III. STRUKTURELLE ÄNDERUNGEN IM RVG Zum anderen haben BRAK und DAV insgesamt elf strukturelle Änderungsvorschläge im Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) ausgearbeitet. Diese Vorschläge zielen darauf ab, gesetzliche Unklarheiten sowie missliche Gesetzesauslegungen durch die Rechtsprechung zu korrigieren und für die Anwaltschaft zu verbessern. 1. ANPASSUNG DER ZUSATZGEBÜHR NACH Nr. 1010 VV RVG Die Zusatzgebühr nach Nr. 1010 VV RVG soll dahingehend geändert werden, dass diese unabhängig von der Durchführung einer Beweisaufnahme bei der Teilnahme an mehr als zwei Terminen mit einer Gesamtdauer von insgesamt mehr als 120 Minuten entsteht. Es sollen dabei sowohl gerichtliche einschließlich der vor einem Güterichter als auch von einem gerichtlich bestellten Sachverständigen anberaumte Termine erfasst sein, jedoch nicht die nur zur Verkündung einer Entscheidung sowie Besprechungen nach Vorbem. 3 III 3 Nr. 2 VV RVG. Im Jahr 2013 wurde durch das 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz7 7 A.a.O. die Zusatzgebühr nach Nr. 1010 VV RVG bei besonders umfangreichen Beweisaufnahmen eingeführt. In der Praxis kommt sie allerdings aufgrund ihrer hohen Tatbestandshürde – „besonders umfangreiche Beweisaufnahme“ und „mindestens drei gerichtliche Termine“ – kaum zur Anwendung. Denn drei Beweisaufnahmetermine in derselben Sache sind in der Praxis extrem selten. Rechtsanwälten entsteht allerdings bei mehreren Terminen ein erheblicher zusätzlicher Aufwand sowohl für die Wahrnehmung als auch die sorgfältige Vorbereitung, der derzeit durch die Verfahrens- und Terminsgebühr nicht annähernd ausgeglichen wird. Dem soll mit der vorgeschlagenen Änderung abgeholfen werden, für die sich BRAK und DAV bereits im Rahmen ihrer gemeinsamen Stellungnahme zum Regierungsentwurf des 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes8 8 Gemeinsame Stellungnahe von BRAK (51/2012) und DAV (86/2012). als auch des gemeinsamen Forderungskatalogs zur Anpassung des RVG im Jahr 20189 9 Vorschläge zur regelmäßigen Anpassung, strukturellen Änderung und Ergänzung und Klarstellung des RVG – Gemeinsamer Katalog von DAV und BRAK, März 2018. eingesetzt haben. Nach nunmehr zehn Jahren ist der Gesetzgeber am Zuge, die Gebühr endlich so anzupassen, dass sie in der Realität tatsächlich Anwendung finden kann. 2. INKASSODIENSTLEISTUNGEN – KLARSTELLUNG IN Nr. 2300 II VV RVG Ist Gegenstand der Tätigkeit eine Inkassodienstleistung, die eine unbestrittene Forderung betrifft, gilt für die Geschäftsgebühr nach Abs. 2 der Nr. 2300 VV RVG ein reduzierter Gebührenrahmen. Dieser reduzierte Rahmen wurde durch das Gesetz zur Verbesserung des Verbraucherschutzes im Inkassorecht10 10 Gesetz zur Verbesserung des Verbraucherschutzes im Inkassorecht und zur Änderung weiterer Vorschriften v. 22.12.2020, BGBl. 2020 I, 3320. zum 1.10.2021 eingeführt. Nach Auffassung des Gesetzgebers waren die geltend gemachten Inkassokosten zumeist als deutlich zu hoch anzusehen, da sie in aller Regel in keinem angemessenen Verhältnis zum von der Anwaltschaft oder den Inkassodienstleistern zu erbringenden Aufwand standen; Schuldner sollten zudem vor unnötigen Belastungen geschützt werden.11 11 BT-Drs. 19/20348 v. 24.6.2020. Problematisch ist nun, dass der reduzierte Gebührenrahmen nicht nur beim typischen Forderungseinzug, sondern auch in klassischen anwaltlichen Mandaten angewandt wird. Hintergrund ist, dass durch die Rechtsprechung die zulässige Inkassodienstleistung stark ausgeweitet wurde. In der Folge sehen z.B. Haftpflichtversicherer teilweise in Fällen der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen aus unerlaubter Handlung in Verkehrsunfallsachen die reduzierte Geschäftsgebühr als einschlägig an. Der Gesetzgeber will ausweislich des Gesetzestitels Verbraucherinnen und Verbraucher bei Inkassodienstleistungen schützen. Die Beschränkung des reduzierten Gebührenrahmens auf diesen spezifischen Anwendungsbereich sollte daher nach Ansicht von DAV und BRAK in der Regelung klargestellt werden. 3. TEXTFORM BEI RECHNUNGEN Nach der aktuellen Rechtslage muss die Rechtsanwältin bzw. der Rechtsanwalt die Vergütungsberechnung i.S.v. § 126 BGB eigenhändig unterzeichnen (§ 10 I 1 RVG). Das Erfordernis einer eigenhändigen Unterschrift passt allerdings nicht mehr in die digitalisierte Lebenswirklichkeit. Zwar ist es nach § 126a ZPO möglich, die Berechnung qualifiziert elektronisch zu signieren. Diese Möglichkeit wird jedoch von vielen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten als nicht praxistauglich angesehen. Vielmehr entspricht die Textform sehr viel stärker den Bedürfnissen der Praxis nach einer einfachen Möglichkeit einer elektronischen Übermittlung an die Mandantschaft. Deshalb soll das Schriftformerfordernis für die anwaltliche Vergütungsberechnung durch die Textform ersetzt werden und zwar unabhängig von der Zustimmung des Mandanten. Der Normzweck des § 10 I 1 RVG – die Übernahme der Verantwortung für die Richtigkeit der Berechnung in strafrechtlicher (§ 352 StGB), zivilrechtlicher und berufsrechtlicher Hinsicht durch die Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte – wird durch die Textform nach Ansicht von BRAK und DAV nach wie vor gewährleistet. Denn von entscheidender Bedeutung sind die Richtigkeit, Angemessenheit und Kenntnisnahme der BerechAUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 6/2023 371
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