Mithin kam es nur noch darauf an, ob das konkrete Mandat Anlass zu Hinweisen und Warnungen betreffend die mögliche Insolvenz gab; auch Kausalität und Mitverschulden seien ggf. noch zu prüfen. Zu diesen Fragen hat der BGH zurückverwiesen. (ju) VERJÄHRUNGSHEMMUNG BEI RUHEN DES VERFAHRENS Für das Vorliegen einer anwaltlichen Pflichtverletzung wegen Verjährung eines Anspruchs ist die Beurteilung des Regressgerichts zur Verjährungsfrage maßgeblich, auch wenn das Gericht im Vorprozess die Verjährung gegenteilig beurteilt hat. (eigener Ls.) Hanseatisches OLG Bremen, Urt. v. 9.6.2023 – 4 U 35/22 (n.rkr.) Verjährungsfragen sind unter Haftungsgesichtspunkten spannend, denn häufig geht es nicht nur um die Berechnung der gesetzlichen Frist, sondern auch um verjährungshemmende Umstände. Ob und für welchen Zeitraum diese vorliegen, ist sachlich und rechtlich oft nicht so eindeutig, sodass den damit verbundenen Unsicherheitsfaktoren Rechnung getragen werden muss. Gar nicht so selten führen die Beurteilungen durch den Anspruchsgegner, den eigenen Anwalt oder das Gericht bzw. verschiedene Instanzgerichte zu unterschiedlichen Ergebnissen. Im Verhältnis zwischen den Prozessparteien „gilt“ natürlich dann die Auffassung der letzten Instanz. Ob eine für den Mandanten ungünstige Entscheidung dem Anwalt anzulasten ist, ist jedoch eine andere Frage. Hier ging es im Vorprozess um Zugewinnausgleichsansprüche. Beide Ehegatten erhoben kurz vor Ablauf der Verjährungsfrist jeweils eine Klage – die Ehefrau als Stufenklage beim AG Mannheim, der Ehemann eine bezifferte Klage beim AG Delmenhorst. Nach einigem Verweisungs-Hin-und-Her bestimmte das OLG Oldenburg das AG Delmenhorst als zuständiges Gericht für die Klage des Ehemannes; die Klage der Ehefrau verblieb beim AG Mannheim. Das AG Delmenhorst schlug daraufhin den Parteien am 19.11.2007 das Ruhen des Verfahrens vor, da ansonsten in beiden Verfahren jeweils kostenaufwändige Sachverständigengutachten über mehrere Immobilien einzuholen wären, und den Ausgang des Verfahrens in Mannheim abzuwarten. Die Anwältin des klagenden Ehemannes beantragte daraufhin das Ruhen des Verfahrens, die frühere Ehefrau stimmte dem zu, mit Beschluss vom 14.1.2008 ordnete das AG Delmenhorst das Ruhen des Verfahren „bis zum Abschluss des Parallelverfahrens in Mannheim“ an. Dort erging am 5.9.2008 ein Teilurteil auf Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung des Ehemannes zu seinem Anfangs- und Endvermögen. Diese gab er am 20.10.2008 ab. Nachdem die Ehefrau sodann nicht in die Leistungsklage überging, beantragte die Rechtsanwältin für den Ehemann beim AG Delmenhorst die Wiederaufnahme des Verfahrens. Die Ehefrau erhob die Einrede der Verjährung. Der zunächst zuständige Richter vor dem AG Delmenhorst verneinte die Verjährung und führte in der Folge mehrere Beweisaufnahmen durch. Nach einem Dezernentenwechsel vertraten dann erst das AG Delmenhorst, danach auch das OLG Oldenburg die Auffassung, der Zugewinnausgleichsanspruch des klagenden Ehemannes sei verjährt, weil nach dem Beschluss des AG Delmenhorst vom 14.1. 2008 das Verfahren zum Stillstand gekommen und nicht rechtzeitig innerhalb der Sechs-Monats-Frist des § 204 II 2 BGB weiterbetrieben worden sei. Ein „triftiger Grund“ für die Inaktivität der Parteien habe nicht vorgelegen. Der Ehemann verlangte nun im Rahmen einer Haftpflichtklage gegen seine Anwältin Schadensersatz in Höhe des verjährten Zugewinnausgleichsanspruchs. Das LG Bremen gab dem statt. Die beklagte Anwältin hätte in Betracht ziehen müssen, dass das durch den Beschluss des AG Delmenhorst vom 14.1.2008 angeordnete Ruhen des Verfahrens ein Ende der Verjährungshemmung zur Folge hatte, weil insb. kein triftiger Grund vorlag. Dementsprechend wäre es ihre Pflicht und der sicherste Weg gewesen, das Verfahren rechtzeitig weiter zu betreiben. Das sieht das OLG Bremen nun zu Recht anders: Im ersten Schritt beurteilt es die Ausgangsfrage des Verjährungseintritts anders. Es sieht – mit einer sehr ausführlichen und überzeugenden Begründung – nämlich durchaus einen triftigen Grund, das Verfahren vor dem AG Delmenhorst vorübergehend nicht zu betreiben, weil es zum einen aus prozessökonomischer Sicht absolut sinnvoll war, nur eines der Verfahren aktiv zu betreiben, insb. aber auch, weil sowohl im Beschluss des AG Delmenhorst vom 14.1.2008 als auch auf der dazu erlassenen Begleitverfügung der rechtskräftige Abschluss des Mannheimer Verfahrens als zeitliche Grenze ausdrücklich benannt wurden. Entscheidend für die Haftung ist der zweite Schritt, den das OLG Bremen geht: Da nach Ansicht des Senats gar keine Verjährung eingetreten war und es insoweit auf die Beurteilung des Senats als Regressgericht ankomme, könne auch keine Pflichtverletzung der Beklagten gesehen werden – auch nicht unter dem Aspekt, nicht den sichersten Weg gegangen zu sein. Das ist richtig, denn die Anforderungen der Rechtsprechung, im Verhältnis zu den Gerichten den „sichersten Weg“ zu beschreiten, bezieht sich darauf, dass der Anwalt Irrtümern und Versehen des Gerichts entgegenwirken muss. Sofern – wie hier – alle Argumente vorgetragen werden und der Rechtsweg ausgeschöpft wird, kann eine unzutreffende Beurteilung durch das Gericht nicht dem Anwalt zugerechnet werden, sondern liegt im allgemeinen Prozessrisiko der Prozesspartei. Welche Auffassung „falsch“ oder „richtig“ ist, lässt sich nicht allgemein und objektiv bestimmen, ein rechtskräftiges Urteil ist eben als „richtig“ anzusehen. Das kann dazu führen, dass im Regressprozess eine andere Beurteilung derselben Rechtsfrage erfolgt als im Vorprozess. Für den Regressprozess ist aber die Auffassung des Regressgerichts maßgeblich. JUNGK/CHAB/GRAMS, PFLICHTEN UND HAFTUNG DES ANWALTS - EINE RECHTSPRECHUNGSÜBERSICHT BRAK-MITTEILUNGEN 5/2023 AUFSÄTZE 296
RkJQdWJsaXNoZXIy ODUyNDI0