trags macht und so in das Vorabentscheidungsverfahren einbringen möge. IV. VEREINBARKEIT MIT DEN VORSCHRIFTEN DER DIENSTLEISTUNGSRICHTLINIE UND DER NIEDERLASSUNGSFREIHEIT Gemäß Art. 56 AEUV sind Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs innerhalb der Union für Angehörige der Mitgliedstaaten, die in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen des Leitungsempfängers ansässig sind, verboten. Gemäß Art. 57 AEUV sind Dienstleistungen insbesondere auch die freiberuflichen Tätigkeiten. Gemäß Art. 49 I AEUV sind Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit von Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates verboten. Artikel 15 der Richtlinie 2006/123/ EG des europäischen Parlaments und des Rates über Dienstleistungen im Binnenmarkt regelt Näheres zu den Anforderungen, von denen die Mitgliedstaaten eine Niederlassung abhängig zu machen berechtigt sind. Eine Beschränkung der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit ist danach aus den bereits zur Freiheit des Kapitalverkehrs angeführten Gründen gerechtfertigt. Das Ziel der funktionsfähigen Rechtspflege kann nur unter Wahrung der anwaltlichen Unabhängigkeit gewährleistet werden. Dieses Ziel kann auf keine alternative Weise in gleicher Effektivität erreicht werden. V. ZUR RECHTSLAGE DE LEGE LATA NACH DER GROSSEN BRAO-REFORM Im Rahmen der großen Berufsrechtsreform im Jahre 2022 hat der deutsche Gesetzgeber nach Maßgabe des Art. 25 der Dienstleistungsrichtlinie 2006/123/EG die sozietätsfähigen Berufe behutsam erweitert. Nichtsdestotrotz wurde unverändert dran festgehalten, dass „bei reinen Kapitalbeteiligungen die erhebliche Gefahr einer Abhängigkeit von den Kapitalgebern besteht. Diese Gefährdung der anwaltlichen Unabhängigkeit kann überdies nicht nur durch das Stimmrecht vermittelt werden, sondern auch durch die wirtschaftliche Stellung rein kapitalistisch beteiligter Gesellschafterinnen und Gesellschafter. Die Besorgnis einer Gefährdung der anwaltlichen Unabhängigkeit entfällt nicht bei Minderheitsbeteiligungen. Denn auch eine kapitalistische Minderheitsbeteiligung kann in einer Gesellschaft einen erheblichen Einfluss vermitteln.“28 28 BT-Drs. 19/27670, 175. Neben der Absicherung der besonderen anwaltlichen Berufspflichten setzt der erforderliche Schutz der anwaltlichen Unabhängigkeit eine Beschränkung der Öffnung für berufsfremde Dritte voraus. Die anwaltliche Unabhängigkeit ist ein wesentliches – statusbildendes – Merkmal des Anwaltsberufs. Gemäß § 1 BRAO sind Rechtsanwälte unabhängige Organe der Rechtspflege. § 3 I BRAO betont, dass der Rechtsanwalt der berufene unabhängige Berater und Vertreter in allen Rechtsangelegenheiten ist. Beide Vorschriften werden durch § 2 BRAO ergänzt, nach dem der Rechtsanwalt einen freien Beruf ausübt und seine Tätigkeit kein Gewerbe ist. Dieser Unterscheidung kommt jedenfalls nach deutschem Recht eine grundlegende Bedeutung zu. Die Unterscheidung beruht auf der typisierenden Betrachtung, dass dem freien Beruf eine besondere individuelle Zuordnung der Verantwortlichkeiten gegenüber seinen Klienten und damit der gesamten Gesellschaft entspricht. Diese Unterscheidung zieht sich durch alle Gebiete des deutschen Rechts, zum Beispiel des Steuerrechts und des Bauordnungsrechts. Sie wird von der Rechtsprechung der deutschen Gerichte sehr streng beachtet und keinesfalls im Sinne einer freundlichen Begünstigung, sondern einer strengen Verpflichtung zur Ausgestaltung einer persönlich verantworteten Ausübung der Tätigkeit gesehen. Unabhängigkeit als Strukturprinzip In seiner Gesetzesbegründung zur großen BRAO-Reform hat der Gesetzgeber darauf hingewiesen, dass bereits die berufliche Zusammenarbeit mit anderen Berufen für die Wahrung der Unabhängigkeit eine große Herausforderung darstellt. Das BVerfG hat betont, dass sich bei einer Zusammenarbeit mit anderen Berufsträgern eine Beeinträchtigung der beruflichen Unabhängigkeit der einzelnen Partner etwa wegen der Rücksichtnahme auf die Belange anderer zur Vermeidung oder Lösung von Interessenkonflikten oder auf Grund entstehender Machtstrukturen nicht völlig ausschließen lasse.29 29 Vgl. dazu BVerfG, Beschl. v. 12.1.2016 – 1 BvL 6/13, NJW 2016, 700 (702). Dies gilt insbesondere dann, wenn den anderen Berufen ein anderes Berufsrecht zugrunde liegt. Daher sei es geboten, die Zusammenarbeit auf solche Berufe zu beschränken, die ebenfalls durch eine unabhängige Berufsausübung gekennzeichnet sind. Für die freien Berufe bildet die Unabhängigkeit ein gemeinsames Strukturprinzip. Freie Berufe haben die persönliche, eigenverantwortliche und fachlich unabhängige Erbringung von Dienstleistungen zum Gegenstand. Bei einem Zusammenschluss mehrerer freier Berufe kann daher die Wahrung der Unabhängigkeit der einzelnen Berufsträger umgesetzt werden. Demgegenüber kann aber eine Gefährdung der Unabhängigkeit der einzelnen Berufsträger nicht ausgeschlossen werden, wenn die anwaltliche Beratung in Verbindung mit einer rein gewerblichen Tätigkeit erfolgt. Dann stünde nicht die Erbringung einer persönlichen Dienstleistung im Vordergrund, sondern der BRAK-MITTEILUNGEN 4/2023 AUFSÄTZE 210
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