und das Finden vernünftiger Kompromisse zwischen dem Ziel des Datenschutzes einerseits und dem Ziel effizienter Rechtsdurchsetzung andererseits. Der Weg dahin gestaltet sich wahrscheinlich mühsam. Das berechtigte Interesse der Prozessparteien an einer wirksamen Vertretung ihrer Positionen im Verfahren erlaubt ihnen (nach Art. 6 I 1 lit. f DSGVO), personenbezogene Daten Dritter (und des Prozessgegners)4 4 S. etwa den Fall des VG Wiesbaden, Urt. v. 19.1.2022 – 6 K 361/21.WI, BRAKMitt. 2022, 168, in dem der Kläger unter Berufung auf die DSGVO berechtigten gegnerischen Prozessvortrag (hier: von Gesundheitsdaten) zu unterbinden versuchte. zu nutzen. Rechtsgrundlage der Datenverarbeitung durch das Gericht ist Art. 6 I 1 lit. e DSGVO (die dem Gericht übertragene öffentliche Aufgabe der Prozessführung und Streitentscheidung). Der Slogan „Meine Daten gehören mir“ ist hier ebenso falsch wie sonst. Personenbezogene Daten sind Gegenstand der Kommunikation. Es geht nicht um ihren absoluten Schutz, sondern um die Gewährleistung menschlicher Selbstbestimmung in den Grenzen, die für ein soziales Zusammenleben notwendig sind. Es ist nicht der informationellen Selbstbestimmung des Prozessgegners überlassen, welche Daten er im Verfahren zu verwenden erlaubt (und welche nicht). Unterlegene oder sonst unzufriedene Verfahrensteilnehmer könnten durchaus versuchen, den Datenschutz als kostenlose „Retourkutsche“ zu missbrauchen. Dem ist nur zu begegnen durch eine überzeugende Abgrenzung zwischen Fällen wirklich unerlaubter Datenverwendung und dem Normalfall erlaubter Datennutzung für die Prozessführung – also seitens der Parteien: für die umfassende Vertretung der eigenen Rechtsinteressen. IV. ERLAUBTE VERWENDUNG PROZESSRELEVANTER DATEN Der EuGH hat in seiner Entscheidung selbst angesprochen, dass Art. 47 der Europäischen Grundrechtscharta den Anspruch jeder/jedes Einzelnen auf effektiven Rechtsschutz garantiert. 1. DIE BEDEUTUNG DES RECHTLICHEN GEHÖRS Mit diesem Anspruch untrennbar verbunden ist das uralte Prinzip des rechtlichen Gehörs: Niemand soll in Verfahren als Objekt behandelt werden, ohne die Chance zu erhalten, die eigene Sicht der Dinge zumindest den Entscheidern (dem Gericht) zur Kenntnis zu bringen. Dafür wiederum ist Voraussetzung, dass jede/r Prozessbeteiligte weiß, „worüber gesprochen wird“ (deshalb z.B.: Recht auf Akteneinsicht). Die Kenntnis personenbezogener Daten darf deshalb – mit ganz wenigen Ausnahmen – dem jeweiligen Prozessgegner nicht verwehrt werden, weil er diese Daten missbrauchen könnte. Ganz neu ist das nicht und auch Ausnahmen von diesem Prinzip sind schon lange bekannt: Wenn z.B. Prozessbeteiligte wegen fehlender Mittel beantragen, das Gerichts- und/oder Anwaltskosten (vorläufig) aus der Staatskasse getragen werden („Prozesskostenhilfe“), müssen sie Unterlagen zum eigenen Vermögen und Einkommen vorlegen. Gemäß § 117 II 2 ZPO dürfen diese „Erklärung und die Belege“ grundsätzlich „dem Gegner nur mit Zustimmung der Partei zugänglich gemacht werden“. Vor diesem Hintergrund und mit diesem Verständnis kann man die EuGH-Entscheidung als bloße Bestätigung längst gültiger Grundsätze betrachten:5 5 Vgl. zur Einordnung der Entscheidung auch Greger, MDR 2023, R89. Noch nie war es im Rechtstaat erlaubt, Prozessbeteiligten oder Dritten „ohne Not“, also ohne Bezug zum Gerichtsverfahren zu schaden, z.B. durch Verwendung und Bekanntgabe von Daten, die für den Prozess irrelevant sind, deren Bekanntwerden aber persönliche Risiken birgt. Schon immer war es in solchen Fällen Aufgabe und Pflicht des Gerichts, die Prozessbeteiligten und Dritte zu schützen, zuallererst durch entsprechende Verfahrens- und Kommunikationsführung, in Extremfällen auch durch Einschränkung der Öffentlichkeit des Verfahrens und/oder durch Ordnungsmittel. Solange (auch personenbezogene) Daten aber eine Prozessrelevanz besitzen, ist ihre Verwendung nur untersagt, wenn entgegenstehende Interessen der Betroffenen überwiegen. Prozessrelevanz ist nicht nur bei solchen Daten gegeben, die später in einer gerichtlichen Entscheidung verwendet werden. Ob es zu einer solchen Entscheidung überhaupt kommt und welche Rechtsauffassung das Gericht vertritt, ist fast nie sicher. Relevant sind deshalb alle Daten, bei denen eine Nutzung durch das Gericht (ggf. auch erst durch das Gericht einer folgenden Instanz) nicht ausgeschlossen werden kann. Anwältinnen und Anwälte haben (im Interesse ihrer Mandanten) verschiedene mögliche Entwicklungen des Verfahrens zu beachten. „Vorsorglicher“ Prozessvortrag gehört zum typischen und nötigen Werkzeug der Prozessführung. 2. TYPISCHE SITUATIONEN ERLAUBTER DATENVERWENDUNG IM PROZESS Beispielhaft ergibt sich für häufige, typische Situationen im Prozess: a) EXPLORATIVE ZEUGENBEFRAGUNG Was der EuGH für die Urkundenvorlage entschieden hat, gilt allgemein für jeden Beweis und (noch darüber hinaus) jede Verarbeitung personenbezogener Daten im Prozess. Bei Verarbeitung durch „öffentliche Stellen“ (ein Begriff, den die DSGVO nicht kennt, an dem die deutschen Datenschutz-Gesetzgeber aber leider festhalten) gelten die Datenschutzregeln für jede Datenverarbeitung, auch außerhalb von Automatisierung und Dateisystemen (vgl. § 1 I und VIII BDSG sowie die entWAGNER, KOMMUNIKATION IM GERICHTSVERFAHREN UND DATENSCHUTZ AUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 4/2023 223
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