BRAK-Mitteilungen 4/2023

geschuldete Arbeitsleistung anzusehen ist (vgl. BSG, Urt. v. 14.5.1981 – 12 RK 11/80 Rn. 43; vgl. auch BGH, Urt. v. 18.7.2019 – 5 StR 649/18 Rn. 26). [14] b) Nach diesen Grundsätzen tragen die Feststellungen die Wertung des LG, dass zwischen dem Angeklagten und den zwölf im Urteil näher bezeichneten Rechtsanwälte sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse bestanden. Die vertraglichen Vereinbarungen, insb. aber die tatsächlichen Gegebenheiten der „gelebten Beziehung“ und das Fehlen jedweden unternehmerischen Risikos belegen, dass die Rechtsanwälte ihre Tätigkeit nicht als selbstständige freie Mitarbeiter, sondern als abhängig Beschäftigte ausübten; einer weiteren Abgrenzung zu den in § 2 S. 1 Nr. 9 SGB VI geregelten arbeitnehmerähnlichen Personen bedurfte es nicht. [15] aa) Ausgehend von den vertraglichen Vereinba- „Mitarbeitervertrag” rungen hat das LG ohne Rechtsfehler zunächst als Beleg für eine abhängige Beschäftigung herangezogen, dass die Rechtsanwälte dem Angeklagten nach dem „Mitarbeitervertrag“ als Gegenleistung für ein fest vereinbartes Jahreshonorar ihre ganze Arbeitskraft (etwa bei voller Arbeitsleistung 40 bis 60 Stunden/Woche) zur Verfügung stellen mussten. Zudem hat es insoweit berücksichtigt, dass die Möglichkeit der Beschäftigung eigenen Personals, der Bearbeitung von Mandaten außerhalb der Kanzlei und der Werbung in eigener Sache – als für eine Selbstständigkeit sprechende Umstände von Gewicht – durch die in fast allen Fällen geschlossene Zusatzvereinbarung und die vereinbarten dort Zustimmungserfordernisse faktisch wieder ausgehebelt wurden (UA S. 245 f.). [16] bb) Auch die tatsächlichen Gegebenheiten, auf die das LG im Rahmen seiner Gesamtbewertung maßgeblich abstellt, erlauben die Bewertung, dass die Tätigkeit der zwölf Rechtsanwälte als abhängige Beschäftigung einzuordnen ist. Die festgestellte Weisungsgebundenheit der Rechtsanwälte ging deutlich über das sich aus Sachgegebenheiten und -zwängen ergebende Maß hinaus. Zutreffend hat das LG insoweit in seine Wertung eingestellt, dass dem Angeklagten hinsichtlich aller zwölf Rechtsanwälte ein von ihm ausgeübtes Weisungsrecht zustand, mit dem er Arbeitszeiten, Ort sowie Art und Inhalt der Tätigkeit der Rechtsanwälte bestimmen konnte. Etwa legte der Angeklagte konkret fest, dass die Rechtsanwälte, sofern nicht durch Gerichts- oder Mandantentermine verhindert, während des Kanzleibetriebs vor Ort sein mussten, sie ihre Abwesenheiten einzutragen hatten und ihre Urlaubszeiten mit ihm abstimmen mussten. Er entschied zudem, wer welche Termine wahrzunehmen hatte (UA S. 250 ff.). Zutreffend hat das LG auch in den Blick genommen, dass der Angeklagte nicht nur Erwartungen äußerte, sondern an die Einhaltung der Anwesenheitspflicht anlassbezogen erinnerte und Fehlzeiten beanstandete (UA S. 250) und mithin im Ergebnis Weisungen erteilte (vgl. BAG, Urt. v. 27.6. 2017 – 9 AZR 851/16 Rn. 31). [17] Weitergehend konnte das LG seine Wertung im ErEingliederung in den Kanzleibetrieb gebnis auch auf die Eingliederung der zwölf Rechtsanwälte in den Kanzleibetrieb stützen und insoweit auf die Vorgaben des Angeklagten abstellen, nach der diese während der regulären Bürozeiten grundsätzlich anwesend zu sein hatten (UA S. 256). Entgegen der Wertung des LG indiziert zwar der Umstand, dass die Rechtsanwälte ohne Kostenbeteiligung in den Kanzleiräumlichkeiten ein eigenes Büro gestellt bekamen, die bereits aufgebaute Kanzleiinfrastruktur nutzen und sich namentlich des kanzleieigenen Personals bedienen konnten (UA S. 256 f.), für sich genommen nicht eine Eingliederung in die Kanzlei. Denn auch freie Mitarbeiter müssen sich der sachlichen und personellen Ausstattung der Kanzlei bedienen können, ohne dabei, wie in der in § 59q BRAO geregelte Bürogemeinschaft von Rechtsanwälten üblich, an den Kosten beteiligt zu werden. Auch soweit das LG ergänzend darauf abgestellt hat, dass sich eine Eingliederung aus der Zuteilung der Mandate über das Sekretariat nach den Fachgebieten der Rechtsanwälte ergebe (UA S. 256), ist darin kein zwingendes Indiz für eine abhängige Beschäftigung zu sehen; denn die Zuweisung eines bestimmten Auftrags durch den Auftraggeber kann gleichfalls Teil der selbstständigen Berufsausübung sein. Jedoch hat das LG die vorgenannten Aspekte nicht isoliert bewertet, sondern zu den Gesamtumständen in Beziehung gesetzt. Insbesondere unter ergänzender Berücksichtigung der vom LG festgestellten und vom Angeklagten eingeforderten Anwesenheitszeiten begegnet die tatrichterliche Gesamtabwägung nach alledem keinen durchgreifenden Bedenken. [18] cc) Vor allem durfte das LG seine Wertung rechtskein Unternehmerrisiko fehlerfrei mit dem für die höheren Dienste zentralen Kriterium des Unternehmerrisikos, das hier fehlte, und der Art der Vergütung begründen. Es hat zutreffend insoweit darauf abgestellt, dass der Angeklagte den Rechtsanwälten für ihre volle Arbeitskraft faktisch ein festes Jahresgehalt auszahlte, dessen Höhe gänzlich unabhängig vom Gewinn und Verlust der Kanzlei und – insbesondere – der von ihnen erbrachten Arbeitsleistung war (UA S. 259 ff.). Weder hatten die Rechtsanwälte eigenes Kapital noch die eigene Arbeitskraft mit der Gefahr des Verlustes einzusetzen, so dass es an den maßgeblichen Kriterien für ein unternehmerisches Risiko fehlte (vgl. BSG, Urt. v. 28.5.2008 – B 12 KR 13/07 R Rn. 27). Dass das LG aus dem Fehlen eigenen Unternehmerrisikos und der fest vereinbarten Vergütung mögliche Rückschlüsse auf die rechtliche Natur des Arbeitseinsatzes als abhängige Beschäftigung gezogen hat, ist rechtlich zutreffend und auch geboten, zumal es den Rechtsanwälten nach den Feststellungen zeitlich nicht möglich war, für andere Auftraggeber tätig zu sein (UA S. 264). Die bloße Möglichkeit der Kündigung der geschlossenen Verträge durch den Angeklagten BERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG BRAK-MITTEILUNGEN 4/2023 273

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