„insbesondere beim Austritt eines Mitgliedstaats aus der Europäischen Union der Fall“ sei (RegE v. 24.4. 2020, BR-Drs. 196/20, 73). Hätte der Gesetzgeber nur eine Regelrechtsfolge schaffen wollen, wäre eine Klarstellung im Gesetzeswortlaut oder jedenfalls in der Gesetzesbegründung zu erwarten gewesen. b) Entgegen der Ansicht des Kl. ist die Rechtsfolge auch unter Berücksichtigung des von Verfassungswegen vorgegebenen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit rechtmäßig. Es kann daher dahinstehen, ob eine teilweise in der Rechtsprechung angenommene Abweichung von einer gebundenen Rechtsfolge aufgrund des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes überhaupt möglich ist (kritisch zur dogmatischen Verankerung dieser Rechtsprechung etwa Mehde, DÖV 2014, 541). Ebenso scheidet eine verfassungskonforme Auslegung oder Reduktion des § 4 II 1 Alt. 2 EuRAG aus. Ferner kann dahinstehen, ob der Verwaltung bei gebundenen Entscheidungen überhaupt eine Prüfungs- und ggf. Verwerfungskompetenz aufgrund von Verstößen gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zukommt. Denn der Widerruf dient einem legitimen Ziel und ist geeignet, dieses zu fördern. Er ist auch erforderlich und angemessen. Das durch den Widerruf verfolgte legitime Ziel liegt im Schutzder Funktionsfähigkeit der Rechtspflege Schutz der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege. Der Widerruf ist geeignet, dieses Ziel zumindest zu fördern, da eine englische Zulassung als Solicitor – für die keine Ausbildung im deutschen Recht nachgewiesen werden muss und für die auch keine unionsrechtlich vorgegebene Privilegierung nach §§ 2 ff. EuRAG mehr besteht – keine der deutschen Rechtsanwaltszulassung vergleichbare Qualifikation im deutschen Recht vermittelt. Ferner ist er erforderlich, da keine milderen, gleich geeigneten Mittel zur Verfügung stehen. Der Eingriff ist auch angemessen. Entgegen der Auffassung des Kl. liegt kein atypischer Fall vor, der eine besondere Härte begründen könnte (hierzu unter aa)). Ob – wie der Kl. meint – das Vorliegen eines atypischen Falles überhaupt zur Rechtswidrigkeit einer gebundenen Rechtsfolge führen kann, kann mithin dahinstehen. Im Übrigen steht der Eingriff nicht außer Verhältnis zum verfolgten Ziel des Schutzes der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege (hierzu unter bb)). aa) Ein atypischer Fall bzw. eine besondere Härte für kein besonderer Härtefall den Kl. ist nicht ersichtlich. Entgegen der klägerischen Ansicht begründet weder seine ausschließliche Tätigkeit in Deutschland noch seine deutsche Staatsangehörigkeit einen Sonder- bzw. Härtefall. Schließlich ist es gerade Voraussetzung einer Kammeraufnahme als europäischer Rechtsanwalt, dass eine Niederlassung in Deutschland vorliegt (vgl. § 2 I EuRAG). Diese erfordert eine stabile und kontinuierliche Ausübung der anwaltlichen Berufstätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat, hier also in Deutschland (Nöker, in Weyland, BRAO, 10. Aufl. 2020, § 2 EuRAG Rn. 1; s.a. EuGH, Urt. v. 30.11.1995 – Rs. C-55/94 Rn. 25, NJW 1996, 579, 580 [zu Art. 52 ff. EGV = Art. 49 ff. AEUV]). Angesichts der vorausgesetzten Niederlassung ist es gerade typisch, dass – wie im Fall des Kl. – eine anwaltliche Tätigkeit in Deutschland ausgeübt wird, die ggf. mit einer Verlagerung des Lebensmittelpunkts nach Deutschland einhergeht. Dieser besonderen Härten muss sich der Gesetzgeber bei Einfügung des § 4 II 1 Alt. 2 EuRAG bewusst gewesen sein. Ebenso kann es nicht auf die deutsche Staatsbürgerschaft des Kl. ankommen. Schließlich liegt auch für in Deutschland niedergelassene britische Rechtsanwälte ohne deutsche Staatsangehörigkeit eine identische Beeinträchtigung vor. bb) Der Eingriff steht zudem nicht außer Verhältnis zum verfolgten Ziel des Schutzes der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege. Dies gilt sowohl mit Blick auf das Grundrecht des Kl. aus Art. 12 I GG (hierzu unter (1)) als auch unter Heranziehung des Art. 15 GRCh (hierzu unter (2)). (1) Aufseiten des Kl. ist zu berücksichtigen, dass er als deutscher Staatsangehöriger dem persönlichen Schutzbereich des Grundrechts der Berufsfreiheit gem. Art. 12 I GG unterfällt. Dabei kann dahinstehen, ob der Widerruf eine bloße Berufsausübungsregel oder eine subjektive Berufswahlregel darstellt. Eine Berufsausübungsregel, also eine solche, die nur die Art und Weise der Berufsausübung beschränkt, würde entsprechend der Drei-Stufen-Theorie des BVerfG grundsätzlich nur erfordern, dass vernünftige Allgemeinwohlerwägungen sie als zweckmäßig erscheinen lassen. Eine subjektive Berufswahlregel wäre hingegen anzunehmen, wenn die Berufswahl an persönliche Voraussetzungen geknüpft ist, z.B. an eine besondere Sachkunde oder – wie hier – berufliche Qualifikation. Eine Rechtfertigung würde dann den Schutz eines besonders wichtigen Gemeinschaftsguts voraussetzen, das gegenüber der Freiheit des Einzelnen vorrangig ist (grundlegend BVerfG, Urt. v. 11.6.1958 – 1 BvR 596/56, BVerfGE 7, 377, 404 ff., NJW 1958, 1035, 1037 ff.; BVerfG, Beschl. v. 12.10. 1977 – 1 BvR 217, 216/75, BVerfGE 46, 120, 138, NJW 1978, 313; aus der Literatur etwa Kämmerer, in von Münch/Kunig, GG, 7. Aufl. 2021, Art. 12 Rn. 116 ff.). Die Übergänge zwischen Berufswahl- und Berufsausübungsregelungen sind in der beruflichen Realität fließend (BVerfG, Beschl. v. 20.3.2001 – 1 BvR 491/96, BVerfGE 103, 172, 183). Hier liegt mit dem bezweckten Schutz der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege ein besonders wichtiges Gemeinschaftsgut vor, das im konkreten Fall gegenüber der Berufsfreiheit des Kl. vorrangig ist, sodass der Eingriff – auch bei Annahme einer subjektiven Berufswahlregel – angemessen ist. Die Intensität des Eingriffs in die Berufsfreiheit des Kl. ist grundsätzlich als hoch einzustufen. Allerdings kann er seine Tätigkeit in zumutbarer Weise anpassen. ZuBERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG BRAK-MITTEILUNGEN 5/2023 325
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