zember 2020 (!) nicht gelungen, für seine anwaltliche Tätigkeit am häuslichen Arbeitsplatz mittels der Kanzleisoftware Dokumente elektronisch zu versenden. Von der Möglichkeit, ohne Verwendung der Software Schriftsätze direkt aus seinem beA zu verschicken, habe er erst nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist erfahren. Dass der Prozessbevollmächtigte mit dieser Begründung sein Verschulden nicht ausräumen konnte, liegt auf der Hand. Der BGH nützt den Sachverhalt aber, um das Verhältnis zwischen der Ersatzeinreichung nach § 130d S. 2 ZPO und der Wiedereinsetzung zu verdeutlichen. Für den Fall, dass die elektronische Übermittlung aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich ist, muss dies gem. § 130d S. 3 ZPO unverzüglich glaubhaft gemacht werden. Die Anforderungen an die Unverzüglichkeit der Glaubhaftmachung seien durch die BGH-Entscheidung vom 21.9.20226 6 BGH, Beschl. v. 21.9.2022 – XII ZB 264/22, NJW 2022, 3647 m. Anm. Red. geklärt, diese biete eine „richtungweisende Orientierungshilfe“. Ob mit Blick auf die Schilderungen überhaupt eine „technische Unmöglichkeit“ anzunehmen war, ließ der BGH dahinstehen; eine Stellungnahme nach zweieinhalb Wochen war jedenfalls nicht unverzüglich. Die nicht rechtzeitige Glaubhaftmachung schlägt dann auch auf die Wiedereinsetzung durch. Im entschiedenen Fall sah der Senat ein Verschulden schon darin, dass sich der Prozessbevollmächtigte nicht rechtzeitig mit der Nutzung eines funktionstüchtigen Übermittlungsweges vertraut gemacht und um die Möglichkeit einer elektronischen Übermittlung von seinem häuslichen Arbeitsplatz aus gekümmert hatte. Zudem hätte der Prozessbevollmächtigte den sichersten Weg gehen und vor einer eventuellen Ursachenforschung zunächst unverzüglich die vorübergehende technische Unmöglichkeit glaubhaft machen müssen. Die Ersatzeinreichung gem. § 130d S. 2 ZPO ist also quasi vorrangig; soweit die Möglichkeit besteht, muss diese auch genutzt werden. Man darf sich dann nicht (ausschließlich) mit dem Wiedereinsetzungsantrag retten. Auch diese Entscheidung zeigt wieder: Die Glaubhaftmachung der vorübergehenden Unmöglichkeit ist das A und O und sollte, wenn möglich, bereits gleichzeitig mit der Ersatzeinreichung erfolgen. (ju) WEITERLEITUNG ANS ZUSTÄNDIGE GERICHT 1. Hat der Prozessbevollmächtigte einer Partei die Anfertigung einer Rechtsmittelschrift seinem angestellten Büropersonal übertragen, ist er verpflichtet, das Arbeitsergebnis vor Absendung über das besondere elektronische Anwaltspostfach sorgfältig auf Vollständigkeit zu überprüfen. Dazu gehört auch die Überprüfung, ob das Rechtsmittelgericht richtig bezeichnet ist. 2. Geht ein fristwahrender Schriftsatz über das besondere elektronische Anwaltspostfach erst einen Tag vor Fristablauf beim unzuständigen Gericht ein, ist es den Gerichten regelmäßig nicht anzulasten, dass die Weiterleitung im ordentlichen Geschäftsgang nicht zum rechtzeitigen Eingang beim Rechtsmittelgericht geführt hat. BGH, Beschl. v. 26.1.2023 – I ZB 42/22, NJW 2023, 1969 Reicht eine Partei eine Rechtsmittelschrift beim unzuständigen Ausgangsgericht ein, so entspricht es regelmäßig dem ordentlichen Geschäftsgang, dass die Geschäftsstelle die richterliche Verfügung der Weiterleitung des Schriftsatzes an das Rechtsmittelgericht am darauffolgenden Werktag ausführt. Die Partei hat darzulegen und glaubhaft zu machen, dass sie wegen eines davon abweichenden üblichen Geschäftsgangs am Ausgangsgericht darauf vertrauen durfte, die richterliche Verfügung werde noch am selben Tag umgesetzt. BGH, Beschl. v. 20.4.2023 – I ZB 83/22 Bei versehentlicher Einreichung eines Schriftsatzes beim unzuständigen Gericht darf man darauf vertrauen, dass dieses den Schriftsatz an das zuständige Gericht weiterleitet. Erfolgt das nicht oder nicht in angemessener Zeit, kann die Prozesspartei eine Verletzung des Verfahrensgrundrechts auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes geltend machen. Die beiden Entscheidungen zeigen, dass sich an diesem Grundsatz im digitalen Zeitalter nichts wesentlich geändert hat. Nicht geändert hat sich im ersten Schritt, dass der verantwortliche Rechtsanwalt oder die verantwortliche Rechtsanwältin vor Signierung bzw. Versendung aus dem eigenen beA selbst prüfen muss, ob das zuständige Gericht im Schriftsatz bezeichnet ist. Eine Delegation dieser Prüfung an Personal ist weiterhin nicht zulässig. Im Fall I ZB 42/22 machte der Prozessbevollmächtigte geltend, das (adressierte unzuständige) Landgericht und das (zuständige) OLG Frankfurt hätten eine zentrale gemeinsame Posteingangsstelle, sodass der Schriftsatz ohnehin fristgerecht eingegangen sei. Abgesehen davon, dass dies auch bei analoger Briefpost schon nicht ausreichte – auch dort musste das zuständige Gericht bezeichnet sein7 7 BGH, Beschl. v. 18.2.1997 – VI ZB 28/96, NJW-RR 1997, 892; speziell zu Frankfurt: OLG Frankfurt, NStZ-RR 2000, 212. – gibt es beim beA ohnehin keine „gemeinsame Eingangsstelle“ mehr, sondern jedes Gericht hat seine eigene Schnittstelle zum Justizserver. Ist der Schriftsatz – vom Anwalt verschuldet – beim unzuständigen Gericht eingegangen, muss dieses „im ordnungsgemäßen Geschäftsgang“ an das zuständige Gericht weiterleiten. Wird die Frist verpasst, muss die eine Wiedereinsetzung begehrende Partei darlegen und glaubhaft machen, dass ihr Schriftsatz im normalen ordnungsgemäßen Geschäftsgang fristgerecht an das zuständige Rechtsmittelgericht hätte weitergeleitet werden können.8 8 BGH, Beschl. v. 8.2.2012 – XII ZB 165/11, NJW 2012, 1591. JUNGK/CHAB/GRAMS, PFLICHTEN UND HAFTUNG DES ANWALTS – EINE RECHTSPRECHUNGSÜBERSICHT BRAK-MITTEILUNGEN 4/2023 AUFSÄTZE 236
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