Das OLG hat zur Frage der Verjährung in der vorliegenden Konstellation aufgrund der abweichenden Entscheidung des OLG Oldenburg im Vorprozess die Revision zugelassen. (ju) ANSCHEINSBEWEIS FÜR BERATUNGSGERECHTES VERHALTEN Schuldet ein Notar einen bestimmten Rat, Hinweis oder eine bestimmte Warnung, so spricht der erste Anschein dafür, dass die Beteiligten dem gefolgt wären. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass bei ordnungsgemäßem Verhalten nach der Lebenserfahrung lediglich ein bestimmtes Verhalten nahegelegen hätte oder sämtliche vernünftigen Verhaltensmöglichkeiten identische Schadensbilder ergeben hätten. Besteht dagegen nicht nur eine einzige verständige Entschlussmöglichkeit, sondern kommen verschiedene Handlungsweisen ernsthaft in Betracht und bergen sämtliche gewisse Risiken in sich, ist für einen Anscheinsbeweis kein Raum (Bestätigung von Senat, Urt. v. 10.7.2008 – III ZR 292/07, WM 2008, 1753 Rn. 14; Übernahme von BGH, Urt. v. 16.9.2021 – IX ZR 165/19, NJW 2021, 3324 Rn. 36 m.w.N. für die Notarhaftung; Abgrenzung von BGH, Urt. v. 8.5.2012 – XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159 und v. 15.7.2016 – V ZR 168/15, BGHZ 211, 216). BGH, Urt. v. 15.6.2023 – III ZR 44/22, WM 2023, 1450 – VersR 2023, 1111 Die Anscheinsbeweisregel, dass sich der Mandant bei richtiger und vollständiger Beratung auch tatsächlich dementsprechend verhalten hätte, wird von den Instanzgerichten bisweilen unsauber gehandhabt. Hier lag das OLG Hamm als Berufungsgericht allerdings richtig, der BGH bestätigte das Berufungsurteil. Es handelt sich um einen Schadenersatzprozess gegen einen Notar. Die Klägerin wollte ein Einfamilienhaus erwerben und zusammen mit ihrem Lebensgefährten bewohnen. Nach Verwicklungen, die hier nicht von entscheidender Bedeutung sind, kaufte sie schließlich mit durch den beklagten Notar im Jahr 2013 beurkundetem Kaufvertrag ein Erbbaurecht. Erbbaurechtberechtigte waren zu diesem Zeitpunkt unbekannte Erben, die bei Abschluss der notariellen Vereinbarung durch einen Nachlasspfleger vertreten waren. Der Notar unterließ es allerdings, den Erbbaurechtsvertrag selbst zur Beurkundung beizuziehen, so dass er die Klägerin auch nicht auf ein Heimfallrecht aufmerksam machen konnte, das in diesem Vertrag geregelt war. Diesen Heimfallanspruch machten die Eigentümer im Jahr 2017 mit der Begründung geltend, Instandhaltungspflichten seien verletzt worden. Die Klägerin begehrte daraufhin die Feststellung, dass der Notar zum Ersatz der Schäden verpflichtet werde, die ihr im Zusammenhang mit dem Abschluss des Kaufvertrags über das Erbbaurecht entstanden sind bzw. entstehen. Sie trägt vor, dass sie den Vertrag bei Kenntnis des Erbbauvertrags und des Heimfallanspruchs gar nicht erst abgeschlossen hätte. Das Berufungsgericht und der III. Zivilsenat des BGH waren zunächst darin einig, dass der Notar den Erbbaurechtsvertrag vor Beurkundung hätte anfordern und auf seine Relevanz hin prüfen müssen. Darin wurde eine Amtspflichtverletzung gesehen; die Revision stellte dies auch nicht mehr in Frage. Der BGH bestätigte im Übrigen, dass die Anscheinsbeweisregel des beratungsgerechten Verhaltens hier nicht zur Anwendung kommen konnte. Darauf könne sich der Geschädigte nämlich nicht berufen, wenn es mehrere naheliegende Handlungsmöglichkeiten gebe. Vorliegend wäre es ebenso sinnvoll gewesen, den Vertrag trotz der Regelungen im Erbbaurechtsvertrag abzuschließen. In diesem Fall bleibt die volle Beweislast dafür, wie sich der Geschädigte verhalten hätte, bei diesem, es sei denn, er kann für sämtliche Handlungsalternativen identische Schadensbilder nachweisen. Damit bestätigt der III. Zivilsenat für die Notarhaftung (weiterhin) die ständige Rechtsprechung des IX. Zivilsenats zur Anwaltshaftung im Zusammenhang mit diesem Problemkreis.4 4 Zuletzt BGH, NJW 2021, 3324 zur Frage der Beratung über die Prozessaussichten bei rechtsschutzversicherten Mandanten. Anders als der XI. Zivilsenat für den Bereich der Kapitalanlagen und auch der V. Zivilsenat bei Immobilienvermittlungen5 5 BGH, WM 2016, 2344. hält der III., für die Notarhaftung zuständige Senat an den Überlegungen fest, dass nur mit diesen Regelungen eine angemessene Risikoverteilung sichergestellt werde. Wie in der Rechts- und Steuerberaterhaftung so seien auch Notarhaftungsfälle häufig so sehr durch die besonderen Umstände des Einzelfalls geprägt, dass erst deren Einbeziehung erkennen lasse, ob Raum für entsprechende Vermutungen eröffnet sei. Ein Notar handele bei der Erfüllung seiner Pflichten nicht in eigenem Interesse und es könne auch nicht pauschal unterstellt werden, dass die Erfüllung der Informationspflichten unbedingt dazu geführt hätte, dass die Beteiligten das entsprechende Geschäft nicht abgeschlossen hätten. Die Informationspflichten seien bei Notaren ebenso heterogen wie bei Anwälten oder Steuerberatern, so dass man auch dem Notar nicht den Nachweis solcher Umstände aufbürde dürfe, die überwiegend im Einflussund Kenntnisbereich der Beteiligten lägen. Damit hält der III. Zivilsenat zu Recht und mit nachvollziehbarer Begründung an den bisherigen Einschränkungen für die Annahme des beratungsgerechten Verhaltens fest. Es ist allerdings derzeit kaum wahrscheinlich, dass der XI. Zivilsenat seine Rechtsprechung zur Kapitalanlageberatung an dieser Stelle noch einmal überdenken wird. (bc) BEWEISLAST FÜR KAUSALEN SCHADEN Auch bei einer objektiv falschen Beratung des Mandanten über das Kostenrisiko (hier: Höhe der Prozesskosten) einer risikobehafteten Klage liegt im Regelfall kein Anscheinsbeweis zugunsten des ManAUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 5/2023 297
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