BRAK-Mitteilungen 4/2023

KOMMUNIKATION IM GERICHTSVERFAHREN UND DATENSCHUTZ ZUGLEICH EINE ANMERKUNG ZUM EUGH-URTEIL VOM 2.3.2023, RS. C-268/21 RECHTSANWALT PROF. DR. RALPH WAGNER, LL.M.* * Der Autor ist Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht, für Steuerrecht sowie für Arbeitsrecht in Dresden und Lehrbeauftragter an der Universität Dresden. Er ist Mitglied des BRAK-Ausschusses Datenschutzrecht. Eher unscheinbar wirkt eine aktuelle Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in einem datenschutzrechtlichen Verfahren auf Vorlage eines schwedischen Gerichts. Doch für die anwaltliche Praxis auch in Deutschland hat die Entscheidung durchaus Bedeutung. Im Kern geht es um die Frage, ob ein Zivilgericht die Vorlage von Urkunden anordnen kann, die ursprünglich zu anderen Zwecken erhobene Daten Dritter enthalten, oder ob dem die DSGVO entgegensteht. Die streitgegenständliche schwedische Regelung entspricht im Wesentlichen § 142 ZPO. Der Autor erläutert die Entscheidung und legt anhand typischer Prozess-Situationen dar, wann eine Datenverwendung im Prozess erlaubt ist. I. DATENSCHUTZREGELN IM GERICHTSVERFAHREN? Ja, er hat es wieder getan... Wie so oft (fast immer) entschied sich der Europäische Gerichtshof erneut bei einer Frage zur Datenschutz-Grundverordnung für eine ambitionierte, strenge und weitreichende Auslegung des europäischen Datenschutzrechts. Vorgelegt war durch ein schwedisches Gericht die Frage, ob im Zivilprozess bei der Beweisführung mit Urkunden Datenschutzregeln eingreifen und (falls ja) welche Einschränkungen sich für die Beweisführung (auch für die Prozessführung durch das Gericht) ergeben. Im konkreten schwedischen Zivilprozess sollten Unterlagen verwendet werden, die personenbezogene Daten Dritter, nämlich steuerliche Informationen, enthielten. DSGVO und Gerichtsverfahren? Gilt da nicht die „JIRichtlinie“ 2016/680 für Justiz und Inneres1 1 Richtlinie (EU) 2016/680 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 27.4.2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung und zur Aufhebung des Rahmenbeschlusses 2008/977/JI des Rates, ABl. EU Nr. L 119/89 v. 4.5. 2016. ? Falls sich jemand wundert: Die Ausnahme für „Justiz und Inneres“ betrifft nach Art. 2 II lit. d) DSGVO nicht die gesamte Justiz, sondern nur die Strafgerichte (Datenverarbeitung zur Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten oder Strafvollstreckung usw.). Die schwedische Vorlage zum EuGH war also ganz und gar berechtigt. Gleichzeitig ist klar: Die Entscheidung ist nur indirekt übertragbar auf Strafverfahren, aber unmittelbar relevant für die anderen Gerichtsbarkeiten (Arbeitsgerichte, Sozialgerichte ...). II. DIE AKTUELLE ENTSCHEIDUNG DES EUGH Entschieden hat der EuGH:2 2 EuGH, Urt. v. 2.3.2023 – C-268/21, BRAK-Mitt. 2023, 270 Ls. – Norra Stockholm Bygg (in diesem Heft). Wenn ein nationales Gericht im Prozessverlauf die Vorlegung von Urkunden verlangt und solche Urkunden personenbezogene Daten enthalten, muss das Gericht vorab prüfen, – ob die Verwendung der Daten für den konkreten Prozess wirklich notwendig ist, – ob die Datenverwendung in einem angemessenen Verhältnis zum Prozessgegenstand bleibt (anders formuliert: keine Verarbeitung hochsensibler und vertraulicher Daten Dritter beim Streit um 50 Euro), – ob sich das angestrebte Ziel (z.B. eine Beweisaufnahme) auf anderen Wegen ohne die Datenverarbeitung oder mit geringeren Eingriffen in Datenschutzrechte erreichen lässt, – ob und ggf. welche Schutzmaßnahmen für die im Prozess verwendeten personenbezogenen Daten zu treffen sind. Was der EuGH für das Gericht (und gerichtlich angeordnete Urkundenvorlage) entschied, muss grundsätzlich auch für die anderen Prozessteilnehmer – vor allem die Prozessparteien und deren Anwältinnen und Anwälte gelten. Sofern Prozessparteien „privat oder familiär“ agieren (z.B.: Scheidungsverfahren) gilt die DSGVO für sie nicht, für ihre Anwältinnen und Anwälte sehr wohl. III. DATENSCHUTZ ALS DRUCKINSTRUMENT IM PROZESS? Nachdem schon der Auskunftsanspruch gem. Art. 15 DSGVO3 3 Dazu Brisch/Rexin, BRAK-Mitt. 2021, 348; s. aber auch zu Auskunftsansprüchen des Mandanten gegen den Anwalt nach Art. 15 DSGVO Kolb, BRAK-Mitt. 2022, 64. in der anwaltlichen Praxis teils unerfreuliche Blüten treibt und als „kostenloses Druckinstrument“ z.B. in vielen Arbeitsgerichtsverfahren genutzt wird, könnten demnächst Streitlustige die Gegenseite in Gerichtsverfahren attackieren, weil Dokumente vollständig verwendet werden (ohne Schwärzung nicht prozessrelevanter Passagen). Auch insoweit hilft nur Augenmaß BRAK-MITTEILUNGEN 4/2023 AUFSÄTZE 222

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