BRAK-Mitteilungen 5/2023

steht. Entgegen der klägerischen Ansicht war der Widerruf seiner Kammeraufnahme nicht unvorhersehbar und die Erforderlichkeit eines Antrags auf Eingliederung gem. §§ 11 ff. EuRAG absehbar, um seine bisherige Tätigkeit unverändert fortsetzen zu können. Spätestens seit dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union am 31.1.2020 auf Basis des am 24.1.2020 unterzeichneten Austrittsabkommens konnte der Kl. erkennen, dass die Fortdauer seiner Aufnahme als europäischer Rechtsanwalt gefährdet ist. So regelt das Austrittsabkommen, dass britischen Juristen, die aufgrund des Art. 10 I und III der Richtlinie 98/5/EG (= §§ 11 ff. EuRAG) als deutsche Rechtsanwälte eingegliedert wurden, die lebenslange Beibehaltung ihres Status gewährt wird (Art. 27 I lit. b) i.V.m. Art. 39 des Abkommens über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft, ABl. L 29 v. 31.1.2020, S. 7). Für lediglich niedergelassene britische Rechtsanwälte (Art. 2 ff. der Richtlinie 98/ 5/EG = §§ 2 ff. EuRAG) enthält es indes keinen Bestandsschutz, der über den Übergangszeitraum bis zum 31.12.2020 hinausgeht (dazu auch RegE v. 24.4. 2020, BR-Drs. 196/20, 31 f.). Anders als der Kl. meint, war auch die Einfügung des § 4 II 1 Alt. 2 EuRAG absehbar. So wurde die Gesetzesänderung zwar erst am 22.12.2020 verabschiedet und am 30.12.2020 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht (Gesetz zur Verbesserung des Verbraucherschutzes im Inkassorecht und zur Änderung weiterer Vorschriften v. 22.12. 2020, BGBl. I 2020, 3320). Der Regierungsentwurf wurde indes bereits im April 2020 veröffentlicht und dem Bundesrat zugeleitet (RegE v. 24.4.2020, BR-Drs. 196/ 20). Für den Kl. muss daher mehr als ein halbes Jahr vor Inkrafttreten des § 4 II 1 Alt. 2 EuRAG am 1.1.2021 erkennbar gewesen sein, dass ein Widerruf seiner Kammeraufnahme nach Ablauf des Übergangszeitraums am 31.12.2020 droht. Dies gilt insb. angesichts seiner langjährigen ausschließlichen Tätigkeit in Deutschland und der Tatsache, dass er auch im deutschen Recht berät. Als Kundiger des deutschen Rechts kann von ihm erwartet werden, laufende Gesetzgebungsverfahren zu beobachten und entsprechende Vorkehrungen zu treffen, zumal die Auswirkungen des Brexits nicht nur in der juristischen Fachliteratur, sondern auch in der breiten Öffentlichkeit diskutiert wurden. Besonders deutlich wird die Erkennbarkeit der drohenden Auswirkungen des Brexits auf die Tätigkeit des Kl. ferner dadurch, dass er ausweislich einer Telefonnotiz der Bekl. (Bl. 62 d.A.) bereits im September 2018 Überlegungen zu den Folgen des Brexits für seine berufliche Tätigkeit anstellte. Dass der Kl. – wie er im Zuge seiner Anhörung erklärt hat – nicht mit einem „harten“ Brexit gerechnet und auf einen „Soft-Brexit“ gehofft hat, ist in diesem Rahmen unbeachtlich. Das durch den Widerruf geschützte Rechtsgut ist die Funktionsfähigkeit der deutschen Rechtspflege. Bei diesem handelt sich um ein besonders wichtiges Gemeinschaftsgut (vgl. BVerfG, Beschl. v. 20.2.2002 – 1 BvR 423/99, 1 BvR 821/00 und 1 BvR 1412/01, NJW 2002, 1190, 1192), das grundsätzlich auch eine – hier ggf. vorliegende – subjektive Berufswahlregel rechtfertigen kann (BVerfG, Beschl. v. 8.3.1983 – 1 BvR 1078/80, BVerfGE 63, 266, 300 f., NJW 1983, 1535, 1537; BVerfG, Beschl. v. 28.4.2005 – 1 BvR 2231/02 u.a., NJW-RR 2005, 998, 999 f.; AGH Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 7.10.2016 – 1 AGH 23/16 Rn. 20). Eine Gefahr für die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege liegt darin, dass (nur) im Ausland zugelassene Rechtsanwälte keine Ausbildung im deutschen Recht nachweisen müssen. Sie verfügen daher über keine vergleichbare Qualifikation wie deutsche Rechtsanwälte, die grundsätzlich die Befähigung zum Richteramt erlangt haben müssen (§ 4 S. 1 Nr. 1 BRAO) oder ausnahmsweise aufgrund einer Eingliederung (§§ 11 ff. EuRAG) oder Feststellung einer gleichwertigen Berufsqualifikation (§§ 16 ff. EuRAG) zugelassen werden können (§ 4 S. 1 Nr. 2 und Nr. 3 BRAO). Der Kl. hat als englischer Solicitor keine entsprechende Qualifikation. Angesichts der Regelungskonzeption für den Zugang zum Beruf des Rechtsanwalts, die auf formelle Nachweise der Qualifikation abstellt, ist daher davon auszugehen, dass er keine gleichwertige Beratung im deutschen Recht erbringen kann wie ein Jurist, der durch zwei deutsche juristische Staatsexamina die Befähigung zum Richteramt erlangt hat. Hierdurch drohen Gefahren für das rechtsuchende Publikum. Das Abstellen auf formalisierte Nachweise zur Beurteilung einer beruflichen Qualifikation ist zulässig (BVerfG, Beschl. v. 25.2.1976 – 1 BvR 8 und 275/74, BVerfGE 41, 378, 390, NJW 1976, 1349; BVerfG, Beschl. v. 18.6.1986 – 1 BvR 787/80, BVerfGE 73, 280, 298, NJW 1987, 887, 888 f.; Ruffert, inBeckOK GG, Stand: 15.8.2022, Art. 12 GG Rn. 123). Die Tatsache, dass – abweichend von dieser Regelungskonzeption – Rechtsanwälte aus Mitgliedstaaten der Europäischen Union von einem Qualifikationsnachweis im deutschen Recht aufgrund der §§ 2 ff. EuRAG befreit sind, ändert hieran nichts. Schließlich beruht diese Privilegierung auf der Richtlinie 98/5/EG, zu deren Umsetzung der deutsche Gesetzgeber verpflichtet war (vgl. Art. 288 UAbs. 3 AEUV). Diese unionsrechtlich vorgegebene Sonderstellung ist für britische Juristen durch den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Union weggefallen. Entgegen der Ansicht des Kl. sind mithin seine tatsächlichen, individuellen Kenntnisse im deutschen Recht, die er durch seine praktische Tätigkeit in Deutschland erlangt hat, unbeachtlich. Ebenso ist es ohne Bedeutung, dass der Kl. – wie er vorträgt – bisher keine Haftungsfälle verursacht und keine Berufsrechtsverletzungen begangen hat. Eine zusätzliche Gefahr für die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege besteht ferner darin, dass durch den Ablauf der Übergangsfrist nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU am 31.12.2020 auch die europäische Verwaltungszusammenarbeit i.S.d. §§ 37 ZULASSUNG BERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG BRAK-MITTEILUNGEN 5/2023 327

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