BRAK-Mitteilungen 5/2023

und seinen Gebührenanspruch geltend macht. Der Mandant widerruft daraufhin den Anwaltsvertrag gem. §§ 355, 312g BGB, weil er nicht ordnungsgemäß über das Widerrufsrecht belehrt wurde. 2. Rechtliche Analyse Der Rechtsanwaltsvertrag ist als Fernabsatzvertrag ein Verbrauchervertrag.1 1 BGH, Urt. v. 23.11.2017 – IX ZR 204/16, BRAK-Mitt. 2018, 113 = NJW 2018, 690. Fraglich ist, ob der Widerruf nach erbrachter Leistung rechtsmissbräuchlich ist. Sinn und Zweck des Verbraucherschutzrechts ist es, Verbraucherinnen und Verbraucher vor übereilten Entscheidungen zu schützen.2 2 Grüneberg/Grüneberg, BGB, 82. Aufl. 2023, § 355 Rn. 2. Insoweit ist es befremdlich, wenn nach erbrachter Leistung der Mandant einwendet, diesen Vertrag zu widerrufen. Bisher war die Rechtsprechung zu einem möglichen Widerruf nach erbrachter Leistung unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauches uneinheitlich.3 3 BGH, Urt. v. 19.11.2020 – IX ZR 133/19, BRAK-Mitt. 2021, 58 m. Anm. Nöker = NJW 2021, 304 nahm keinen Rechtsmissbrauch an, wobei eine Auseinandersetzung mit dieser Frage nicht erfolgt. Bei arglistigem Verhalten des Verbrauchers gegenüber dem Unternehmer wurde aber Rechtsmissbrauch bejaht, vgl. BGH, Urt. v. 25.11.2009 – VIII ZR 318/08, NJW 2010, 610. Nunmehr hat jedoch der EuGH entschieden, dass, wird ein Verbrauchervertrag über Bau- oder Sanierungsleistungen – wie in der Praxis absolut üblich – auf der Baustelle bzw. dem zu sanierenden Objekt geschlossen und dabei nicht ordnungsgemäß über das Widerrufsrecht belehrt, der Verbraucher auch ein vollständig erfüllten Vertrag noch widerrufen kann. Die Belange des Verbrauchers werden höher gewichtet als das Schutzinteresse des Leistenden.4 4 EuGH, Urt. v.17.5.2023 – C-97/22, NJW 2023, 2171. Damit kann nicht (mehr) der Einwand des Rechtsmissbrauches erhoben werden. Nun könnte man meinen, dass Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag oder bereicherungsrechtliche Ansprüche für die Rechtanwältin oder den Rechtsanwalt gegeben sein könnten. Nach § 357e BGB gilt für Verbraucherbauverträge, dass der Verbraucher dem Unternehmer Wertersatz schuldet, wenn die Rückgewähr der bis zum Widerruf erbrachten Leistung ihrer Natur nach ausgeschlossen ist. Bei der Berechnung des Wertersatzes ist die vereinbarte Vergütung zugrunde zu legen. Ist die vereinbarte Vergütung unverhältnismäßig hoch, ist der Wertersatz auf der Grundlage des Marktwerts der erbrachten Leistung zu berechnen. In Anlehnung an diese Vorschrift könnte man auf Wertersatz in Höhe der angefallenen Rechtsanwaltsgebühren aus gesetzlichen Schuldverhältnissen hoffen. Dem ist aber der EuGH in seinem Urteil v. 17.5.2023 entgegengetreten. Es heißt dort: Die Verbraucherrechte-Richtlinie bezwecke, ein hohes Verbraucherschutzniveau sicherzustellen und nehme hierfür eine vollständige Harmonisierung bestimmter Aspekte von Verbraucherverträgen vor; dieses Ziel gerate in Gefahr, falls dem Verbraucher trotz unterlassener Widerrufsbelehrung im Einzelfall doch noch Kosten auferlegt werden.5 5 EuGH, Urt. v.17.5.2023 – C-97/22, NJW 2023, 2171, 2172. In einem früheren Urteil hatte der EuGH noch anders entschieden: Die Fernabsatzrichtlinie stehe einer Verpflichtung des Verbrauchers zum Wertersatz nicht entgegen, wenn er die Ware auf eine mit den Grundsätzen des bürgerlichen Rechts wie den von Treu und Glauben oder der ungerechtfertigten Bereicherung unvereinbare Art und Weise benutzt hat.6 6 EuGH, Urt. v. 3.9.2009 – C-489/07, NJW 2009, 3015. Als Reaktion auf diese Entscheidung verschärfte dann der europäische Gesetzgeber den Wortlaut in der Fernabsatz-RL. Es wurde in Art. 14 II Fernabsatz-RL festgehalten, dass der Verbraucher „in keinem Fall“ für den Wertverlust der Waren haftet, wenn er nicht vom Unternehmer über sein Widerrufsrecht belehrt wurde.7 7 Dazu Wendehorst, NJW 2023, 2155 f. m.w.N. Damit fallen eine Anwendung der Grundsätze der Geschäftsführung ohne Auftrag und Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung ersatzlos weg. Damit hat sich nun durchgesetzt, dass die Grundsätze des Rechtsmissbrauches und die Anwendung gesetzlicher Schuldverhältnisse wegen dem gewünschten Abschreckungseffekt nicht mehr anwendbar sind. Es wurde auch überlegt, inwieweit ein solches Ergebnis mit dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit in Übereinstimmung zu bringen ist. Eine Gruppe von Verbrauchern wird bereichert, Unternehmer erleiden Verluste. Der EuGH hätte sehr wohl die Möglichkeit gehabt, den nationalen Gerichten eine Korrekturmöglichkeit im Einzelfall aufgrund des Verhältnismäßigkeitsprinzips zu eröffnen. Dies hatte er aber gerade nicht getan, sodass die Kritik berechtigt ist, inwieweit diesem Grundsatz als allgemeinen Rechtsgrundsatz des Unionsrechts Genüge getan wurde. Es wäre eine Abstufung nach wirksamen, verhältnismäßigen Sanktionen und der Belange des Unternehmers denkbar gewesen.8 8 Wendehorst, NJW 2023, 2157. 3. Folgerungen In einer schriftlichen Dokumentation – etwa in einer Vollmacht – einer Rechtsanwältin oder eines Rechtsanwalts sollte unbedingt über die 14-tägige Widerrufsfrist belehrt werden. Erst nach dieser Frist sollte die Rechtsanwältin oder der Rechtsanwalt für seinen Auftraggeber tätig werden. Die gegenwärtige Rechtsprechung hat nicht im Blick, dass normalerweise ein Mandant auf schnelles Handeln drängt und bei zutreffender Wertung zwar grundsätzlich der Mandatsvertrag ein Verbrauchervertrag ist, die Rechtsanwältin bzw. der Rechtsanwalt gleichsam aber schutzwürdig ist, wenn sie oder er Leistungen erbracht hat. Das neue EuGH Urteil ist ausgesprochen kritisch zu sehen: Der Dogmatik des Unionsrechts hätte es besser getan, nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eine Rechtsprechung im Einzelfall zuzulassen. Lassen Sie daher, wenn irgendwie möglich, den Mandanten in die Kanzlei kommen, damit sich die Frage einer Widerrufsbelehrung erst gar nicht stellt. Rechtsanwalt und Syndikusrechtsanwalt Dr. Joachim Ramm, M.C.L. (Univ. of Ill.), Wiesbaden BRAK-MITTEILUNGEN 5/2023 BERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG 350

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