BRAK-Mitteilungen 5/2023

[54] (aa) Der Gesetzgeber verfügt bei der Einschätzung der Erforderlichkeit ebenfalls über einen Beurteilungsund Prognosespielraum. Daher können Maßnahmen, die er zum Schutz eines wichtigen Gemeinschaftsguts für erforderlich hält, verfassungsrechtlich nur beanstandet werden, wenn nach den ihm bekannten Tatsachen und im Hinblick auf die bisher gemachten Erfahrungen feststellbar ist, dass Regelungen, die als Alternativen in Betracht kommen, die gleiche Wirksamkeit versprechen, die Betroffenen aber weniger belasten (BVerfGE 116, 202, 225 m.w.N.). [55] (bb) Das Gesetz eröffnet ausländischen Juristen, alterntive Möglichkeiten für Rechtsdienstleistungen deren Herkunftsstaat nicht einer der in § 206 II 1 Nr. 1 bis 3 BRAO genannten Staaten ist, zwei Wege zur Erbringung von Rechtsdienstleistungen in Deutschland. Zum einen besteht für sie die Möglichkeit, sich als Rechtsdienstleistende nach § 10 I 1 Nr. 3 RDG registrieren zu lassen. In diesen Fällen wird das Ziel, die Rechtsuchenden, den Rechtsverkehr und die Rechtsordnung vor unqualifizierten Rechtsdienstleistungen zu schützen (§ 1 I 2 RDG), durch den von § 12 I Nr. 2 RDG geforderten Sachkundenachweis erreicht. Auf dieser Grundlage hat sich der Kl. gem. § 10 I 1 Nr. 3 RDG beim OLG K. als der zuständigen Behörde registrieren lassen. [56] Zum anderen wird Angehörigen der in § 206 I und II BRAO genannten ausländischen Berufe, die gem. §§ 206 I, 207 I 1 BRAO in eine RAK aufgenommen wurden, erlaubt, Rechtsdienstleistungen in dem in § 206 III BRAO bestimmten Umfang zu erbringen. Im Hinblick auf diesen Personenkreis wird der Schutz der Rechtsuchenden, des Rechtsverkehrs und der Rechtsordnung vor unqualifizierten Rechtsdienstleistungen dadurch erreicht, dass eine Aufnahme in die RAK nur erfolgt, wenn die betreffenden Personen in Bezug auf die Ausbildung zum Beruf und die Befugnisse des Berufsträgers einem dem Beruf des Rechtsanwalts nach der Bundesrechtsanwaltsordnung entsprechenden Beruf angehören (§ 206 II BRAO) und die Zugehörigkeit zu dem Beruf von der im Herkunftsstaat zuständigen Behörde bescheinigt wird (§ 207 I 1 BRAO). Diese gesetzlichen Voraussetzungen ersetzen die Prüfung der beruflichen Qualifikation des Antragstellers (vgl. Weyland/Nöker, a.a.O. § 207 Rn. 6: An die Stelle der Befähigung nach § 4 BRAO tritt der Nachweis der Zugehörigkeit zu dem Beruf durch eine Bescheinigung des Herkunftsstaates). Die Einschätzung ihrer Erforderlichkeit unterliegt dem Beurteilungs- und Prognosespielraum des Gesetzgebers. [57] Regelungen, die in Bezug auf den vorgenannten Personenkreis als Alternative in Betracht kommen und im Hinblick auf das Ziel des Schutzes vor unqualifizierten Rechtsdienstleistungen die gleiche Wirksamkeit versprechen, die Betroffenen aber weniger belasten, sind nicht ersichtlich. Dies gilt insb. für die vom Kl. – de lege ferenda – vorgeschlagene Alternative, seine Aufnahme in die Bekl. von einer Prüfung der Eignung durch ein mit zugelassenen Anwälten nach türkischem Recht besetztes Gremium abhängig zu machen. Zum einen ist nicht erkennbar, dass ihn eine solche Prüfung weniger belasten würde als der – von ihm offenbar bereits erbrachte – Sachkundenachweis nach § 12 I Nr. 2 RDG. Zum anderen wäre eine solche (gesetzliche) Regelung in der Rechtspraxis nicht umsetzbar. Sie müsste nicht nur für die Bekl. und die Aufnahme von türkischen Juristen gelten, sondern bundesweit für alle RAKn und für Juristen aus allen Vertragsstaaten des Welthandelsabkommens (WTO-Staaten). Die Einrichtung von Prüfungsgremien für jeden WTO-Staat mit nach dem Recht des jeweiligen WTO-Staates zugelassenen Anwälten ist indes weder durchführbar noch – in Anbetracht des damit verbundenen personellen und sachlichen Aufwands – seitens der RAKn leistbar. [58] (d) Das in §§ 206 I, 207 I BRAO i.V.m. § 3 RDG gekein unangemessesenes Verbot regelte Verbot der Niederlassung zur Erbringung von Rechtsdienstleistungen in der Bundesrepublik Deutschland für Personen, die nicht Angehörige eines i.S.v. § 206 II BRAO dem Beruf des Rechtsanwalts nach der BRAO entsprechenden Berufs sind, ist auch angemessen (verhältnismäßig im engeren Sinne). Angemessen ist eine Regelung, wenn das Maß der Belastung des Einzelnen noch in einem vernünftigen Verhältnis zu den der Allgemeinheit erwachsenden Vorteilen steht (st. Rspr.; vgl. nur BVerfGE 117, 163, 193 m.w.N.). Dabei ist zu berücksichtigen, dass bei einem durch Gesetz erfolgenden Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit gewisse Härten für Einzelne in Kauf genommen werden müssen, da ein Gesetz, das seiner Natur nach typisieren muss, nicht alle Einzelfälle berücksichtigen kann; es genügt, wenn es eine für möglichst viele Tatbestände angemessene Regelung schafft (BVerfGE 13, 230, 236). [59] In diesem Rahmen bedarf es vorliegend keiner Entscheidung, ob die Maßstäbe, die das BVerfG zur Verhältnismäßigkeit von Eingriffen in die Berufsfreiheit aus Art. 12 I GG entwickelt hat (sog. Drei-Stufen-Theorie, begründet von BVerfGE 7, 377, 404 ff.), auf Eingriffe in die – für die berufliche Betätigung von Ausländern subsidiär geltende – allgemeine Handlungsfreiheit gem. Art. 2 I GG uneingeschränkt anwendbar sind (vgl. BVerfG, NJW 2016, 1436 Rn. 11 f. zur Sicherstellung des über Art. 12 I GG gewährleisteten Schutzniveaus für Bürger und juristische Personen anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union über das subsidiär anwendbare allgemeine Freiheitsrecht des Art. 2 I GG). Denn das in §§ 206 I und II, 207 I BRAO i.V.m. § 3 RDG geregelte Niederlassungsverbot hält auch einer an diesen Maßstäben ausgerichteten Prüfung stand. [60] Die in §§ 206 I und II, 207 I 1 BRAO bestimmten Voraussetzungen für die Niederlassung in der Bundesrepublik Deutschland zur Erbringung von Rechtsdienstleistungen stellen eine subjektive Berufswahlregelung ZULASSUNG BERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG BRAK-MITTEILUNGEN 5/2023 319

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