen Regelungen, nach der sich nichtsozietätsfähige Berufe nicht an Anwaltskanzleien beteiligen dürfen, nicht über das hinausgehen, was zur Gewährleistung eines hohen Niveaus des Rechtsstaats und eines Zugangs zum Recht für die gesamte Bevölkerung erforderlich ist und keine alternativen, weniger eingreifenden und gleich effektiven Instrumente zu ihrer Absicherung existieren. Die BRAK regt an, dass die Bundesrepublik Deutschland diese aus dem innerstaatlichen Gesellschaftsrecht sich ergebende Rechtslage zum Gegenstand ihres VorAUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 4/2023 209
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