Nach der Rechtsprechung des BGH führen fehlerhafte Rechtsbehelfsbelehrungen nur in sehr begrenzten Ausnahmefällen zu einer erfolgreichen Wiedereinsetzung. Hier ging es um eine Zwischenentscheidung in einem erbrechtlichen Verfahren. Das Gericht hatte der Entscheidung den Hinweis beigefügt, dass der Beschluss mit der Beschwerde binnen eines Monats angefochten werden könne. Darauf verließ sich der Beschwerdeführer, selbst Rechtsanwalt und auch anwaltlich vertreten. Richtig wäre aber eine sofortige Beschwerde und damit eine Frist von zwei Wochen gewesen. Der IV. Zivilsenat erläutert, dass zwar § 17 II FamFG das fehlende Verschulden an der Fristversäumung bei fehlerhaften Rechtsbehelfsbelehrungen vermute. Bei der Regelung des § 21 II FamFG, mit seiner Verweisung auf §§ 567 ff. ZPO handele es sich aber um Vorschriften, die dem Rechtsanwalt bekannt sein müssten, und zwar unabhängig von einer fachanwaltlichen Ausrichtung. Damit liege kein unvermeidbarer oder zumindest nachvollziehbarer und verständlicher Rechtsirrtum vor. Dies könne dann der Fall sein, wenn das Nachlassgericht oder das Beschwerdegericht die Beteiligten durch nachfolgende Sachbehandlung in ihrem Irrtum über die korrekte Frist bestärkten oder die Anwendung der Vorschriften über das jeweilige Rechtsmittel umstritten und nicht ohne die Einsichtnahme in entsprechende Kommentarliteratur zu klären sei.12 12 In solchen Fällen hatte das BVerfG, Beschl. v. 4.9.2020 – 1 BvR 2427/19 (BRAKMitt. 2021, 162) das Gebot des fairen Verfahrens als verletzt angesehen, wenn man die Auffassung vertritt, dass der Anwalt auch hier kein Vertrauen für sich in Anspruch nehmen kann. Vorliegend hätten sich die richtigen Fristen aber eindeutig und unmittelbar aus dem Gesetz ergeben. Dass es sich hier bei der betroffenen Partei selbst um einen Anwalt handelte, sollte für die Entscheidung keine Rolle spielen, wenn er anwaltlich vertreten ist. Dann kommt es nur auf den Prozessbevollmächtigten an. Daher ist nicht ganz klar, warum der BGH diesen Umstand überhaupt explizit erwähnt, zumal im nachfolgend besprochenen Fall sogar der Prozessbevollmächtigte in seinem Vertrauen auf eine falsche Rechtsbehelfsbelehrung geschützt wird, der das eigentliche familienrechtliche Verfahren nicht führt, sondern lediglich ein damit zusammenhängendes sozialrechtliches Verfahren. (bc) Die Vermutung fehlenden Verschuldens, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist, entfällt im Falle der Vertretung durch einen Rechtsanwalt nur dann, wenn sich das anwaltliche Mandat auf die Angelegenheit bezieht (Abgrenzung zu Senat, NJW-RR 2010, 1297 = FamRZ 2010, 1425 und NJW 2021, 784 = FamRZ 2021, 444). BGH, Beschl. v. 1.3.2023 – XII ZB 18/22, NJW-RR 2023, 705 Dieser Beschluss erfolgte zeitlich etwas früher als der zuvor besprochene Beschluss des IV. Zivilsenats, so dass eine Erwähnung im Leitsatz noch nicht erfolgen konnte. Die Abgrenzung, in welchen Fällen sich wer auf eine Rechtsbehelfsbelehrung ohne weitere Prüfung verlassen darf und wer nicht, wird damit noch einmal deutlicher. Das Verfahren betraf eine „Totalrevision“ nach § 51 I VersAusglG. Beim Antragsteller handelte es sich um den ersten Ehemann der inzwischen verstorbenen früheren Ehefrau, die anschließend noch einmal heiratete. Beteiligt an dem Verfahren wurde auch der zweite Ehemann, der nach dem Tod der Frau eine große Witwerrente bezog und auf dessen Rentenansprüche sich die angestrebte Totalrevision hätte auswirken können. Diesem wurde aber der hier interessierende Beschluss nicht zugestellt. Er erhielt erst Kenntnis durch Akteneinsicht; diese nahm sein Anwalt, den er im sozialrechtlichen Widerspruchsverfahren gegen den vom Versorgungsträger abgeänderten Rentenbescheid mandatiert hatte. Die Rechtsbehelfsbelehrung zum familienrechtlichen Beschluss war insofern unvollständig, als nicht erkennbar war, ab welchem Zeitpunkt die Frist zu laufen begann. Dem Antragsteller wurde zugutegehalten, dass sein Bevollmächtigter nur im sozialrechtlichen Verfahren, nicht im familienrechtlichen Verfahren, mandatiert war, obgleich ein sachlicher Bezug gegeben war. Ohne ausdrückliche Auftragserweiterung handele es sich um ein nicht vom bestehenden Mandat erfassten Gegenstand, was wiederum dazu führe, dass hier die Vermutung, dass der Belehrungsmangel kausal für den Rechtsirrtum war, nicht widerlegt sei. Wiedereinsetzung wurde also durch den BGH entgegen der Entscheidung des OLG gewährt. Die Begründung dieser Entscheidung erinnert an die Haftungsentscheidung des IX. Zivilsenats zu Warnpflichten des Anwalts außerhalb des Mandats.13 13 BGH, NJW 2018, 2476. Auch dort wurde der nur für sozialrechtliche Fragen eingeschalteten Anwältin zugebilligt, über arbeitsrechtliche Fragen außerhalb des Mandatsgegenstands nicht belehren zu müssen. (bc) BRAK-MITTEILUNGEN 4/2023 AUFSÄTZE 238
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