[33] 2. Die in § 206 I und § 207 I BRAO bestimmte Voraussetzung der Zugehörigkeit zu einem dem Rechtsanwalt nach der Bundesrechtsanwaltsordnung i.S.v. § 206 II BRAO entsprechenden Beruf und der Vorlage einer Bescheinigung der zuständigen Behörde des Herkunftsstaates über die Zugehörigkeit zu dem Beruf ist nicht verfassungswidrig. Sie verstößt insb. nicht gegen Art. 2 I, 12 I und 16a GG. Dementsprechend besteht keine Veranlassung, gem. Art. 100 I 1 GG das Verfahren auszusetzen und eine Entscheidung des BVerfG einzuholen. [34] a) Der AGH hat zutreffend ausgeführt, dass sich der Kl. als ausländischer Staatsangehöriger nicht auf das allen Deutschen garantierte Grundrecht der Berufsfreiheit nach Art. 12 I GG berufen kann. Dies erkennt auch der Kl. an. [35] b) Die in § 206 I und § 207 I BRAO für die Niederlassung als ausländischer Rechtsanwalt bestimmte Voraussetzung der Zugehörigkeit zu einem dem Rechtsanwalt nach der Bundesrechtsanwaltsordnung i.S.v. § 206 II BRAO entsprechenden Beruf und der Vorlage einer Bescheinigung der zuständigen Behörde des Herkunftsstaates über die Zugehörigkeit zu dem Beruf ist mit der durch Art. 2 I GG geschützten allgemeinen Handlungsfreiheit des Kl. vereinbar. [36] aa) Die Unanwendbarkeit des Art. 12 I GG auf AusArt. 12GG unanwendbar länder bedeutet nicht, dass die Verfassung sie in diesem Bereich schutzlos lässt. Der systemgerechte Ansatz liegt vielmehr bei dem subsidiären allgemeinen Freiheitsrecht des Art. 2 I GG (BVerfG, NJW 1988, 2290, 2291; NJW 2002, 663). Das darf indes nicht so verstanden werden, dass der Nichtdeutsche, dem die Berufung auf die Berufsfreiheit verwehrt ist, denselben Schutz über Art. 2 I GG beanspruchen könnte. Eine solche Auffassung ließe das Spezialitätsverhältnis zwischen Art. 12 I und Art. 2 I GG außer Acht. Das allgemeine Freiheitsrecht ist insoweit nur anwendbar, als es im Rahmen der in ihm geregelten Schranken die Handlungsfreiheit gewährleistet. Zur verfassungsmäßigen Ordnung i.S.d. Grundrechts gehört jede Rechtsnorm, die formell und materiell mit der Verfassung im Einklang steht (BVerfG, NJW 1988, 2290, 2291; zur Angleichung des Schutzniveaus des Art. 2 I GG an dasjenige des Art. 12 I GG im Falle von Bürgern und juristischen Personen von Mitgliedstaaten der Europäischen Union vergleiche allerdings BVerfG, NJW 2016, 1436 Rn. 11 f.). [37] bb) Die in § 206 I und § 207 I BRAO für die Niederlassung als ausländischer Rechtsanwalt bestimmte Voraussetzung der Zugehörigkeit zu einem dem Rechtsanwalt nach der Bundesrechtsanwaltsordnung i.S.v. § 206 II BRAO entsprechenden Beruf und der Vorlage einer Bescheinigung der zuständigen Behörde des Herkunftsstaates über die Zugehörigkeit zu dem Beruf stellt einen Eingriff in das für den Kl. subsidiär eingreifende Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 I GG dar. [38] Das Grundrecht schützt die Handlungsfreiheit grundsätzlich im umfassenden Sinne; geschützt wird jedes menschliche Verhalten. Da nach der Art der geschützten Tätigkeit nicht differenziert wird, sind von Art. 2 I GG auch berufliche Tätigkeiten erfasst (BVerfGE 113, 29, 45; vgl. auch BVerfGE 80, 137, 152). [39] (1) Der Schutzbereich des Art. 2 I GG ist allerdings vorliegend nicht eröffnet, soweit der Kl. explizit als türkischer Rechtsanwalt (Avukat) zugelassen werden will. [40] (a) Der Kl. gehört diesem Beruf – wie ausgeführt – gegenwärtig nicht an. Eine Tätigkeit als türkischer Rechtsanwalt könnte er in Deutschland nur entfalten, wenn er die Zugehörigkeit, das heißt die Zulassung zu diesem Beruf zuvor neu erlangen würde. Da dies nach dem unstreitigen Vortrag des Kl. in der Türkei mangels dortiger wohnrechtlicher Meldung nicht möglich ist, kommt eine erneute Zulassung zu dem Beruf des türkischen Rechtsanwalts nur durch deutsche staatliche Institutionen in Betracht. Ob der Anspruch auf eine solche staatliche Leistung von dem Schutzbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit umfasst ist, erscheint bereits in Anbetracht des Charakters dieses Grundrechts als typisches Abwehrrecht fraglich (zu Art. 2 I GG als typischem Freiheits- und Abwehrrecht sowie zu der gebotenen Zurückhaltung hinsichtlich der Ableitung von Leistungsansprüchen aus den als Abwehrrechten formulierten Grundrechten vgl. Di Fabio, in Dürig/Herzog/ Scholz, Grundgesetz-Kommentar, Art. 2 Rn. 48, 57 (Stand: September 2022)). Jedenfalls aber ist der Schutzbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit im Hinblick auf eine – konstitutive – (erneute) Zulassung des Kl. zu dem Beruf des türkischen Rechtsanwalts deshalb nicht eröffnet, weil eine solche Maßnahme dem deutschen Staat und damit auch der Bekl. nicht möglich ist (vgl. § 62 I BRAO zur RAK als Körperschaft des öffentlichen Rechts). [41] Durch Auslegung der entsprechenden Grundrechtsnorm ist festzustellen, ob sie nach Wortlaut, Sinn und Zweck für jede denkbare Anwendung hoheitlicher Gewalt innerhalb der Bundesrepublik gelten will oder ob sie bei Sachverhalten mit mehr oder weniger intensiver Auslandsbeziehung eine Differenzierung zulässt oder verlangt. Die Reichweite der Grundrechte ist aus der Verfassung selbst zu bestimmen, wobei die Grundhaltung der Verfassung, dass andere Staaten als gleichberechtigte Glieder der Völkerrechtsgemeinschaft anerkannt werden und deren eigenständige Rechtsordnung respektiert wird, zu berücksichtigen ist (vgl. BVerfGE 31, 58, 75 ff.). [42] Die Zulassung als ausländischer Rechtsanwalt, hier: als türkischer Avukat, verleiht dem vorliegenden Sachverhalt einen starken Auslandsbezug. Erfolgte sie in Deutschland in Bezug auf Personen, die diesem Beruf nicht (mehr) angehören – sei es durch einen ausdrücklichen Verwaltungsakt, sei es durch die Einbeziehung eines Anspruchs auf Zulassung zu dieser Tätigkeit in den Schutzbereich des Art. 2 IGG –, wäre dies ein unmittelbarer Eingriff in die staatliche Souveränitäts- und BERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG BRAK-MITTEILUNGEN 5/2023 317
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